Die Welt ist schlecht, das Leben schön: Der US-amerikanische Popintellektuelle David Byrne verhandelt auf seinem Soloalbum "American Utopia" gegen jede Hoffnung das Gute im Menschen.

Foto: Warner / Jody Rogac

Wien – Eine gewisse Lebenserfahrung sagt uns relativ früh, dass es sehr wichtig ist, von den Menschen geliebt zu werden. Es ist sehr unangenehm, gehasst zu werden. Ebenso naheliegend ist es im Leben, dass man zwischen den Polen Gedeih und Verderb mit Optimismus eher die Blätter der Radieschen von oben und mit Pessimismus eher deren Knollen von unten anschauen kann. Kurz, wer sich und anderen etwas Gutes tun will, läuft am besten unter dem Verdacht, ein netter Halbdodel zu sein, der niemandem etwas Böses will, durchs Leben.

Ähnlich wie der ebenfalls in New York lebende Vorarlberger Künstler Stefan Sagmeister mit seiner Happy Show fährt David Byrne, der sich von ihm schon Albumcover designen ließ, gegenwärtig ein ähnliches Programm. Mit seinem Multimediaprojekt Reasons To Be Cheerful (Gründe, fröhlich zu sein) versucht er sozusagen als Versuchsanordnung wider besseres Wissen zweckoptimistisch die Welt ein wenig angenehmer zu gestalten, indem er sich selbst zu einem besseren Menschen macht. Moment, hat es nicht immer geheißen, gut ist das Gegenteil von gut gemeint? Gutes tun ist heute jedenfalls ein ziemlich trendiges soziales Tool.

Ob David Byrne das alles wirklich ganz ernst meint, kann man bei dem Mann mit dem mindestens amüsiert-ironischen Blick auf die Welt und ihre Bewohner nie so ganz sagen. Man erinnere sich nur an den letzten Hit seiner früheren Band Talking Heads: "We're on a road to nowhere, hey!" Und als seit gut einem halben Jahrhundert gelernter New Fucking Yorker mit Kiefersperre ist der Mann laut eigener Aussage auch bestens gegen überzogene Erwartungen und Utopien gewappnet. Die neue positive Weltsicht wird also pragmatisch als Versuchsanordnung gesehen.

David Byrne

Nach dem Ende der eine ganze Ära postmodern prägenden Talking Heads und Albumklassikern wie Fear Of Music oder Remain In Light arbeitete Byrne ab 1991 als Chef seines Worldmusic-Labels Luaka Pop und produzierte gelegentlich Soloalben mit unter anderem brasilianisch beeinflusster Musik sowie ein literarisches Loblied auf das Fahrradfahren (Bicycle Diaries, 2009).

Nach diversen Kollaborationen, zuletzt mit der New Yorker Musikerin St. Vincent, oder dem Designen öffentlicher Fahrradständer stellt der 65-Jährige für Reasons To Be Cheerful nun seine Internet-Plattform zur kuratierten Verfügung. Auf der finden sich neben einem eigenen Journal unter anderem die fröhliche Teletubbies-Wissenschaft der "Neurosociety" oder aktuelle Beiträge zum Umweltschutz oder zur Waffendebatte in den USA. David Byrne hält im universitären Umfeld Vorträge im Stile von Heizdeckenverkäufern über das Glücksbärchi-Dasein – und nebenher ist in den letzten beiden Jahren dabei auch neue Musik entstanden.

Realität ist Fiktion

Das Album American Utopia ist Byrnes erstes Soloalbum seit 14 Jahren. Die Texte sind vor Trump entstanden, weil die dunkle Macht ja noch nie eine Nachwuchshoffnung gewesen ist. Die Musik basiert ebenso auf nicht ganz frischen Zutaten. Brian Eno als alter Weggefährte seit Zeiten der Talking Heads produzierte die rhythmische Basis und singt seine schönen Schlagerchöre.

Dazu hört man digitale Funk-Updates, afrikanische Gitarren, intellektuellen Gospel, modischere Knusperelektronik, eine chinesische Zither und einen stimmlich ausgedünnten Byrne mit gewohnt kryptischen Texten, die gar nicht so sehr auf Komfortzone machen: "A place where nothing matters / Where the wheels of progress turn / Where reality is fiction / But the dogs show no concern." Erwachsenenpop für Menschen, die vor 35 Jahren auf der Uni gleichzeitig Blondie hörten und sich Bücher von Foucault kauften – dann aber eh nicht gelesen haben. (Christian Schachinger, 7.3.2018)