Bild nicht mehr verfügbar.

Kulturelle Debatten statt Fokus aufs Kino: Der wichtigste Filmpreis Hollywoods muss um die öffentliche Aufmerksamkeit bangen.

Foto: APA/AFP/Getty

Los Angeles / Wien – Die Kampagnen, die unter Hashtag-Fahnen wie #MeToo, #TimesUp oder dem nach dem Amoklauf von Florida initiierten #NeverAgain die Öffentlichkeit bewegen, werden gewiss auch bei der 90. Oscarverleihung eine Rolle spielen – offen ist nur, in welchem Ausmaß.

Anders als bei der Golden-Globe-Gala, die schon aufgrund ihrer geringeren Relevanz gerne für Aktivismus genutzt wird, ist die Oscargala das glamouröse Aushängeschild Hollywoods. Und das bedeutet, dass man sich vom kulturellen Momentum ungern lenken lassen möchte, wie etwa Jennifer Todd, eine der Produzentinnen der Show, in der New York Times bemerkt: "Wir wollen es so unterhaltsam wie möglich machen. Respektvoll, aber vor allem witzig und bewegend."

Zu reglementiert für Aktivismus

Eine einheitliche Garderobe wird es nicht geben, ein neuerlicher Oprah-Winfrey-Effekt ist unwahrscheinlich. Die schwarze TV-Moderatorin hatte bei den Globes mit ihrem Plädoyer für neue Zeiten angesichts der laufenden Sexismusdebatten viele mitgerissen. Die Oscars sind im Ablauf jedoch zu reglementiert, um solche aktivistischen Schlenker zu erlauben. Zu viele Zuschauer würden wegzappen, wenn es zu politisch wird, befürchten die Verantwortlichen beim TV-Sender ABC und bei der Academy.

Die Übertragung des letzten Jahres brachte mit 32,9 Millionen Zusehern den zweitniedrigsten Wert seit Beginn der Messungen 1974. Für die Academy ist der Oscar ein Riesengeschäft, das einen Großteil der jährlichen Einnahmen abdeckt, ganz abgesehen vom Werbeeffekt. Angesichts solcher Summen will man traditionelle Unterhaltung betonen: den Glamour, den Showcharakter, die Mode – ohne zu evasiv zu erscheinen.

Weinsteins großer Schatten

Man wird also zu steuern versuchen – Jimmy Kimmel, der die Gala bereits 2017 moderiert hat, sagte dem Branchenblatt Variety: "#MeToo wird ein Teil der Show sein, ich kann aber nicht sagen, zu welchem Prozentanteil." Freilich, der Schatten Harvey Weinsteins ist auch bei den Oscars zu groß, um einfach darüber hinwegzusteigen: 300 Nominierungen hat dieser mit von Miramax produzierten Filmen eingeheimst, 75 davon durfte er auch in Empfang nehmen. Nun hat die Firma wenige Tage vor der Verleihung angekündigt, Konkurs anzumelden.

Dass man sich dem Thema Sexismus nicht aussetzen will, zeigt auch der Umstand, dass Casey Affleck, der 2017 zum besten Darsteller gekürt wurde, keinen Preis verkünden wird, obwohl das Protokoll dies so vorsehen würde. Affleck hatte eine Klage wegen sexueller Belästigung 2010 außergerichtlich geregelt. Umgekehrt erinnert die Nominierung Christopher Plummers als bester Nebendarsteller an eine der bizarrsten Aktionen in Folge von #MeToo: Der Kanadier hatte den aus in All the Money in the World geschnittenen Kevin Spacey ersetzt.

Anwärterfeld im Sinne der Diversität

Womit man bei möglichen Gewinnern von Sonntagnacht wäre: Mit Spannung darf man erwarten, wie sich das mittlerweile im Sinne der Diversität erweiterte Feld in Auszeichnungen niederschlagen wird. Greta Gerwig geht mit Lady Bird erst als fünfte Frau ins Rennen um die beste Regisseurin, ihre Chancen sind jedoch eher gering. Mit Rachel Morrison ist die erste Kamerafrau jemals für einen Oscar nominiert – allerdings ist hier mehr mit Roger Deakins (Blade Runner 2049) zu rechnen, der bereits zum 14. Mal antritt.

In der Königsdisziplin des besten Films bietet die 90. Oscargala hingegen noch einigen Suspense. Guillermo del Toros Fantasyfabel The Shape of Water ist zwar Favorit, doch das Rachedrama Three Billboards Outside Ebbing, Missouri liegt ihm dicht auf den Fersen. Hier entscheidet nicht die "popular vote", sondern die Präferenzwahl – es gewinnt der Film, der am Ende am öftesten unter den Gereihten war. Und vielleicht auch der, der mehr im Zeitgeist liegt. (Dominik Kamalzadeh, 4.3.2018)