Wir kochen heute vielleicht weniger oder nähen nicht mehr selbst, dafür müssen wir uns coachen lassen und uns selbst inszenieren. Die selbstversorgende Arbeit ist nicht weniger, sondern lediglich anders geworden, sagt Andrea Komlosy.

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STANDARD: Seit der Industrialisierung gilt vor allem Erwerbsarbeit als "Arbeit". Ist das heute noch so?

Komlosy: Ja, dieser Einschnitt verfolgt uns noch heute und wirft einen Schatten auf all jene, die in häuslichen Arbeitsverhältnissen verbleiben. Der Selbstversorgungsanteil ist aber im Prinzip nicht kleiner geworden, wir kochen vielleicht weniger oder nähen nicht mehr und kaufen Kleidung immer fertig. Aber die Selbstversorgung ist in andere Bereiche gewandert: Wir schauen, dass etwas aus den Kindern wird, wir motivieren uns mit Coachings oder inszenieren uns.

STANDARD: Das würden Sie auch schon als selbstversorgende Arbeit definieren?

Komlosy: Ja, darunter fällt nicht nur alte Menschen zu pflegen oder Kinderbetreuung. Sorgearbeit ist im Grund alles, was die Menschen fit für das Leben da draußen macht. Früher waren diese Tätigkeiten vielleicht schlichter, ich wollte jetzt sagen: existenzieller. Aber ich bin nicht sicher. Natürlich gibt es Grundbedürfnisse, und wenn die nicht befriedigt werden, stirbt der Mensch. Wenn jemand nicht gecoacht wird, stirbt niemand – es gibt also eine materielle Hierarchie dieser Tätigkeiten. In der heutigen Gesellschaft sind Männer und Frauen jedenfalls auch dieser Arbeit am Selbst ausgesetzt. Wenn sich jemand richtig stylt, ist das vielleicht nicht unmittelbar mit einem bestimmten Auftrag verbunden, es dient aber trotzdem dazu, dass sich diese Person in der Gesellschaft anerkannt fühlt. Das kann wichtige Arbeit sein.

STANDARD: Warum ist es wichtig, den Arbeitsbegriff zu erweitern, wie Sie es vorschlagen?

Komlosy: Wenn Arbeit nur als Erwerbsarbeit gilt, die noch dazu mit sozialer Absicherung verbunden ist, dann rutschen alle, die nicht dieser Norm entsprechen, durch. Menschen in unsicheren oder unbezahlten Arbeitsverhältnissen wird so Nichtarbeit unterstellt. Würde man sich angesichts der aktuellen Lage an diesem Arbeitsbegriff festhalten, würden demnach nur sehr wenige arbeiten, weil der Großteil nicht mehr typisch arbeitet, sondern atypisch. Wobei heute das Atypische typisch geworden ist.

STANDARD: Demnach schrumpft auch die Freizeit?

Komlosy: Freizeit ist ein Mythos, durch den sich wieder ein bestimmter Arbeitsbegriff durchsetzt. "Ich komme aus dem Büro, und dann bin ich in der Freizeit." Damit werden sämtliche Arbeiten negiert, die in der Freizeit stattfinden – auch von denen, die erwerbstätig sind. Die Menschen arbeiten zu Hause weiter, hauptsächlich Frauen. Aber auch Männer, wenn sie etwa in der Garage unter dem Auto liegen. Generell ist schwer festzulegen, welche Elemente genau als Freizeit gelten. Wenn ich nach Hause gehe und Marmelade einkoche, ist das für mich Freizeit. In einem subsistenzlastigeren Haushalt, in dem dauernd Haltbarmachungen vorgenommen werden müssen, ist es Arbeit. Es kommt auf den Kontext an, was Freizeit ist.

STANDARD: Apropos "Freizeit": Sie sagen, dass außer gebrechlichen Menschen fast alle in irgendeiner Weise arbeiten. Sie sind erwerbstätig, in Ausbildung, kümmern sich um die Familie oder engagieren sich ehrenamtlich. Wie beurteilen Sie dann Rentiers oder Erben? Im Gegensatz zu Arbeitslosen werden diese in der Gesellschaft weit weniger negativ bewertet, oder?

Komlosy: Das kommt auf die Perspektive an. Würden wir marxistisch an die Sache herangehen, wäre der zentrale Topos: Warum muss ich arbeiten, und der Unternehmer lebt vom Mehrwert, den ich durch meine Arbeit schaffe? Es ist also eine Frage der Definitionsmacht, wer als faul gilt. Wenn ich Erbe, Rentier oder Unternehmer bin, der Zugriff auf fremde Arbeitskraft hat, die ich zusammen mit dem Kapital für mich arbeiten lassen kann, dann bekomme ich tatsächlich ein Einkommen, das sich nicht aus Arbeit ergibt. Insofern sind es in dieser Hinsicht wirklich jene, die vom Kapitalertrag leben, die nicht arbeiten. Das ist allerdings eine sehr abstrakte Sicht, denn wenn ich die konkreten Personen ansehe, ist es natürlich nicht so, dass Kapitalisten und Spekulanten nur im Lehnstuhl herumsitzen. Sie arbeiten oft viel und auch schwer. Man muss kritisieren, dass sie sich aufgrund ihres Kapitalbesitzes ein Einkommen von anderen erarbeiten lassen, zu dem sie selber nicht beitragen. Trotzdem möchte ich nicht den Mythos bestärken, dass sie selbst nicht auch arbeiten.

STANDARD: Sie können aber selbstbestimmter arbeiten, was bei Lohnarbeit für viele einen großen qualitativen Unterschied bedeutet. Wann ist das Thema Selbstbestimmung in der Arbeit aufgekommen?

Komlosy: Mit der Entwicklung des Handwerks. Wenn sich die Gesellschaft differenziert, Spezialhandwerke entstehen, die auch komplexere Ausbildungen brauchen, dann kann sich der Handwerker in diesem Produkt realisieren. Die ganze Vorstellung von Kontrolle über den Arbeitsprozess und kreativer Arbeit steckt in dem Handwerksgedanken: Man hat Vorstellungen von einem Produkt, braucht Werkzeuge, und dann setzt man es um und kann sich damit identifizieren.

STANDARD: Haben diese Identifikation mit der Erwerbsarbeit also vorwiegend Menschen mit ausbildungsintensiveren Berufen?

Komlosy: Das Problem einer arbeitsteiligen Gesellschaft ist, dass die Arbeiten nicht nur unterschiedlich anerkannt sind, sondern auch unterschiedlich unangenehm oder angenehm sind. Auch wenn wir alles digitalisieren und rationalisieren, bleiben immer mühsame Arbeiten. Eigentlich ist es absurd, dass das, was niemand machen will, nicht dem Angebot-und-Nachfrage-Verhältnis entspricht. Wir lösen das derzeit einfach so, indem wir billige Arbeitskräfte aus dem Ausland holen und nicht darüber nachdenken, für schwere und mühevolle Tätigkeiten mehr zu bezahlen, um den Anreiz zu erhöhen. Dann wäre es zumindest eine unangenehme Arbeit mit höherem Lohn, schließlich gibt es immer Menschen, die in bestimmten Lebensphasen einfach Geld verdienen wollen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass bestimmte unangenehme Tätigkeiten nicht einfach delegiert werden, sondern in den Ablauf anderer Arbeiten integriert werden.

STANDARD: In angenehme Jobs sollen Tätigkeiten von unangenehmen Jobs einfließen?

Komlosy: Ja, zum Teil passiert das schon. Früher wurden Schreibarbeiten in bestimmten Berufssparten einfach abgegeben. Wenn ich meinem Vater, der in einer Managerposition war, gesagt hätte, er soll selbst tippen, hätte er gesagt: "Tippen? Ich?" Er konnte auch gar nicht tippen, er schrieb mit der Hand oder diktierte. Heute müssen auch Professoren und Professorinnen ihre Schreibarbeit selbst erledigen. Wenn man in seinem Job sehr viel zu tun hat, wird es einem auch niemand übelnehmen, dass man daheim eine Putzfrau hat. Andererseits wäre es durchaus normal, dass man auch die Dinge, die nicht so angenehm sind, einfach selbst erledigt. Die unangenehme Arbeit müsste also besser verteilt werden – und besser bezahlt.

STANDARD: Eine Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist die Entkoppelung von Arbeit und Lohn. Eine mögliche Lösung für die Verteilung von Gratisarbeit und Erwerbsarbeit?

Komlosy: Das bedingungslose Grundeinkommen kommt mir wie die Maschinengläubigkeit der Sozialisten im 19. Jahrhundert vor, nach der die Maschine das Notwendige erledigt und der Mensch sich dem Kreativen widmen kann. Das ist völlig illusorisch. Es ist wichtig, dass alle Menschen Zugang zu Einkommen haben, ich finde aber nicht, dass man das Einkommen gänzlich von Erwerbstätigkeit abkoppeln sollte. Allerdings müsste Arbeit völlig anders verteilt werden, und zwar so, dass berücksichtigt wird, dass neben der Erwerbstätigkeit auch andere Formen von Arbeit verrichtet werden müssen. Und das bedeutet Erwerbsarbeitszeitverkürzung. Das bedingungslose Grundeinkommen kann nur in einer privilegierten Gesellschaft funktionieren, die in der Lage ist, Produkte wie Schuhe, Kleider, Möbel, Autos, Handys von irgendwo zu importieren, wo es kein bedingungsloses Grundeinkommen gibt – und wo die Leute richtig schön ausgebeutet werden, damit wir uns diese Produkte leisten können. (Beate Hausbichler, 8.3.2018)