1. Die ORF AG

Eine Idee geht um in Österreichs Regierung für die Zukunft des ORF. Zugegeben, nicht nur eine. Aber eine ziemlich grundsätzliche – so grundsätzlich wie die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem Bundesbudget statt aus GIS-Gebühren.

Die Idee: Ein Abschied von der Stiftung öffentlichen Rechts namens Österreichischer Rundfunk. Und eine Neugründung dieses ORF als Aktiengesellschaft. Die Idee jedenfalls begegnet mir seit Wochen in praktisch jedem Gespräch mit Menschen mit Einblick in die medienpolitischen Überlegungen dieser Regierung.

Die Idee hat einigen Charme – für diese Medienpolitik zum Beispiel und vielleicht auch für die wirtschaftliche Führung des ORF, weniger indes für die Belegschaftsvertretung des ORF. Was kann die Umwandlung oder Neugründung des ORF als Aktiengesellschaft bringen?

Foto: ORF/STANDARD-Grafik

Wenn die Regierung mit einem neuen ORF-Gesetz oder auch schon davor die amtierende ORF Führung vor Ende 2021 ablösen möchte, dann kann das recht teuer werden. Die aktuellen Verträge sehen vor, dass der ORF-General und die Direktoren ihre Gehälter bei Ablöse jedenfalls bis Ende 2021 bekommen. Für den ORF-General fallen da jährlich mehr als 400.000 Euro an, für Direktoren um die 300.000. Eine Ablöse Anfang 2019 würde, ganz grob, gut 1,2 Millionen für drei Jahre General kosten und pro Jahr ebenso viel für die vier Direktoren – also über drei Jahre 3,6 Millionen. Ergibt, sehr überschlagsmäßig, 4,8 Millionen.

Eine Umwandlung oder Neugründung als Aktiengesellschaft könnte die Fortzahlung auf zwei Jahre reduzieren – von dieser Regierungs-Überlegung jedenfalls erzählen mir meine Gesprächspartner. Der Vorteil hängt allerdings vom Tempo der Regierung mit dem ORF ab. Eine Ablöse zur Jahresmitte 2019 würde da nicht mehr 1,6 Millionen, sondern nur noch 800.000 Euro ersparen. Immerhin – dafür bekommt man 1,3 Folgen "Vorstadweiber" und 5,3 Folgen eigenproduziertes "Universum".

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Eine ORF AG könnte auch an anderer Stelle beim Sparen helfen. Die Regierung hat sich in ihrem Programm vorgenommen: "Harmonisierung der freien Betriebsvereinbarungen mit dem Kollektivvertrag 03 sowie der Sonderpensionsregelungen mit dem ASVG-System". Nun geht das laut Arbeitsrechtskapazunder Wolfgang Mazal auch ohne Neugründung: "Der Gesetzgeber kann bei gegebenem öffentlichen Interesse – zweifellos sowohl in Kollektivertrag als auch Betriebsvereinbarung und Einzelvertrag eingreifen. Er ist dabei jedoch an die verfassungsrechtlichen Grundsätze gebunden, dass der Eingriff einem legitimen Eingriffsziel dienen muss, das Eingriffsmittel zur Zielerreichung geeignet sein muss und nicht übermäßig sein darf. Angesichts der nicht unmaßgeblich über eine Pflichtabgabe erfolgten Finanzierung sind hier die gleichen Maßstäbe wie beim Eingriff in Sonderpensionen (Nationalbank, Sozialversicherung und so weiter) anzulegen."

Aber, das dürfte ebenfalls hinter der kolportierten Überlegung stehen: Das Schrauben an der Handvoll unterschiedlicher Kollektivverträge plus Freier Betriesvereinbarung geht womöglich mit einer neuen ORF-Gesellschaftsform etwas leichter.

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Drittens könnte eine Aktiengesellschaft nach Aktienrecht eine alte ORF-Tradition beenden, die schon den allermeisten Generälen ihre Mehrheiten sicherte – von Gerd Bacher bis Alexander Wrabetz: Die fünf Betriebsräte im Stiftungsrat (früher: ORF-Kuratorium) stimmen bisher gleichberechtigt mit bei der Bestellung ihrer Chefs, Generaldirektor und Direktoren. Da wurden schon viele Geschäfte gemacht. Laut Arbeitsverfassungsgesetz (§110 Abs 3 Satz 4) brauchen Vorstände jedenfalls eine Mehrheit der Kapitalvertreter im Aufsichtsrat und eine Mehrheit des gesamten Aufsichtsrat.

Kleiner Haken: Das Aktienrecht sieht, wenn ich das richtig überblicke, mindestens 20 Prozent Belegschaftsvertreter vor – bei Firmen über 1000 Mitarbeiter, und die dürfte der ORF auch nach dem neuen ORF-Gesetz doch wohl haben (derzeit sind es im Konzern rund 4000). Im ORF-Stiftungsrat stellen sie derzeit fünf von 35 Mandaten, das wären gut 14 Prozent. Und: Das Prinzip der doppelten Mehrheit für Aktiengesellschaften ließe sich natürlich mit einer Änderung des ORF- und Arbeitsverfassungsgesetzes wohl auch auf den ORF anwenden.

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Und viertens würde eine ORF-AG ganz elegant überleiten zu einem Vorstand (mit mehreren Mitgliedern) für den ORF statt des bisherigen Alleingeschäftsführers.

Die Aktiengesellschaft war in den 1990ern der große Wunsch von Gerhard Zeiler als ORF-General, heftig bekämpft damals von einem schwarzen Fraktionschef im ORF-Stiftungsrat namens Ernst Strasser. Gerhard Weis versuchte seinen Job als ORF-General 2000 mit der Idee einer ORF-"Volksaktie" zu retten, die dem damaligen "Krone"-Chef Hans Dichand überaus gut gefiel – womöglich weil er sich und sein Organ ohnehin als des Volkes einzig legitime Stimme sah.

Der ORF war schon einmal, jedenfalls von 1924 bis 1938, eine Aktiengesellschaft. Die Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft (Ravag) gehörte dem Handelsministerium, der Gemeinde Wien und regierungsnahen Banken, sagen mir zumindest gerade Wikipedia und die sehr detailreiche Rundfunkchronik im großartigen Datenschatz der ORF-Medienforschung. Nach NS-Herrschaft und -Propaganda und ab 1945 Alliiertem-Funk kam der Österreichische Rundfunk, kurz ORF. Erst als öffentliche Rundfunk-Verwaltung. Im Dezember 1957 konstituierte er sich als GmbH (übrigens mit einem Vorstand). Sie gehörte nach meinem Wissen dem Bund, 2,7 Prozent hielten die Bundesländer.

Was zur Frage führt: Wem wird eine ORF-AG gehören? Heute hat der ORF im Grunde keinen Eigentümer. Mit Bruno Kreiskys Rundfunkgesetz 1974 (um Bacher als ORF-Chef loszuwerden) wurde die GmbH zu einer "Anstalt öffentlichen Rechts". Und 2001 mit dem ORF-Gesetz der schwarzblauen Regierung Schüssel/Riess-Passer (um Gerhard Weis loszuwerden) zur Stiftung – also zu eigentümerlosem Vermögen mit Stiftungszweck.

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2. Wo bleibt die Wochenschau?

Hier! Die ORF-AG wird eher nicht in den nächsten sieben Tagen kommen. Was tut sich also in dieser Woche absehbar, ohne Anspruch auf Vollständigkeit?

  • Über Jo, Billag! in der Schweiz und die Folgen werden wir wohl noch ein paar Tage nachdenken.
  • Von der Gebührendebatte am Sonntagabend "Im Zentrum" mit einem schon etwas heiseren ORF-General werden wir wohl noch lesen. Zu sehen gibt es sie hier.
  • Gleich am Montagabend startet Puls 4 Frühstückfernsehen im Vorabend, wie es Gerhard Zeiler 1995 für den ORF erfand. Immerhin: Frühstücksfernsehen begann ProSiebenSat1 mit Puls 4 schon elf Jahre vor dem ORF.
  • Am Mittwoch lädt der ORF-Publikumsrat noch einmal in alter, überwiegend sozialdemokratischer Besetzung zu einem Studientag über Fake News. Könnte sein, dass ich die Sitzung da und dort falsch für 8. und nicht für 7. März angekündigt habe – wie passend.
  • Tatsächlich am Donnerstag erscheint Susanne Schnabls Plädoyer für eine neue Streitkultur im Verlag Brandstätter. Schlüssiger Titel der "Report"-Anchorwoman: "Wir müssen reden".
  • Bis Freitag freuen wir uns vor auf die neuen Daten der österreichischen Web-Analyse (ÖWA) über die Visits, Usetime, Unique Clients österreichischer Plattformen im Februar.

Und müsste sich der ORF-General nicht langsam mit dem Betriebsrat über die neue Channel-Struktur für ORF 1 und ORF 2 einigen (die Belegschaftsvertreter haben nur ein Anhörungsrecht, soweit ich höre)?

Kommen Sie gut in die neue Woche. (Harald Fidler, 5.3.2018)