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Etwa 4800 Kunden hat Bernard Madoff um rund 65 Milliarden Dollar betrogen. Seine Fonds waren ein Ponzi-Schema.

Foto: AFP/GETTY IMAGES/STEPHEN CHE

Wien – Optioment, Bitleys, Bitfunder, Vtec, Questra/Agam, Onecoin oder BTC Global: Das sind nur einige Beispiele für Abzockereien, die in der jüngeren Vergangenheit aufgeflogen sind. Die Währung, die bei diesen Pyramidenspielen fast ausschließlich eingesetzt wird: Bitcoin. Das bringt der Cyberwährung zunehmend auch einen schlechten Ruf ein. Doch das System hinter diesen Betrügereien hat eine wahrlich lange Historie.

Schneeballsystem

Bereits in der Monarchie gab es im Handel immer wieder sogenannte "Schneeballensammlungen". Das System funktionierte so, dass Kunden beim Kauf eines Produkts in Aussicht gestellt wurde, dass sie einen Teil des Kaufpreises wieder zurückbekommen können. Dafür musste aber eine bestimmte Anzahl der Produkte zu einem bestimmten Preis an andere Kunden weiterverkauft werden. Die neuen Kunden bekamen freilich wieder die Option, einen Teil ihres Kaufpreises zurückzubekommen, wenn sie Produkte an wiederum neue Kunden vertreiben.

Adele Spitzeder

Dass dieses System nicht nur mit Produkten, sondern auch mit Zinsversprechen funktioniert, war bald klar. Dokumentiert ist etwa der Fall Adele Spitzeder. Die deutsche Schauspielerin baute in den 1860er-Jahren in München ein Schneeballsystem auf. Weil Spitzeder Geld brauchte, bot sie einem Zimmermann zehn Prozent Zinsen im Monat für 100 Gulden. Die ersten beiden Monatszinsen zahlte sie ihm sofort aus. Das sprach sich schnell herum, und so kamen weitere Bürger, die ihr Geld zu diesen Konditionen anlegen wollten.

Das Geschäft florierte, 1869 gründete Spitzeder in München sogar die "Spitzedersche Privatbank". Die hohen Zinsgutschriften wurden finanziert durch die Einzahlungen von immer neuen Kunden. Als dann 60 Kunden gleichzeitig ihre Einlagen zurückforderten, knickte das System ein. Am 12. November 1872 wurde Spitzeder wegen Vorwurf des Betrugs verhaftet.

Charles Ponzi

Erst in den 1920er-Jahren ereignete sich jener Vorfall, dessen Urheber bis heute Namensgeber für diese Art des Betrugs wurde. Charles Ponzi, italienischer Einwanderer, gelang es in den USA, innerhalb von sechs Monaten (nach heutigem Wert) rund 150 Millionen Dollar einzusammeln. Den Anlegern versprach er Gewinne von 50 Prozent in nur 45 Tagen oder eine Verdoppelung ihres Geldes in 90 Tagen. Erwirtschaften wollte er diese exorbitant hohen Erträge mit dem internationalen Handel von Postwertscheinen. Er behauptete, durch den Kauf von Postantwortscheinen in Italien und Umtausch in Briefmarken in den USA erhebliche Gewinne zu erzielen.

Antwortscheine (also das Porto für das Antwortschreiben) konnte man damals zusammen mit dem Porto für jeden Brief erwerben. In Europa waren diese um das Fünf- bis Sechsfache günstiger als in Amerika. Daher kam die Idee von Ponzi. Gekauft und umgetauscht hat er diese Antwortscheine freilich nicht. Er gönnte sich mit dem Geld einen luxuriösen Lebensstil und zahlte die Zinsversprechen mit dem Geld immer neuer Anleger.

Als Zweifel am System aufkamen und mehr Geld abgezogen wurde, als neues zufloss, brach das Ponzi-Schema – so werden Systeme dieser Art bis heute benannt – zusammen. Ponzi wurde im August 1920 verhaftet und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung probierte er es noch mal und zog unter falschem Namen ein weiteres Pyramidenspiel mit vorgetäuschten Grundstückskäufen auf. Auch dieses Ponzi-Schema flog auf.

Lotterieaufstand

Unter diesem Schlagwort werden jene Vorfälle zusammengefasst, die 1997 in Albanien zu schweren Unruhen geführt haben. 16 Pyramidenfirmen buhlten damals mit enorm hohen Zinsversprechungen um das Geld der Leute. Denn nach dem Fall des Kommunismus erwirtschaftete die junge Privatwirtschaft zusammen mit den Überweisungen der mehr als 400.000 im Ausland arbeitenden Albaner steigende inländische Spareinlagen. Die neue Klasse unerfahrener Geldbesitzer wurde zur leichten Beute für Schwindler. Die Leute verkauften teilweise ihr Eigentum, um zusätzliches Geld investieren zu können.

In Summe "verwalteten" die 16 Pyramidenfirmen rund 1,2 Milliarden Dollar. Zum Schein wurden sogar kleinere Investitionen, etwa in Produktionsstätten, getätigt. Die Zinsen wurden jedoch vom Geld der Anleger bedient. Mit steigender Inflation im Lande wurden die Zinsen in diesem Ponzi-System auf bis zu 50 Prozent angehoben. Diese Last war letztlich zu schwer. Bis auf vier meldeten alle Pyramidensysteme Anfang 1997 Insolvenz an.

Das Volk, das sein Geld zurückwollte, gab der Regierung die Schuld. Sie habe ihre Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen und von den Machenschaften profitiert, hieß es. Die Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität, Politik und Pyramidenfirmen gelten bis heute als nicht geklärt. Die Folge waren Massenproteste und gewalttätige Auseinandersetzungen. Im Süden brach die öffentliche Ordnung zusammen.

Bernard Madoff

Der einstige Vorsitzende der US-Technologiebörse Nasdaq geht in die Geschichte ein als der größte Börsenbetrüger aller Zeiten. Etwa 4800 Kunden hat Madoff um rund 65 Milliarden Dollar betrogen. Seine Fonds waren ein Ponzi-Schema: Die versprochenen Gewinne wurden aus immer neuen Kundeneinlagen bezahlt. Erste Probleme gab es 2007, als die Finanzkrise sich zusammenbraute und Kunden ihre Gelder abzogen. Mit zunehmender Unruhe an den Finanzmärkten wurde es für Madoff immer enger. Als einer seiner Kunden mehrere Milliarden an Einlagen zurückforderte, brach das System zusammen. Madoff wurde am 29. Juni 2009 zu 150 Jahren Haft verurteilt.

Der Traum vom schnellen Geld

Obwohl Ponzi-Schemen, Pyramidenspiele, Schneeballsysteme oder Kettenbriefe nicht neu sind, gibt es immer wieder Menschen, die auf diese Verkaufsmaschen hereinfallen. Erklären lässt sich das wohl nur damit, dass der Traum vom schnellen Geld oft größer ist als die Ratio. Und wenn der Freund, Nachbar, Kollege damit schon gute Erfahrungen gemacht hat – was soll schon schiefgehen ... Festzuhalten ist an dieser Stelle freilich, dass Angebote, die zu gut klingen, um wahr zu sein, es auch nicht sind. Das zumindest zeigt die Historie deutlich.

Strukturvertrieb

Auch die Verkaufsmaschen haben sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Kunden werden in Verkaufsveranstaltungen regelrecht eingelullt, bekommen Marketingartikel, es gibt großzügige Buffets. Hier fällt es oft schwer, zu glauben, dass hinter solchen Inszenierungen nur heiße Luft steckt.

Ein in Zusammenhang mit Pyramidenspielen oft genanntes Vertriebssystem ist das Multi-Level-Marketing. Diese Spezialform des Direktvertriebs ist auch unter Network-Marketing, Empfehlungsmarketing, Affiliate-System oder Strukturvertrieb bekannt. Es geht dabei im Wesentlichen darum, dass Kunden angelockt werden, die als selbstständiger Vertriebspartner weitere Kunden anwerben sollen.

Beim klassischen Direktvertrieb werden hingegen in der Regel firmeneigene, spezialisierte Außendienstmitarbeiter für den Produktvertrieb eingesetzt und keine dauerhaft wachsende Menge auf Kunden losgeschickt.

Bei Strukturvertriebssystemen gibt es zudem ein klares Rangsystem: Je nach Erfolg – also Zuwachs an Kunden, verkauften Produkten – gibt es Aufstiegschancen und Provisionen. Das gilt als Anreiz für die Verkäufer, sich ordentlich ins Zeug zu legen.

Auch beim Finanzdienstleister AWD, der von Swiss Life Select übernommen wurde, war es so, dass anfangs jeder Verkäufer werden konnte. So kam es, dass Leute, die im Brotberuf Bäcker, Fleischer oder Arzthelfer bzw. Student waren, in ihrer Freizeit Finanzprodukte verkauft haben. Dies noch dazu hauptsächlich im Familien- und Freundeskreis. Das brachte dem als Strukturvertrieb aufgebauten Finanzdienstleister letztlich auch harsche Kritik ein. Dennoch war in vielen Fällen der Schaden angerichtet, weil Leute auf Produkten saßen, die sie unter anderen Umständen wohl nicht gekauft hätten.

Im Laufe der Jahre haben durch diese Vertriebsarten auch Haushaltsgeräte, Nahrungsergänzungsmittel, Putzmittel, Töpfe, Schmuck und vieles andere den Besitzer gewechselt.

Pump and Dump

Die eingangs erwähnten Abzockereien im Netz werden auch "Pump and Dump" ("pumpen und entleeren") genannt. Dieser Begriff geht zurück auf Aktienbetrügereien mit Penny-Stocks. Dabei wird der Preis einer unterbewerteten Aktie durch falsche Aussagen in die Höhe getrieben und der vorher günstig gekaufte Bestand ("pump") zu einem höheren Preis an gutgläubige Anleger verkauft. Sobald die Betreiber des Systems ihre überbewerteten Aktien verkaufen ("dump"), sinkt der Preis, und die gutgläubigen Investoren verlieren ihr Geld.

Außer per Mail werden solche Aktionen heute vor allem im Internet gefahren. Messengerdienste sind dabei ein weit verbreitetes Werkzeug. Einer der bekanntesten Pump-and-Dump-Fälle war der des Unternehmens Stratton Oakmont. Dieser Vorfall wurde dann Vorbild für den Hollywoodfilm The Wolf of Wall Street. (Bettina Pfluger, 8.3.2018)