Sängerin Lucy Dacus in ihrer Uniform: Nicht jeden Quatsch mitmachen, sich nicht zu schnell beindrucken lassen.

Foto: Matador / Dustin Condren

Wien – Etwas zu überwinden kostet Überwindung. Jedes Mal. Aber es muss sein. Die Psychologie lehrt uns, dass es die Anstrengung wert ist. Ansonsten schleppen wir bald zuviel herum. Altlasten, die in die Gegenwart reichen oder uns gar die Zukunft verbauen. Das braucht niemand, schon gar nicht mit 22. So alt ist Lucy Dacus.

Ihr sind in den letzten zwei Jahre in paar Dinge widerfahren. Zuerst die Guten: Im Jahr 2016 veröffentlichte die US-Musikerin ihr Debütalbum "No Burden". Schon der Titel illustriert, dass sie nicht bereit ist, Lasten mit sich herumzuschleppen. Physische? Okay, jeder geht mal Shoppen, aber psychische? Sicher nicht.

Im Netz abgehoben

Die auf 300 Stück limitierte Platte hob über seine Verbreitung im Internet ab, innerhalb kürzester Zeit wollte ein gutes Dutzend Plattenfirmen die junge Frau aus Richmond, Virginia, unter Vertrag nehmen. Alle überzeugte ihr trockener Vortrag. Der signalisiert eine Überzeugungskraft, eine sanfte Autorität, deren Lakonie ihre oft im Midtempo angesiedelten Songs bestens transportiert.

In diesem Duktus trug sie das Lied "I Don‘t Wanna Be Funny Anymore" vor. Das ist ein sympathisch rumpelnder Rocker, so etwas wie der Hit ihres Erstlings. Darin sagt sich Dacus davon los, eine ihr zugeschriebene Rolle zu spielen, nur um in einer Band sein zu können.

Pitchfork

Man kann sagen, die Mission ist geglückt. Seit "No Burden" wird sie als nächstes großes Ding im Independent-Rock gehandelt, jetzt ist ihr zweites Album "Historian" erschienen.

Das eröffnet mit dem Song "Night Shift". Darin singt Dacus, dass sie lieber in der Nacht arbeite, als ihren Alten zu sehen. Der Hintergrund des Songs ist die in die Brüche gegangene Beziehung mit ihrem früheren Bassisten. Der zählt zu den schlechten Erlebnissen der letzten Jahre. Er soll sie missbraucht haben – was auch immer sich in ihrem Fall hinter dem englischen Wort "abusive" konkret verbirgt.

Wie kann man nur?

Das thematisiert sie im Song "Night Shift". Er besitzt angesichts seines Sujets zwar einen bitteren Beigeschmack, doch Dacus trägt den Song in ihrer lidschweren Art vor. Ermattet, enttäuscht, weil: Wie kann man nur? Dacus enthält sich jedoch einer grimmigen Abrechnung, sie begibt sich nicht auf das Niveau ihres Ex. Der warme Klang des Songs steigert sich in über sechs Minuten zu verhaltenem Lärm. Dacus zeigt sich verletzt, aber nicht gebrochen.

Intime Momente ...

Ihr Umgang mit den Rollenbildern, denen sie als Frau im Alltag ausgesetzt ist, macht einen Gutteil des Charmes ihrer Songs aus. Ein wenig erinnert sie an Liz Phair, ohne deren zugespitzte Ausflüge ins Schweinische. Für ein "Fuck And Run" wirkt Dacus zu beherrscht, doch im Tonfall könnten die beiden Schwestern sein.

Matador Records

Aufgenommen wurde "Historian" in Nashville. Es ist breiter instrumentiert und besser produziert als ihr Debüt. Dieses entstand in einer einzigen Session und war das erste Mal, dass sie mit Band spielte. In Interviews gibt sich Dacus fast schon über Gebühr normal, manchmal soll sie sogar stricken.

Um sich mit ihrer neuen Rolle als Indie-Star zu arrangieren, hat sie begonnen, Lippenstift aufzutragen, wenn sie auf die Bühne oder zu einem Interview geht. Sie nennt das ihre Uniform:_Der intime Moment vor dem Spiegel vermittelt ihr jedes Mal, dass ihr Leben jetzt eine neue Seite hat. Diese konfrontiert sie mit der privaten. In "Pillar Of Truth" singt sie über den Tod ihrer Großmutter, der Liedtext ist an deren Totenbett entstanden.

... am Totenbett

Auch das hat sie getroffen, doch die Art, mit der ihre Großmutter gegangen ist, habe ihr ebenfalls mehr Kraft gegeben als gekostet. In Zeilen wie "Raised in the age of milkmen" verschmelzen ihr Leben und das der Oma. Es ist der längste Song auf "Historian". Er geht ins Epische, wird am Weg dorthin von Bläsern unterstützt, und Dacus geht weiter aus sich heraus als sonst, zieht ihre Stimme nach oben, dorthin, wo manch Glaube die Zukunft der in die Ewigkeit Entsandten vermutet.

Matador Records

Dacus Musik ist unaufdringlich. Sie ist ein Angebot ohne Marktgeschrei, ohne Marketingirrsinn, den eine so normal wirkende junge Frau nicht mit Leben erfüllen könnte, ohne sich aufzugeben. Doch genau das spielt‘s nicht mit ihr. Es sei absurd genug, sagt sie, dass sie mit einem Song ins Unterhaltungsgeschäft eingestiegen ist, in dem sie singt, dass sie niemanden mehr unterhalten will.

Dieses Sich-Wundern, möge sie sich erhalten. Es hat den Größten des Fachs – man vergleicht Dacus schon mit Joni Mitchell – fruchtbare Karrieren beschert. Der Rest ist Überwindung. Wie immer. (Karl Fluch, 7.3.2018)