Wenn die Regierung mit der Einführung neuer Lehrberufe und der akademischen Gleichstellung des Meisterbriefs mit einem Bachelor die duale Ausbildung aufzuwerten versucht, dann ist das ein grundsätzlich richtiger Schritt. Die Lehrlingsausbildung mit ihrer Mischung aus Arbeitspraxis und Schule ist eines der großen Erfolgsmodelle der österreichischen Wirtschaft, das weltweit Beachtung und manche Nachahmer findet. Die meisten Staaten, die es versuchen, tun sich damit schwer: Das System verlangt eine Unternehmenskultur, in der Betriebe bereit sind, mit viel Aufwand junge Leute auszubilden, die dann oft anderswo Arbeit suchen, sowie ein gut ausgebautes Netz von Berufsschulen, die sich auf die Bedürfnisse der Unternehmen einstellen können.

Aber auch in Österreich hat das Lehrlingswesen an Glanz verloren. Immer weniger Firmen nehmen Lehrlinge auf – die Zahl der Lehrstellen ist seit 2010 um 18 Prozent auf knapp über 100.000 gefallen. Deshalb kommen immer mehr junge Menschen in überbetrieblichen Lehrwerkstätten unter, die zwar eine Ausbildung, aber keine echte Berufspraxis anbieten. Gleichzeitig tun sich lehrwillige Firmen immer schwerer, geeignete Anwärter zu finden. Der wachsende Fachkräftemangel in Österreichs Wirtschaft spiegelt sich bereits im Arbeitsmarkt für 15-Jährige wider.

Schuld daran sind einerseits die vielen Eltern, die ihren Nachwuchs zur Matura und ins Studium drängen, selbst wenn ihnen eine Lehre bessere Chancen am Arbeitsmarkt bieten würde. Aber der Lehre fehlt das Prestige. Ob die Aufwertung des Meistertitels an diesen Einstellungen viel ändern wird, ist fraglich. Vielleicht wird der neue Lehrberuf des E-Commerce-Kaufmanns ein Renner. Aber die Besten jedes Jahrgangs mit solchen Interessen werden sich wohl doch für einen Weg zur Matura entscheiden.

Dabei wird die Lehre heute dringender denn je benötigt, nämlich für all jene Teenager, die keinen Hang zur Schule haben. Und dazu zählen viele junge Männer mit Migrationshintergrund – doch genau in dieser Gruppe ist die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage am größten. Sie finden entweder keine Lehrstellen, weil ihnen die nötigen Qualifikationen fehlen, oder sie brechen ihre Lehre verhältnismäßig oft ab, weil sie von ihrem familiären und gesellschaftlichen Umfeld nicht jene Selbstdisziplin mitnehmen, die man braucht, um als Noch-nicht-Erwachsener täglich früh aufzustehen und zur Arbeit zu gehen.

Betriebe stehen daher vor dem Problem, dass sie die Lehrlinge, die sie wollen, nicht bekommen, und die, die sie bekommen, nicht gebrauchen können. Viele Lehrstellen bleiben daher unbesetzt und werden dann irgendwann nicht mehr angeboten.

Eine wirkungsvolle Lehrlingsoffensive muss daher früher ansetzen, nämlich in den Neuen Mittelschulen und bei der Integration. Schulabgänger, die nicht sinnerfassend lesen können und das Lernen nie gelernt haben, sind für den Arbeitsmarkt verloren.

Nun können Betriebe dank des Zuzugs aus dem Osten ihre offenen Stellen meist doch noch besetzen. Aber jeder Jugendliche, der keine Lehre abschließt, droht sein Leben lang ein wirtschaftlicher und sozialer Notfall zu bleiben. Spannende neue Lehrberufe mit hohen technischen Ansprüchen, wie sie die Regierung nun plant, werden ihm nicht helfen. Das Problem sitzt viel tiefer. (Eric Frey, 6.3.2018)