Türkis-Blau treibt Alleinerziehende noch stärker in die Armut.

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Im Jahr 2016 lebten 310.000 Alleinerziehende in Österreich, der Großteil sind Mütter. Geldsorgen, Kinderbetreuung und Zeitmangel sind die größten Risiken, mit denen die politisch vernachlässigten Ein-Eltern-Familien täglich zu kämpfen haben. Ohne gesellschaftliche Unterstützung sind sie kaum zu bewältigen und münden in eine Bedrohung ihrer Existenz. Alleinerziehende sind wichtige Leistungsträgerinnen und Leistungsträger, die unter der derzeitigen Regierung auf der Strecke bleiben.

Risiko 1: Doppelte Leistung – halber Verdienst

Während kinderlose Menschen und Paare sich voll und ganz auf ihre Karriere, Freizeit und Beziehungen konzentrieren sowie weitgehend unabhängig Weiterbildungen und Kurse zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung besuchen können, sind Alleinerziehende damit beschäftigt, Beruf und Familie zu managen. Die Berufs- und Arbeitswelt nimmt dabei kaum Rücksicht auf die familiäre Alleinverantwortung. Im Gegenteil: Angestellte, die Flexibilität und Unabhängigkeit zeigen, werden mit besseren Berufs- und Aufstiegschancen und damit verbunden höheren Löhnen belohnt. Eine schwierige Aufgabe für Alleinerziehende, die den Arbeitsalltag mit dem Familienalltag so organisieren müssen, dass am Ende des Tages genug Geld zum Leben bleibt.

Die alltäglichen familiären Aufgaben bewältigen sie meist alleine. Neben Einkaufen, Kochen, Putzen, bürokratischen Amtswegen und Arztbesuchen brauchen Kinder auch viel emotionale und liebevolle Unterstützung beim Großwerden. Und wer selbst Kinder hat, weiß, dass diese auf dem Weg zum Erwachsenwerden viele besondere Momente durchleben, die nicht Aufsicht und Disziplin benötigen, sondern vor allem Liebe, Geduld und Aufmerksamkeit: Sprechen und Gehen lernen, Zähne bekommen, der Übergang von den Windeln aufs richtige WC, der Einstieg in die Schule, das Kennenlernen der Welt, Schwierigkeiten bei Schularbeiten, Krankheiten, Streit mit Freundinnen und Freunden, das Entdecken der eigenen Sexualität, das Herausbilden der eigenen Persönlichkeit oder etwa Eintritt und Orientierung in der Berufswelt.

Sich und seine Kinder nicht nur finanziell zu erhalten, sondern gleichzeitig eine fürsorgliche Stütze zu sein ist unter den derzeitigen Bedingungen eine entgrenzende Aufgabe, die sich Alleinerziehende oft nicht teilen können und bei der sie zudem wenig gesellschaftlichen Rückhalt erfahren. Diese Situation alleine bewältigen zu müssen führt bei vielen zu einer sozialen und ökonomischen Ausgrenzung. Zudem berichten viele von Erschöpfungssyndromen wie Burnout, chronischem Vernachlässigen ihrer Selbst und Verzweiflungszuständen aufgrund des Gefühls, ständig funktionieren zu müssen.

Risiko 2: Fehlende adäquate Kinderbetreuung

Alleinerziehende sind deswegen abhängig von verlässlicher, leistbarer und nahe gelegener Kinderbetreuung – umso mehr in einer "flexibilisierten" Arbeitswelt, die ständige Einsatzbereitschaft erwartet. Kinderbetreuung wäre daher ein wichtiges Instrument zur Entlastung. Als Alleinerziehende lernt man aber besonders die Grenzen der Betreuungshilfen kennen. Zum einen fehlt, deutlich im ländlichen Raum, die Betreuungsinfrastruktur, vor allem ab den ersten Lebensjahren der Kinder. Zum anderen ist das Abgeben der Betreuungsverantwortung eine sensible Angelegenheit. Die Qualität der Kinder- und Schulbetreuung ist daher ebenso wichtig wie das Vorhandensein einer flächendeckenden und kostenlosen Betreuungsinfrastruktur.

Dennoch lassen es Betreuungsmöglichkeiten, Rhythmus und Bedürfnisse eines Kindes oftmals nicht zu, jenes Maß an Flexibilität und Einsatzmöglichkeit sicherzustellen, die es bräuchte, um die volle wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit zu gewährleisten. Alleinerziehende sind aufgrund unflexibler Arbeitszeiten und fehlender Betreuungsmöglichkeiten auch von Arbeitslosigkeit betroffen. Private Netzwerke und Familie sind daher unter derzeitigen Bedingungen die wichtigste Ressource für Alleinerziehende. Denn nicht nur werden die Kinder durch die Familie oder Freunde betreut, auch finanziell stellt das private familiäre Versorgungssystem eine wesentliche finanzielle Stütze dar. Wer aber nicht auf die private Unterstützung zurückgreifen kann, was bei beinahe jeder zweiten alleinerziehenden Familie der Fall ist, hat derzeit Pech.

Risiko 3: Zu wenig Geld

Obwohl Alleinerziehende durchschnittlich in einem stärkerem Stundenausmaß erwerbstätig sind und zudem einen höheren Bildungsstand aufweisen als Mütter in traditionellen Kernfamilien, spiegelt sich dieser Leistungseinsatz nicht in finanziellem Reichtum wider. Ein Grund dafür sind die eingeschränkten Erwerbs- und Berufschancen für Mütter. Als Frauen sind sie mehrheitlich in jenen frauentypischen Berufen tätig, die durchschnittlich schlechter entlohnt und sozialrechtlich schlechter abgesichert, aber zeitlich mit dem Familienalltag besser vereinbar sind.

Ein Hauptarmutsrisiko ist aber vor allem das Versorgungsdefizit von Kindern im Fall einer Trennung. Die derzeitige Rechtslage garantiert tatsächlich keinen Unterhalt für die Kinder und schon gar nicht in der Höhe des materiellen Bedarfs, mit dem jede zweite Alleinerziehende derzeit zurechtkommen muss. Ein Missstand, der seit langem bekannt ist. Der Unterhaltsgarantie stimmten Politiker von ÖVP und FPÖ während der Elefantenrunde auf Puls 4 zu. Seit der gewonnen Wahl ist die versprochene Unterhaltsgarantie für Kinder aber wieder in der türkis-blauen Schublade verschwunden. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass Alleinerziehende trotz 24-stündiger Leistungsbereitschaft mit 38 Prozent zu den am stärksten von Armut betroffenen Bevölkerungsgruppen gehören.

Aufstehen für Existenzsicherung

Die eingeschränkte Flexibilität und berufliche Integration bei gleichzeitig struktureller Abhängigkeit von einem existenzsichernden Einkommen und Kindesunterhalt drängt beinahe jede zweite alleinerziehende Familie in die Armut. Bei geschätzten Kinderkosten von 500 bis 700 Euro monatlich ermöglicht auch die Familienbeihilfe keine großen Sprünge, siehe Wifo-Studie aus dem Jahr 2003.

Genau deshalb hat sich eine Gruppe von Alleinerziehenden selbst organisiert und übt den Aufstand, um für Existenzsicherung aufzustehen. Vor allem die materielle Sicherung für Kinder stellt ein Hauptanliegen der engagierten Mütter dar, mit deren Forderung sie seit der Wahl trotz wiederholter Kontaktaufnahme auf keine Gesprächsoffenheit bei der neuen Regierung gestoßen sind.

Das Gegenteil ist der Fall. Trotz des Versprechens, Leistung zu belohnen, antwortet die türkis-blaue Regierung mit Sparmaßnahmen und Reformen, die noch weniger Gestaltungsspielraum für alleinerziehende Familien bedeuten: Der geplante Familienbonus unterstützt vor allem höhere Einkommen und damit auch finanziell versorgte Familien, zu denen 38 Prozent der alleinerziehenden Familien definitiv nicht gehören. Und jene Alleinerziehenden, die vom Familienbonus Gebrauch machen können, werden wegen der Bonusaufteilung auf beide Elternteile nur zur Hälfte entlastet, auch wenn sie die Hauptleistung der Kinderbetreuung tragen. Eine einkommensunabhängige Steuererleichterung von 200 bis 250 Euro pro Jahr, wie aktuell von Kanzler Sebastian Kurz vorgeschlagen, ist damit vollkommen unzureichend.

Reformvorschläge drängen in Armut

Alleinerziehende Familien werden in der aktuellen Regierung nicht als vollwertige und leistungstragende Familien wahrgenommen, obwohl derzeit rund 310.000 alleinerziehende Familien in Österreich genau diese Realität leben. Die Reformvorschläge gehen damit vollkommen an den Alltagsproblemen und der Lebensrealität von Alleinerziehenden vorbei. Sie drängen sie noch mehr ins gesellschaftliche Abseits und in die Armut. (Julia Stadlbauer, Barbara Stefan, 1.3.2018)