"Things" von Saskia Hölbling.

Foto: Anna Stöcher

Wien – Messies sind ausgesprochen inspirierende Personen. Sie sammeln Dinge in ihren Wohnungen, Häusern oder Gärten, die anderen als wertloses Gerümpel erscheinen. Eine heikle Leidenschaft, die zu einem echten Leiden werden kann. Dass sie dies nicht müsste, zeigt die Wiener Choreografien Saskia Hölbling derzeit mit ihrem neuen Stück "things" im Semperdepot der Akademie der bildenden Künste.

Was sich da an Zeug auf einem Tanzboden häuft, bildet ein kunstvoll arrangiertes Chaos. Hölbling und ihre vier Tänzer Ardan Hussain, Leonie Wahl, Jan Jakubal sowie Anna Hein machen kein Hehl daraus, dass sie diese Landschaft aus Plastikplanen, Schläuchen, Sturzhelmen, Behältern, Koffern, Säcken et cetera beherrschen. Echte Messies hingegen lassen sich von ihren höllischen Wucherungen aus Chaos und Ordnung überwältigen. Das macht sie zu tragischen Helden.

Erinnerungen an "Citizen Kane"

Citizen Kane wurde, wie sich in Orson Welles' Film von 1941 herausstellt, zum Messie auf der Suche nach dem Symbol seines verlorenen Kinderglücks – einem Schlitten der Marke Rosebud. Ein ähnlicher Holzschlitten findet sich auch unter Hölblings Dingen. Das könnte eine Anspielung auf "Citizen Kane" sein. Zumal die schöne Anfangsszene des Stücks in ein Licht getaucht ist, das die Bühne in ein beinahe perfektes Schwarzweißbild verwandelt und Wolfgang Mitterers mit diesem Bild einsetzende Komposition an eine Filmmusik erinnert.

Was sich aber dann ereignet, führt weit weg von dieser verführerischen Assoziation, die vielleicht ohnehin nur Wirbelbildungen in den Erinnerungshalden des Betrachters geschuldet ist. Es führt etwa zu Ann Liv Youngs unheimlichem Schwarzweiß in ihrer "Elektra" beim Steirischen Herbst 2014. Und weiter zu Alain Platels "tauberbach" bei Impulstanz in demselben Jahr: Dort bewegten sich die Tänzer ebenfalls in einer Halde aus Abfallstoffen. Ausufernde Dingakkumulationen wie in Isabelle Schads "California Roll" (Tanzquartier 2005) sind ein wiederkehrendes Motiv in der Choreografie der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Mensch vs. Mahlstrom der Dinge

Sehr schön mitzuerleben war das auch bei Vera Manteros Stück "Poetry and Savagery", das den Wienern 1999 von dietheater Künstlerhaus gezeigt wurde. Denn da begannen die Tänzer – wie jetzt auch in Hölblings "things" – sich das sie umgebende Zeug an die Körper zu drapieren und in so geschaffener phantastischer Kostümierung umherzustolzieren wie Paradiesvögel aus einer Parallelwelt. Hier wie da ermöglicht die Poesie den Triumph des Menschen über den Mahlstrom der ihn umschwirrenden Dinge. Das poetische Spiel kann ihn davor bewahren, von diesem Wirbel in den Hades der Depression gezogen zu werden.

Darüber improvisiert das Quartett so liebe- wie kunstvoll berührend auf Hölblings Bühne und zu Mitterers Musik. Diese lässt in ihrer eigenen Messie-Sampling-Sphäre zusätzliche Bedeutungen in die Dynamik der Performer fließen – gegen Ende sogar mit einem Schnipsel aus Klaus Nomis "Remember Me", das Klagelied aus Henry Purcells Oper "Dido and Aeneas". Diese Stimme hätte auch dem vergessenen Schlitten bei "Citizen Kane" geliehen werden können. (Helmut Ploebst, 2.3.2018)