Gesunde, die Joints rauchen, wollen high werden, Kranke wollen damit Schmerzen lindern. Cannabis macht nicht nur lustig. Im schlimmsten Fall löst es Depressionen, Antriebslosigkeit, Angstzustände oder Psychosen aus.

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Mit einem klassischen Kokain-, Heroin- oder Alkoholsüchtigen lässt sich der Cannabiskonsument nicht vergleichen. Wer einen Joint raucht oder Cannabis gegen die Schmerzen konsumiert, wird nicht körperlich abhängig. Allerdings: "Bei fünf bis zehn Prozent kann der dauerhafte Cannabiskonsum zu einer psychischen Abhängigkeit führen", schätzt Christoph Mauel, Facharzt für Innere Medizin, Geriatrie und Palliativmedizin an der Emco-Privatklinik in Salzburg.

Abhängigkeit meint hier einen inneren Zwang zum Konsum. Die Wahrscheinlichkeit für ein solches Verhalten kann sich durch eine genetische Disposition, ein instabiles soziales Umfeld, eine labile Persönlichkeit, den frühen Einstieg in den regelmäßigen Cannabiskonsum, aber auch durch Rauchen und Alkoholmissbrauch im Jugendalter erhöhen.

Der im Cannabis enthaltene Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) bringt Konsumenten zum Kichern, löst Heißhunger auf Süßes aus oder wirkt nach einem langen Arbeitstag entspannend. Er kann aber auch anders. Durch chronischen Cannabisgebrauch kommt es, so Mauel, "zu neuroanatomischen Veränderungen in Regionen mit erhöhter Dichte von Cannabisrezeptoren im Gehirn." THC scheint an diesen schädlichen Veränderungen beteiligt zu sein. Die Substanz kann Depressionen, Antriebslosigkeit, Angst oder Psychosen auslösen.

Die psychische Abhängigkeit ruft mitunter ein unwiderstehliches und maßloses Verlangen nach mehr hervor. Damit sollen Unlustgefühle vermindert und das Wohlgefühl erneut gesteigert werden – in der Suchtmedizin Craving genannt. Aber nicht nur das: Bei regelmäßigem Gebrauch zeigen sich Auswirkungen auf Lunge, Gehirn und Darm.

Harte Zahlen

Die Europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA in Lissabon hat 2015 auf den wachsenden Bedarf nach Therapie- und Betreuungsmöglichkeiten für Cannabiskonsumenten hingewiesen. So gilt Cannabis in den EU-Ländern mittlerweile als Ursache für den größten Teil (45 Prozent) der erstmaligen drogeninduzierten Behandlungsaufnahmen. Konkrete Zahlen nennt der Europäische Drogenbericht 2017: Demnach wurden im Jahr 2006 insgesamt 43.000 Patienten mit cannabisbedingten Problemen aufgenommen, 2015 hatte sich die Anzahl mit 76.000 Betroffenen nahezu verdoppelt.

Die entscheidende Frage: Gilt das Suchtpotenzial auch für den kontrollierten medizinischen Bereich, und inwieweit ist eine psychische Abhängigkeit tolerierbar? Arzneimittel mit THC-Wirkmechanismen wurden bereits Mitte der 1980er-Jahre in den USA zugelassen. Cannabinoide können, kontrolliert eingesetzt, eine schmerzlindernde Unterstützung sein. Gut dokumentiert und nachgewiesen ist eine Behandlung, wenn Schulmedizin und Standardtherapien nicht mehr die gewünschte Wirkung zeigen, betont Mauel, der sich auch mit interdisziplinärer Schmerzmedizin, also der Diagnostik und Therapie komplexer Schmerzbilder, beschäftigt.

Insbesondere bei chronischen, neuropathischen Schmerzen, scheint es wirksam, etwa bei diabetischer Polyneuropathie oder schmerzhafter Spastik bei Multipler Sklerose. Auch bei Morbus Parkinson konnten in der Schmerztherapie gute Erfolge erzielt werden, ebenso als "Add-on" -Therapie bei Tumorerkrankungen, die Übelkeit, Appetitlosigkeit und Schmerzen nach sich ziehen.

Dennoch bleibt auch medizinisches Cannabis eine illegale Droge. Laut Brigitte Kopp vom Department für Pharmakognosie an der Uni Wien gibt es in der Suchtgiftverordnung allerdings die Ausnahmeregelung für die Verschreibung von zugelassenen Produkten aus Cannnabisextrakten sowie für den Wirkstoff THC.

Gilt als Suchtgift

THC wird unter der Bezeichnung Dronabinol in Österreich seit 2004 verschrieben und richtet sich nach der Diagnose und dem Wirkstoffbedarf eines Patienten. "Für die Verordnung muss jeder Arzt ein Suchtgiftrezept ausstellen", erklärt Internist Mauel.

Und wie sieht es in diesem Bereich mit dem Suchtpotenzial aus? "Es besteht und hängt von Dosis und Einnahme ab", sagt Mauel. Man könne es aber nicht mit der körperlichen Abhängigkeit von Opiaten vergleichen, da die körperlichen Abhängigkeitssymptome nach kurzer Zeit verschwinden. Die psychische Abhängigkeit im medizinischen Einsatz von Cannabis sollte in einem Arztgespräch thematisiert werden. "Bei Tumor- und Schmerzpatienten ist die Situation so speziell, dass das eigentlich kein negativer Vorbehalt sein sollte." (Anja Pia Eichinger, 10.3.2018)