Es sind die Disparitäten, die Kärnten so eigen machen. Mystisch schöne Naturgebilde wie der Weissensee werden durch dumpfe braune politische Strömungen getrübt.

Foto: Ferdinand Neumüller

Deutschtümelei, Nationalismus, Identitäre vor dem Wahrzeichen, dem Lindwurm, in Klagenfurt: Das ist noch immer ein Teil Kärntens.

Foto: Ferdinand Neumüller
Foto: Ferdinand Neumüller

"Einen Espresso, bitte." "Homma nit", grummelt der Wirt hinter der alten, dunkelbraunen Holztheke und blickt auf die gut zwölf halb gefüllten, unter dem Zapfhahn hinter ihm wartenden Krügerln Bier. Es ist zehn am Vormittag und einer dieser Donnerstage, an denen draußen vor der Tür des Kultwirtshauses "Pumpe" am Klagenfurter Benediktinerplatz die Bauern ihre Marktstände aufbauen.

Mittlerweile haben die Biergläser saftige Schaumkronen angesetzt und stehen auf den massiven Tischen vor munter palavernden Männern. Da und dort debattieren feiertägig gewandete Ehefrauen an den Stammtischrunden mit.

Es ist Frühschoppenzeit in der "Pumpe", und bevor vorsorgemedizinisch Alarmierte jetzt einwenden, um Himmels willen, so früh und schon ein Bier: Der Alkoholkonsum der Kärntner liegt weit unter dem Bundesschnitt, und die Lebenserwartung im südlichsten Bundesland ist nach wie vor höher als in Wien.

Es sollte an dieser Stelle vielleicht auch der österreichische Philosoph Robert Pfaller zu Wort kommen, der in seinem Buch "Wofür es sich zu leben lohnt" das Biertrinken als "Form des Heiligen im Alltagsleben" beschrieb. Es gehe, wie bei den Riten der Religionen, "um eine Unterbrechung des profanen Alltags".

Der Kaffee mit Bekannten oder eben ein Bier unter Freunden könne "eine Bresche in die Monotonie des Alltags schlagen". Und es gehe letztlich auch um gesellige Momente der Muße, in denen die Beteiligten "kaum anderes können, als sich dessen bewusst zu werden, dass sie leben". "Wir mäßigen uns eh schon maßlos", sagt Pfaller.

Stammtischkultur

Stammtische wie hier in der "Pumpe" sind soziale Integrationsinseln, die allmählich verschwinden und nur noch in Tankstellen oder Einkaufszentren rudimentär weiterleben. Es sind hehre Orte der Psychohygiene. Hier wird Dampf abgelassen, abgewogen, hingerichtet und in den Himmel gehoben.

Und so kreist – wie nicht zu überhören ist – auch an diesem Donnerstag beim Wirt am Benediktinerplatz alles um die eine Frage: Bleiben die Roten am sonntägigen Wahltag am Ruder oder geht sich doch, wie im Bund, Schwarz-Blau aus?

Der Mann mit dem rund gewölbten Bauch, Mitte 60 vielleicht, der an der Bar lehnt und dem Wirt beim Bierzapfen zuschaut, nuschelt, er komme jeden Donnerstag hierher, von Villach, allein schon dieses Stammtisches wegen, an dem sich alle Gesellschaftsschichten träfen: vom Standler bis zur Unternehmerin, vom Universitätsprofessor und Studenten bis zum Bankangestellten.

Der Villacher, der wöchentlich, weil's so nahe ist, mit dem Bus zum Essen nach Venedig fährt, hat jedenfalls schon eine klare Meinung zur Landespolitik: "Dos mit dem Londeshauptmann Kaiser und den Grünen und ÖVP, des passt schon." Die bisherige Dreierkoalition sei in Ordnung, sie dürfen weitermachen, wenn es nach ihm ginge. Er schätze es, dass endlich wieder einmal Ruhe ins Land eingekehrt sei.

Weit im Süden

Und während um diese Tageszeit in der Bundeshauptstadt Wien – sagen wir: im Szenelokal Fabio's – die ersten Austern "Ostriche Creuse con Salsa al Limone e Menta" serviert werden, preist der "Pumpe"-Wirt zungenschnalzend sein Cordon bleu und Gulasch als "das Beste weit und breit" seinen Gästen an.

Draußen vom Markt blinzelt die Wintersonne herein, wohl um aufmerksam zu machen, wie südlich dieses Kärnten eigentlich liegt.

Das ist auch nicht zu überhören. Slowenische Marktstände reihen sich an Kärntner und italienische. Fischbuden sind überhäuft mit frischen Branzini, Garnelen, Goldbrassen und Calamari. Dazwischen ein Olivenbauer, der auch italienischen Käse und süffigen Rotwein ausschenkt, in seiner Nachbarschaft eine Kärntnerin, die Maischalan, gut durchzogenen Speck und luftgetrockneten Schinken anpreist. Und mittendrin: Stände mit Holzschnitzereien, Jesusfiguren, eine Standlerin verkauft Wollsocken, die andere irgendwelche Naturcremen.

Kaum eine Region in Europa ist auf engstem Raum derart gesegnet mit einer solchen Vielfalt an Sprachen, Dialekten und Kulturen, die allesamt diese Kärntner Identität geformt haben – und sie manchmal zu zerreißen drohen.

Klagenfurter Blues

Es ist nicht nur das Fluidum des Mediterranen, das dieses Kärnten so ganz anders anfühlen lässt. Dieses Bundesland hat auch eine eigene Lebensgeschwindigkeit. Während Wien die hektische, aufgeregte, oft hyperventilierende Bundeshauptstadt ist, wird weiter im Süden, in Graz, schon etwas Tempo herausgenommen. Und Klagenfurt lebt den Blues der kleinen Provinzstadt.

So vieles in Kärnten dreht sich ums Essen. Der Ferdl, ein Fotograf, der von der Steiermark der Liebe wegen nach Kärnten gezogen ist, hat den Kopf voller Adressen von Bauern, Fischproduzenten und Fleischspezialisten, die ganz Besonderes produzieren, alles gewachsen und groß geworden in der Kärntner Natur.

Dass sich in einem so kleinen, schnuckeligen Nest wie Kötschach-Mauthen im westlichen Eck Kärntens in der Dreiländerregion zwischen Slowenien und Italien ein Edelgreißler hält, passt ins Bild des Kärntner Savoir vivre. Herwig Ertl hat hier seinen familieneigenen Laden zu einem kleinen Tempel für Spezereien ausgebaut.

Geräucherter Wolfsbarsch, Edelkäse, in der Gegend gebraute Craftbiere, sogar Rotwein gibt's, der hier in dieser extrem begünstigten Klimaschneise prächtig gedeiht. Rundherum haben sich alternative Slow-Food-Produzenten angesiedelt. Kunden kommen auch aus Italien und Slowenien.

Brauner Mief

In dieser auf den ersten Blick dionysisch-lustvollen Beschaulichkeit stellen sich aber zwei für dieses Land nicht unwesentliche Fragen. Erstens: Warum, um Himmels willen, bekommt hier eine extreme Rechtspartei wie die FPÖ eine solche Zustimmung? Und zweitens: Wie kann ein von der Natur so bevorzugter Landstrich mit diesem Reichtum an verführerischen Seenlandschaften, schroffen Bergmassiven und einer so vielfältigen Kultur immer noch braunen Mief hinter sich herziehen?

"Kärnten war halt immer blau", sagt Rolf Holub. Der Grünen-Chef liegt mit seiner schlichten Antwort nicht ganz falsch. Auch unter roter Landesherrschaft schimmerte es gar bräunlich durch.

Der erste Landeshauptmann nach 1945, Hans Piesch, durfte nur kurz im Amt bleiben. Er musste wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktreten, um nicht die Verhandlungen zum Österreichischen Staatsvertrag zu gefährden.

Jahrzehnte später wurde auch Landeshauptmann Leopold Wagner immer wieder mit seinem Vorleben in der Nazizeit konfrontiert. Er bekannte schließlich sehr freimütig, ein "hochgradiges Mitglied" der Hitlerjugend gewesen zu sein. Und keiner im Land nahm es ihm übel. Mehr noch: Wagner hob seine SPÖ in den Wahljahren 1975, 1979 und 1984 stets über die 50 Prozent. Sein Nachfolger Peter Ambrozy hielt sich nur ein Jahr. Dann kamen wieder Wahlen und Jörg Haider.

Ewiger Fasching

Der aus Oberösterreich eingewanderte Haider erkannte rasch, wie auf der Klaviatur der Kärntner Gefühle zu spielen ist. Er wusste um die Empfindsamkeit, um die Identitätsproblematik seiner neuen zweisprachigen Heimat und wie die vielerorts vorhandenen Minderwertigkeitsgefühle zu instrumentalisieren sind. Haider gaukelte seinen Landsleuten Größe und Überlegenheit vor. Der Wahn endete im tödlichen Unfall und im finanziellen Zusammenbruch des Landes. Seine Gefolgsleute trafen einander vor Gericht oder im Gefängnis wieder.

Kärnten wurde in diesen Haider-Jahren und auch danach in den Zeiten, als sein Nachfolger Gerhard Dörfler sich mit skurrilen Politikshows, wie Eröffnungen von Radständern mit Bierausschank, in Szene setzte, vom übrigen Österreich als lustiges Land des ewigen Faschings wahrgenommen, unter dessen Oberfläche immer wieder hässliche braune Fratzen zum Vorschein kamen. Kärnten prahlte mit dem Slogan: "Kärnten ist ein Wahnsinn."

Jörg Haider hat das "Schunkelkärnten", wie es die Politologin Katrin Stainer-Hämmerle nennt, nach Belieben orchestriert, das Dumpfe, das Völkische, das Nationale und das "Deutsche" befördert und damit politische Siege gefeiert.

Das alles hat auch viel mit dem Verdrängen der Kärntner Wurzeln, der eigenen Vergangenheit zu tun. Der aus Deutschland nach Kärnten eingewanderte Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer sagt, "viele Menschen in Kärnten haben eine zusammengesetzte und zerrissene Identität, denn gut die Hälfte der Kärntner Bevölkerung hat ja slowenische Wurzeln". Die oft geleugnet werden. Das schaffe eine verunsicherte Identität.

Die Bakschisch-Kultur

Als Katrin Stainer-Hämmerle vor mittlerweile 14 Jahren von Vorarlberg nach Klagenfurt übersiedelte, um an der dortigen Alpen-Adria-Universität und Fachhochschule Politikwissenschaften zu unterrichten, hat sie "erstaunt wahrgenommen, wie viel anders dieses Kärnten ist". Sie habe bald den Eindruck gewonnen, "viele Menschen verdrängen etwas". Es werde herumgedruckst, mehr hintenherum gemauschelt als direkt ins Gesicht gesagt. So ganz anders als in Vorarlberg, wo man Dinge beim Namen nennt.

"Das hat mich anfangs irgendwie irritiert. Was mich als Vorarlbergerin aber wirklich erschreckt hat, als ich hierher zog, war diese Bakschisch-Kultur, diese kleine Korruption im Alltag. Nicht kriminell, aber grenzwertig, Hier eine Flasche Wein für den Lehrer, da ein kleines Geschenk für den Arzt oder Beamten. So etwas habe ich in Vorarlberg einfach nicht gekannt."

Und alles läuft im Land über Beziehungen. Wer gerade an der Macht ist, versorgt den persönlichen Umkreis der Partei mit Jobs. "Objektivierungskriterien spielen bei Positionen nur eine marginale Rolle", erzählt Katrin Stainer-Hämmerle. Langsam beginne sich jedoch auch hier etwas zu verändern.

Hoher Hightech-Anteil

Ihr Eindruck stimmt: Auch wenn Kärnten in der Vergangenheit mit viel Lust an seinem Hallodri-Image gearbeitet hat, ist ein Wandel des Selbstbildnisses und eine Öffnung erkennbar: Kärnten kommt langsam in Österreich an.

Es blieb ja bisher völlig unterbelichtet, dass Kärnten viel mehr kann als GTI-Treffen am Wörthersee ("Gib Gummi") oder Schlagernächte zu organisieren.

Mehr als die Hälfte der wirtschaftlichen Wertschöpfung kommt aus der produzierenden Wirtschaft. Kärnten ist eigentlich ein Industrieland, noch dazu mit extrem hohen Hightech-Anteil und einer ständig steigenden F&E-Quote. Der Tourismus macht gerade einmal 6,5 Prozent an der regionalen Wertschöpfung aus.

Auch wenn Bilder Jörg Haiders da und dort noch in Kaffeehäusern – mit Trauerflor – hängen und er noch immer bisweilen still verehrt wird; auch wenn die Blauen bei Wahlen zulegen, ist ein Wandel Kärntens hin zur Normalität unverkennbar. Das ist auch in den Diskussionen am Stammtisch in der "Pumpe" herauszuhören, wo gerade die zweite Runde geordert wird. Es wird über Politik ganz normal gemosert, wie überall sonst auch.

Der Villacher Stammgast hat aber noch eine ganz andere Sorge, die er dem Wirt, der das Lokal erst kürzlich übernommen hat, noch mitteilen will, ehe er in den Bus zurück nach Villach steigt: Er solle bitte im Lokal alles beim Alten lassen. Eine Modernisierung, sagt er, wäre "der Tod" dieses letzten großen Kärntner Stammtisches. (Walter Müller, 4.3.2018)