Sie küssen und sie schlagen sich: Beatrice (Isabella Knöll) und Benedikt (Jan Thümer) sind am Flirten.

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Wien – Auf einer seiner Kaperfahrten durch die Karibik muss Captain Jack Sparrow irgendwann auch im schönen Mittelmeer vor Anker gegangen sein. "Messina" heißt der Schauplatz von Shakespeares Prachtkomödie Viel Lärm um nichts. Im Wiener Volkstheater glaubt man sich in den Kostümfundus eines Piratennestes versetzt. Der Stadtobere Leonato (Stefan Suske) besitzt nicht nur ein bordeauxfarbenes Samtjäckchen. Ganz bestimmt kann er auch die Konzession für den Unterhalt eines billigen Amüsierschuppens vorweisen (Leider Gottes fehlte ihm bei der Premiere krankheitsbedingt die Stimme. Der Souffleur Jürgen M. Weisert synchronisierte den Pechvogel perfekt!).

Aber Viel Lärm... taugt in Verfolgung hehrer Komödienabsichten – die möglichst umwegige Anbahnung vieler glücklicher Ehen – ohnehin nicht als Sittenspiegel. Dazu sind die Vertreter beider Geschlechter viel zu sehr miteinander zerkracht. Die anrüchige Prise von Leichtlebigkeit und Amoral frischt das Klima in Messina spürbar auf. Ein junger Adeliger (verdutzt: Kaspar Locher) sieht die Ehre seiner Verlobten schändlich diskreditiert. Ein Spaßmacher trifft auf eine ihm ebenbürtige Inhaberin eines Schandmauls.

Die freundlich entblößten Zähne höhergestellter Renaissance-Menschen sind in diesem famosen Nichts von Stück potenzielle Mordwerkzeuge. Was sich liebt, fährt sich darum an die Gurgel. Und weil Messina solcher Gründe wegen auch ein wüstes Schlachtfeld ist, traut man im Haus am Arthur-Schnitzler-Platz kaum seinen Augen. Die Bühne hat eben begonnen, ihre Pappendeckelaufbauten im Kreis zu drehen (Ausstattung: Christian Kiehl), da möchte man als Zuschauer bereits die weiße Fahne hissen. Da haben wir auf der einen Seite Messinas Frauen. Die spielen, komplett mit Schießbude und angerissener Basssaite (Claudia Sabitzer), eine gar schreckliche Ballade im Stile der in Vergessenheit geratenen Nick-Cave-Gefährtin Anita Lane (Gesang: "Hero" Nadine Quittner): "Nothing‘s gonna hurt you, Baby..."

Auf der anderen Seite kreuzen die strunzdummen Piraten die Klingen. Das Blut spritzt, weil Hände in Ärmelhöhe abgetrennt werden. Ein besonders in Mitleidenschaft gezogener Freibeuter (hochexpressiv: Steffi Krautz) wird sich später als Giftspritze hervortun und das Glück der im Zirkus Messina gelandeten Brautwerber nach Kräften torpedieren.

Vor allem aber wird sich Sebastian Schugs kreuzbrave Inszenierung bis zum Schluss nicht entscheiden können. Möchte sie Shakespeares ehemoralische Bankrotterklärung zum Gegenstand einer spaßkulturellen Intervention machen? Dann ist sie einfach nicht witzig genug. Ein Garnisonspater (Thomas Frank), der die ganze Gesellschaft mit Marschierpulver einstaubt; ein kleiner Kopulationsversuch am Rektum eines "ausgestopften" Pferdes: Die Kunst der elisabethanischen Bärenkitzler wird hier schnöde an den Gymnasialhumor verraten.

Lieben und Wiederlieben

Oder aber Schug macht ernst mit Shakespeares Bericht aus den zwischengeschlechtlichen Konfliktzonen. Benedikt (Jan Thümer) muss als loser Untugendschwätzer erst durch eine Intrige darauf gebracht werden, dass er die scharfzüngige Beatrice (Isabella Knöll) liebt. Der Witz besteht natürlich darin zu behaupten: Wenn es schnöde ist, lieben zu müssen – um wieviel süßer ist es da nicht, sich wiedergeliebt zu glauben? Zumal Benedikt lieber sein Heil unter den Röcken von Kammerfrau Margaret (mit Mut zur Zahnlücke: Evi Kehrstephan) suchen und auch finden würde.

Knöll und Thümer gelingen Momente einer geradezu abgründigen Verstrickung von Herzen und rauflustigen Händen. Gefunden haben sie einander, wenn sie zu erschöpft sind, um sich länger mit Worten und Würgegriffen zu vernichten. Mehr von diesem geometrischen Ernst wäre der ganzen, viel zu selbstverliebten Produktion jedoch gut zu Gesicht gestanden. Man muss nicht immer tun, als hätte man alles im Vorhinein begriffen. Bei aller Hochachtung vor dem "spielfreudigen" Ensemble: Wrack ahoi! (Ronald Pohl, 4.3.2018)