"Und es ist, wie es ist: Er hat noch nie einen grünen Daumen gehabt, wird nie einen haben": Milena Michiko Flasar hat die Geschichte eines Gärtners wider Willen geschrieben.

Foto: Helmut Wimmer

Als ihn die Nachbarn darum bitten, sich einen Monat lang um ihre Topfpflanzen zu kümmern, will er als erstes Nein sagen. Aber dann rührt es ihn, dass sie ihn brauchen, und er sagt Ja. Und warum auch nicht? Das bisschen Gießen, denkt er, das wird er schon hinkriegen. Obwohl – vielleicht ist er doch zu voreilig gewesen. Immerhin hat er keinen Bezug dazu. Die letzte Pflanze, mit der er in Berührung gekommen ist, war ein sogenannter Ficus benjamini und laut Floristin äußerst pflegeleicht. "Sehr robust", sagte sie und dass man mithilfe des passenden Düngers, welchen er gleich mit dazukaufte, nichts falsch machen könne. Kaum aufgestellt – so, wie es ihm empfohlen wurde: im Halbschatten, bei circa 18 bis 25 Grad, was er mittels Thermometer genauestens überprüfte -, hat das Bäumchen jedoch bald gelbe Blätter bekommen, und das Geräusch, wenn sie zu Boden fielen ... dieses leise, kaum hörbare Geräusch ... ist ihm bis heute in trauriger Erinnerung geblieben. Das Mischen der Erde – Torf und Kompost im Verhältnis von 1:1 – ein letzter Versuch, es am Leben zu erhalten. Die schwarzen Fingernägel. Der Schweiß. Alles Dinge, an die er ungern zurückdenkt. Denn am Ende haben sie nichts genützt, sind vergebliche Anstrengungen gewesen. Das kahle Bäumchen hat er in die Biotonne geworfen.

Zwischen den Orangenschalen und den Resten des Mittagessens sahen seine Äste wie die Arme eines Menschen aus, der sich noch einmal nach etwas ausstreckt, und er empfand einen Schmerz ... als ob er selbst ... aber – so war das nun mal. Und es ist, wie es ist: Er hat noch nie einen grünen Daumen gehabt, wird nie einen haben. Mit Schnittblumen kommt er ganz gut zurecht. Doch auch die lassen schon nach kürzester Zeit ihre Köpfe hängen, was vielleicht daran liegt, dass er die Stängel nicht schräg genug schneidet, vielleicht aber auch daran, dass er das Wasser nicht fein genug temperiert oder es zu kalkhaltig ist. Laut Wasserwerk, welches er postalisch um Auskunft gebeten hat, liegt der Kalkgehalt im Bereich der mittleren bis oberen Härte, was ihn ein wenig tröstet. Denn es ist doch so – grüner Daumen hin oder her. Dass einem alles wegstirbt, wie man's auch macht, hinterlässt – auch wenn man sich damit abgefunden hat – kein schönes Gefühl.

Fleischige Blüten

Die Wohnung der Nachbarn. Ein Dschungel. Schon als er sie betritt, schlägt ihm der Geruch von Feuchtigkeit entgegen, und ihm bleibt die Luft weg, damit ist nicht zu rechnen gewesen. Üppiges Grün, welches sich bis zur Decke schlingt, fleischige Blüten, wohin er auch schaut. Kurz glaubt er, es schleicht ein Tier an ihm vorbei. Ein Panther? Er spürt seinen Blick. Funkelnde Augen, die vorübergleiten. Oder ist es eine Schlange? Ein Vogel? Eine seltene Echsenart? Und er bewegt sich wie einer, der auf der Hut ist, sehr langsam und umsichtig, das Knarren des Bodens versetzt ihn in Alarmbereitschaft: Er könnte jederzeit in einen Sumpf geraten, darin versinken, so! die Arme in die Höhe gestreckt, dabei – er atmet durch – handelt es sich um Klebeparkett-, und damit kennt er sich aus, was eine Tatsache ist, die ihn beruhigt.

Dass es Dinge gibt, mit denen er sich auskennt. Dinge, die hart sind und fest. Und daran klammert er sich, während er von einem Topf zum nächsten wandert, die Gießkanne vor sich her haltend, für den Fall, dass ihn der Panther anspringen sollte, er sich vorstellt: wie er ihm eins überziehen würde, wild drauflosschlagen, ohne hinzuschauen, bis er endlich abließe von ihm, sich winselnd ins Dickicht verkröche. Eine Erinnerung: an Angelika. Die einzige Frau, mit der er bislang eine "Beziehung" hatte, aber er weiß nicht so recht, ob es wirklich eine gewesen ist.

Aber ja, er glaubt, sie hatten etwas. Was er weiß: Es war schön, sie im Arm zu halten. Mehr wollte er nicht. Und sie sind stundenlang bei ihm auf dem Sofa gesessen und haben auf die Tapete gestarrt, eine Waldlandschaft, wobei sie immer näher aneinandergerückt sind. Schön. Doch irgendwann – schon nach den ersten drei Malen – hat ihr das nicht gereicht, und sie hat Sachen gesagt wie zum Beispiel: "Du und ich auf dem Moos, Erich!" Wie er das fände? "Ganz nackt?"

Worauf er nicht antworten konnte, weil sie ihm ihre Zunge tief in den Mund, ihm der Speichel übers Kinn, er mit der Hand, die sie führte, auf etwas Glitschiges gegriffen, an nichts anderes hatte denken können, als wie er es losbekäme von seinen Fingern, aufgestanden ist, um ins Bad zu gehen, sich sehr lange und gründlich gewaschen hat. Angelika ist nachher nicht wiedergekommen, und auch seine Briefe hat sie ohne ein Wort der Erwiderung an ihn zurückgeschickt. Er vermisst sie – und wie!

Er vermisst sie wie den Ficus – kurz da, dann wieder fort, als ob sie vom Sofa aus in den Wald gelaufen wäre, und es ist egal, wie er es anstellt, dort kommt er nicht hin. Da ist die Wand – und die ist dick. An einer Stelle hat sich die Tapete gewellt. Aber man sieht es nicht. Nicht wenn man's nicht weiß. Und wenn doch – hält man es für ein Lichtspiel. Mehr nicht.

Wiese im Park

Was er sich aufgehalst hat! Schon bereut er es. Nur weil ihn einmal einer braucht und er sich gefreut hat, dass er einmal helfen darf. Eine dieser seltenen menschlichen Gelegenheiten. Vom Wasserholen rinnt ihm der Schweiß in den Rücken. Unangenehm, wie das klebt. So sehr geschwitzt hat er nur beim Umtopfen des Ficus und einmal, wann ist das gewesen?, auf einer Wiese im Park. An einem Sonntag – er denkt nach: Das müsste kurz nach der Trennung gewesen sein, aber er weiß nicht, ob es eine Trennung war, Angelika ist so leise gegangen – hat er es sich in den Kopf gesetzt, barfuß, das heißt: so gut wie nackt, übers Gras zu laufen. Eine Mutprobe. Wenn er sie bestünde, so hatte er sich's gedacht, würde sie so leise, wie sie gegangen ist, zu ihm zurückkommen, Händchen halten. Doch schon nach den ersten Schritten taten ihm die Füße weh, lauter Äste, sah er, Steine und Käfer, die er zertrampelte, und er kam sich dumm vor, wie ein Kind, das gerade erst laufen lernt. Besser liegen, dachte er, und legte sich hin, aber da war der Himmel, so weit, er kam sich klein vor darunter. Dass die das können – er beobachtete die Menschen, die ausgestreckt in der Sonne lagen -, ob denen nicht heiß wird?

Nur ihm? Und warum? Als er nach Hause kam, fand er ein Stück Rinde zwischen seinen Zehen. Das war es also, was ihn gedrückt hatte. Er hielt es gegen die Schreibtischlampe. Dann hat er zwei Briefe geschrieben. Einen ans Wasserwerk, dann an Angelika. Im Blick den Wald, der – damals – noch in Ordnung war. Die Tapete – er stöhnt, als er noch einmal die Gießkanne füllt ... nicht zu viel ... sonst schüttet er aus – wird er wohl demnächst von der Wand spachteln müssen. Auch wenn man's nicht sieht – eine Welle bleibt eine Welle – aber ... was ist das? Nein, er weint nicht. Es ist bloß das Wasser, welches ein klein bisschen übergeschwappt ist.

Das Klebeparkett wird es aushalten. Es ist pflegeleicht und "sehr robust", seine Stimme – inmitten der Pflanzen – fast erschrickt er vor ihr, denn sie ist ihm zuvorgekommen, genauso wie es ihm zuvorkommt, dass er sich nun flach auf den Boden legt, die Gießkanne hat er behutsam abgestellt, dass er sich vorstellt, er läge im Wald, auf dem weichen Moos, es – er zählt mit – eine Minute lang aushält, so dazuliegen. Durchs Fenster kommt ein Lichtstrahl. Er hält es aus, dass es ihn in der Nase kitzelt. Und er liegt noch ein Weilchen länger, überlegt sogar, ob er sich ausziehen sollte, wenigstens die Socken abstreifen, was er dann aber doch nicht tut, weil es genügt, still ein- und auszuatmen.

Als er wieder aufsteht, nach knapp fünf Minuten, hat er das Gefühl, etwas geschafft zu haben, und vielleicht, denkt er, wird er das wieder machen, beim nächsten Mal Blumengießen, er hat sich schon lang nicht mehr so lebendig gefühlt wie jetzt, da er eine der Blüten, die sich um ihn ranken, ganz leicht mit dem Finger berührt, dann – plötzlich doch ein wenig mehr wollend – in ihr Innerstes vordringt, ihn gierig befühlt, den klebrigen Stempel, den Blütenstaub vom Nagel leckt. Jemand scheint ihn zu rufen: "Erich!" Wie wohl es tut, bei seinem Namen gerufen zu werden. Und endlich weint er, aber nur ein bisschen, und selbst wenn man es wüsste, man würde es für ein Schnauben halten. Irgendein Tier, das sich schnaubend seinen Weg durchs Geäst bahnt. Kurz stehenbleibt. Weitertrottet.

Die Nachbarn haben einen Zettel dagelassen. "Danke, dass Sie sich um unsere Pflanzen kümmern", liest er. Und ob er so nett wäre, auch noch den Briefkasten zu leeren, einmal die Woche würde reichen? "Ja, aber sicher", murmelt er und ist fürs Erste zufrieden. Mit Briefkästen kommt er ganz gut zurecht, mit denen kennt er sich aus. (Milena Michiko Flasar, 4.3.2018)