Der neue SPÖ-Kommunikationschef Georg Brockmeyer vermisst bei europäischen Sozialdemokraten die Haltung.

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Viel Wind mit wenig Aufwand: Vor 17 Jahren kampagnisierte Brockmeyer in einer Badewanne gegen "soziale Kälte" unter Schwarz-Blau.

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Wien – Georg Brockmeyer riskiert – wie man es in seiner Heimat ausdrücken würde – eine dicke Lippe. Ihn beeindrucke Sebastian Kurz' Wahlsieg überhaupt nicht, sagt der gebürtige Deutsche, man denke nur an den betriebenen Aufwand: "Dafür, dass er elf Millionen Euro ausgegeben und eine komplette Partei zerstört hat, sind seine 31 Prozent mager. Sebastian Kurz steht ziemlich nackig da, Angstgegner schauen anders aus."

Ab sofort darf Brockmeyer vorzeigen, wie es besser und billiger geht. Am Donnerstag tritt der 42-Jährige, bisher Landesgeschäftsführer der SPD in Niedersachsen, offiziell seinen Dienst in der Parteizentrale der österreichischen Sozialdemokraten in der Löwelstraße an. Parteichef Christian Kern hat den Zuag'rasten als Kommunikationschef engagiert – und ihm für Antrittsinterviews sein Büro, das Erkerzimmer im zweiten Stock, überlassen. Victor Adler, Bruno Kreisky und die anderen Altvorderen blicken da von den Wänden, auch dem aktuellen Obmann wird Respekt gezollt. Als der Interviewer am Kopfende des Besprechungstisches Platz nehmen will, schreitet der Pressesprecher ein: Dieser Stuhl sei stets für den Vorsitzenden reserviert.

Sonst ist vom Ruhm und Glanz der goldenen Zeiten, als die Löwelstraße mächtiges Stammhaus einer dominanten Staatspartei war, wenig geblieben. Sträflich vernachlässigt habe er den Apparat vorgefunden, sagt Brockmeyer und verweist auf die Zeit vor Kerns Antritt im Mai 2016: "Die Bundesgeschäftsstelle ist über die Jahre ausgehungert worden." Nun aber soll der dezimierte Apparat eine Renaissance feiern – "als strategisches Zentrum, das Wahlen gewinnen kann".

Viel Wind um wenig Geld

Dass sich auch ohne Unsummen, wie sie die SPÖ nicht besitzt, Wind machen lässt, hat der gebürtige Freiburger bereits nach seinem erstmaligen Umzug nach Wien bewiesen. In den Archiven verewigt hat sich der studierte Historiker und Literaturwissenschafter, indem er im November vor dem Parlament in eine Wanne mit kaltem Wasser stieg – ein Protest der sozialistischen Studenten gegen "soziale Kälte". Das Ganze ist 17 Jahre her, doch die Erfolgsbilanz kennt der Hauptdarsteller heute noch auswendig: "Wir waren am Cover vom Kurier, auf Seite drei der Krone, auf Seite fünf im STANDARD, in der Zeit im Bild und in allen Radios. Nicht schlecht für eine 20-minütige Aktion."

Aus der Studentenpolitik wechselte der "Schorsch" ins Büro des damaligen SP-Chefs Alfred Gusenbauer, wo er an der Seite der "Clinton-Boys" Stanley Greenberg und Tal Silberstein den Wahlkampf 2002 bestritt; über die Affären des heute für Dirty Campaigning berüchtigten Silberstein will Brockmeyer ebenso wenig Worte verlieren wie über die Lobbying-Aktivitäten Gusenbauers. So cool die eigene Kampagne auch gewesen sei – als die ÖVP an der Oper ein Plakat affichierte, das Kanzler Schüssel beim Cellospielen zeigte ("Da capo, Wolfgang!"), habe er sich eingestehen müssen: "Scheiße, sind die gut!"

Lehren daraus versuchte Brockmeyer in verschiedenen Aktivitäten für die SPD ebenso zu ziehen wie als Kommunikationschef des Wiener Wirtschaftsförderungsfonds und Inhaber einer PR-Agentur. Dass er dabei auch für ein Glücksspielprojekt – das Grand Casino Schwarzenberg – arbeitete, findet er selbst durch die sozialdemokratische Brille nicht anrüchig: Das Metier sei ja reguliert.

Von Jänner bis Herbst 2007– das spricht Brockmeyer von allein an – werkte er auch als PR-Berater bei Hochegger Communication. Miteigentümer Peter Hochegger, der später als Akteur in diversen Affären Schlagzeilen machte und eine Haftstrafe ausfasste, habe diese damals aber längst nicht mehr geleitet.

Einen Namen gemacht hat sich Brockmeyer aber vor allem in Niedersachsen – als einer der weniger roten Strategen, die in Deutschland noch Wahlen zu gewinnen wussten. Dass die Bundes-SPD nach dem Sieg vom Oktober 2017, als die in den Umfragen zuvor abgeschlagene Landespartei doch noch Platz eins geholt hatte, kein Interesse an ihm zeigte, findet der Überläufer komisch: "Aber es ist typisch für den Parteivorstand in Berlin, erfolgreiche Wahlkämpfer in den Ländern zu übergehen."

Rote Parteien ohne Haltung

Die deutschen Genossen nennt Brockmeyer auch als Beispiel für ein europaweites Leiden. "In den Jahren nach der Krise haben die Sozialdemokraten nicht immer Haltung bewahrt", sagt er. "Sigmar Gabriel hat gleichzeitig über die vermeintlich faulen Griechen und den bösen Sparkurs der EU geschimpft. Das war kein klarer Kurs." Und in Österreich? Er wolle nicht über die Vergangenheit und Werner Faymann reden, pariert er: "Sagen wir: Es gab Licht und Schatten."

Unter Kern hingegen passe die Linie, da gelte es eher, das Handwerk zu verbessern. "Professionalisierung" will Brockmeyer durchsetzen, etwa "datenbasierte Wahlkämpfe". Die SPÖ müsse wissen, wo sie potenzielle Wählergruppen finden kann, erläutert er: "Es hat keinen Sinn, dort zu kämpfen, wo eh alle ÖVP wählen."

Und dann habe er noch ein Mantra: "Wir brauchen Zuspitzung, müssen weg vom Verwaltungspolitikerdeutsch." Die Wertschöpfungsabgabe etwa sei eine wichtige Idee, "doch jenseits der Bannmeile um das Parlament versteht diesen Begriff niemand". Zum Einstand hat Brockmeyer den Slogan "Zukunft und Zusammenhalt" mitgebracht; "Schutz und Chancen", ein anderes neues Motto, sei aber von Kern.

Die türkis-blaue Koalition schicke sich an, ebendiesen Schutz aufzukündigen, sagt Brockmeyer, das sei Motivation genug – und dann sitzt da noch ein Schlüsselerlebnis im Hinterkopf. Der Sohn aus sozialdemokratischem Haus erinnert sich lebhaft an jenen Herbsttag im Jahr 1982, als die FDP die Koalition mit der SPD aufkündigte: "Mein Vater ist bügelnd vor dem Fernseher gestanden und hat Rotz und Wasser geheult."

Profane Gründe versüßen den Einstieg in den neuen Job obendrein. Allein klimatisch sei der Umzug von Hannover nach Wien ein Gewinn, sagt Brockmeyer, der mit einer Wienerin liiert ist: "Was nützen Wald und See in einer Stadt, wenn es dauernd regnet?" (Gerald John, 1.3.2018)