Erste Seite der mexikanischen Protestnote vor dem Völkerbund, eingebracht am 19.3.1938 durch Mexikos Vertreter im Völkerbund Isidro Fabela.

Foto: Sammlung Christian Kloyber, Original im Archiv des Völkerbunds, UNO, Genf.

Als vor ziemlich genau 80 Jahren Hitlertruppen in Österreich einmarschierten und damit den "Anschluss" ans Deutsche Reich vollzogen, reagierte die Welt darauf mit bemerkenswertem Gleichmut. Nur ein einziges Land protestierte vor dem Völkerbund gegen diese eklatante Verletzung des Völkerrechts: das ferne Mexiko. In der Folge fanden an die 1500 von den Nazis vertriebene und verfolgte Österreicher in diesem Land Aufnahme.

Den Flüchtlingen wurde die Integration nicht schwergemacht, was auch die kulturelle Landschaft ihres Asyllandes geprägt hat: Vertriebene Schauspieler wurden von der mexikanischen Filmindustrie engagiert, österreichische Komponisten lieferten Filmmusik, und es gab zahlreiche Konzerte mit "verbotener Musik" von Arnold Schönberg bis Gustav Mahler.

Die erste lateinamerikanische Ausstellung der Surrealisten wurde 1939 in Mexiko vom in Wien geborenen Maler und Poeten Wolfgang Paalen organisiert, und die Internationale Buchhandlung in Mexiko-City hat der Wiener Sozialist Rudolf Neuhaus gegründet. Es gab die österreichische Exil-Zeitschrift Austria Libre und ein eigenes Radioprogramm: La Voz de Austria.

Neben rassisch verfolgten Künstlern und Intellektuellen fanden auch viele politisch verfolgte Kommunisten, Sozialisten und Christlichsoziale Asyl. Mehr als 30.000 spanische Republikaner und Kämpfer der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg erhielten sogar ein "Blankovisum".

Solidarische Gesinnung

Ab März 1938 habe sich in Mexiko "eine aktive und systematisch angewandte Politik der Unterstützung politisch Verfolgter aus Europa herauszubilden begonnen", kann man in der Publikation Österreicher im Exil: Mexiko 1938-1947 des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) nachlesen: "Protagonisten dieser solidarischen Gesinnung waren vor allem mexikanische Schriftsteller, Künstler und Diplomaten."

Mexiko hielt gegen das Naziregime die Fahnen hoch. Hier ein antifaschistischer Protestmarsch der Gewerkschaftsbewegung 1942.
Foto: Hermanos Mayo, Archivo General de la Nación, México / Archiv Christian Kloyber

Was waren die politischen Hintergründe dieser in der Geschichte so seltenen humanitären Haltung? "Seit der Unabhängigkeitsbewegung von 1810 und verstärkt nach der Großen Mexikanischen Revolution ab 1910 hat sich die Diplomatie dezidiert auf den Grundsatz der Nichteinmischung und der Solidarität mit unterdrückten Völkern berufen", erklärt Christian Kloyber, Leiter des Bundesinstituts für Erwachsenenbildung und Lateinamerikanist, der an der DÖW-Publikation maßgeblich mitgewirkt hat, und am 14. März an der Uni Graz einen Vortrag zum Thema hält.

Starkes Zeichen setzen

Insbesondere der mexikanische Diplomat und Völkerrechtsexperte Isidro Fabela habe sich um 1938 für die Umsetzung dieser Prinzipien in der Außenpolitik des mexikanischen Präsidenten Lázaro Cárdenas eingesetzt. "Mit dem Protest gegen den 'Anschluss' wollte Mexiko als postrevolutionäres Land in der Wirtschaftskrise ein starkes politisches Zeichen setzen", sagt Kloyber. Zudem habe es bereits in der Zwischenkriegszeit enge Kontakte – etwa des mexikanischen Schriftstellers und späteren Bildungsministers José Vasconcelos – mit dem "Roten Wien" gegeben.

Während es für Spanienkämpfer bis 1941 keine zahlenmäßige Beschränkung gab, wurde die Quote für Deutsche und Österreicher von der mexikanischen Einwanderungsbehörde 1939 von 5000 auf 1000 Personen gesenkt. Und was geschah mit jenen "einfachen" Flüchtlingen, die keine Künstler, Wissenschafter oder politisch verfolgte Kämpfer gegen Franco oder Hitler waren? Stand auch ihnen die Tür zum mexikanischen Exil offen? "Das wird in der Forschung kontrovers diskutiert", sagt Kloyber.

Jedenfalls habe es mehrere Möglichkeiten gegeben, ins Land zu kommen: Mittels Asylvisum, das vor allem politisch Verfolgte und Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft bekamen. Auch als sogenannter "Anleger" wurde man auf Basis einer bestimmten Mindestinvestition ins Land gelassen. Falls das Geld dafür nicht reichte, konnte ein mexikanischer Staatsbürger im Rahmen einer Einladung für sämtliche Ausgaben des Geflüchteten bürgen.

Zwiespältige Politik

Wer auf nichts davon zurückgreifen konnte, fand mitunter auch in Mexiko keine Rettung mehr. Wie jene jüdischen Flüchtlinge, die 1940 nach einer langen Odyssee im mexikanischen Hafen von Veracruz landeten und auch dort nicht an Land gelassen wurden. Sie mussten nach Deutschland zurückkehren, was für viele den Tod im KZ bedeutete.

"Ein Grund dafür war auch eine gewisse Diskrepanz zwischen der Innen- und der Außenpolitik Mexikos", meint Kloyber. "Während im Außenministerium bedeutende Schriftsteller und Humanisten wie Fabela agierten, entschieden die Einreisebehörden auf Grundlage rassistischer Auswahlkriterien." Das Bild Mexikos als strahlender Helfer der Verfolgten und Entrechteten schrumpft zwar in den Niederungen der Realpolitik – nichtsdestotrotz wird auch in diesen Tagen an Mexikos tatkräftige Solidarität erinnert. (Doris Griesser, 10.3.2018)