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Die Ohio State University mit dem Phi-Sigma-Alpha-Kappa-Verbindungshaus schließt sich einer zunehmenden Zahl von Colleges an, die Verbindungen wegen ihrer gefährlichen Rituale eine Pause verordnen.

Foto: AP / Dake Kang

Pennsylvania/Sydney/Wien – Tim Piazza, Maxwell Gruver und Andrew Coffey teilen ein trauriges Schicksal: Die drei Studenten – alle unter 20 Jahre alt – starben 2017 auf dem Campus der Penn State, in den Häusern ihrer Verbindung, nach wilden Nächten voller Alkohol und College-Rituale. Seit 1969 gab es jedes Jahr mindestens einen Todesfall durch Verbindungsrituale.

Der Tod von Tim Piazza brachte allerdings etwas Neues in den traurigen Rhythmus. Nachdem der schwer betrunkene Student eine Stiege hinuntergestürzt war, dokumentierten die vielen Überwachungskameras im Haus, wie der schwerverletzte Student stundenlang ignoriert wurde – die grausamen Details der Nacht wurden öffentlich: Der Sturz ist nicht zu sehen, aber wie Piazza von einigen jungen Männern zu einem Sofa "geschleift" wird. Als ein junger Mann versucht, Hilfe zu rufen, drücken ihn andere an die Wand – drohen ihm. Die Mitglieder der Verbindung versuchen es auf eigene Faust, schütten Piazza Flüssigkeit ins Gesicht, schlagen ihm ins Gesicht, auf den Bauch. Ein paar Mal erlangt Piazza – bei dem 3,4 Promille Alkohol im Blut nachgewiesen wurden – noch das Bewusstsein, versucht aufzustehen, fällt aber wieder zu Boden und schlägt hart auf. Ein Student steigt über den liegenden 19-Jährigen, schaut ihn kurz an und geht weiter. Ein anderer zückt sein Smartphone, nimmt ein Video von Piazza auf und postet es auf Snapchat. Als die Studenten am nächsten Morgen doch den Notruf wählen, war es bereits zu spät: Piazza starb an den Folgen der Kopfverletzungen, einer gerissenen Milz und einer kollabierten Lunge.

Alkohol bis Schlafentzug

The Gauntlet – der Spießrutenlauf – heißt das Trinkritual, das Piazza und seine Kollegen am Abend zuvor starteten. Es ist nur ein Beispiel für eine Vielzahl solcher exzessiven und gefährlichen Aufgaben, die in Verbindungen nach wie vor auf der Tagesordnung stehen. Alkohol spielt dabei meist eine zentrale Rolle, manche der "Tests" drehen sich jedoch auch um physische Gewalt: Die jungen Männer lassen sich Brandmale verpassen, dürfen nicht schlafen oder müssen ekelhafte Dinge essen oder trinken. Hazing heißen diese Rituale auf Englisch – und alle Verbindungen verbieten sie offiziell. Eine 2008 veröffentlichte Studie zeichnet ein anderes Bild: Demnach würden 80 Prozent aller Verbindungsmitglieder Hazing erleben.

In Australien sorgen ähnliche Rituale aktuell für Aufsehen. Ein 200 Seiten starker Bericht beschreibt Missbrauch, bizarre Initiationsrituale und frauenfeindliche Aktionen. Demnach herrscht an der Universität von Sydney eine Gruppe mächtiger älterer Studenten, die den Ton angeben und neue Studierende im ersten Jahr sexuell belästigen und sadistisch quälen.

Eine Studentin berichtete davon, wie Erstsemestrige stundenlang auf dem Boden sitzen mussten, während sie von älteren Studenten angeschrien und gezwungen wurden, Alkohol zu trinken. "Ihr seid Abschaum", hätten sie zu hören bekommen. Tragischer sind die Vorwürfe, die die Eltern eines Studenten nun erheben: Ihr Sohn habe sich nach einer traumatischen Nacht nicht mehr zurück an die Uni getraut und beging später Suizid. Seine Eltern kämpfen nun gegen die Kultur dieser Rituale an und verlangen volle Aufklärung.

Wenige Wochen zuvor war eine andere Uni wegen ähnlicher Vorkommnisse in die Schlagzeilen geraten: Fotos zeigten, wie an der Universität von Newcastle Studenten Bier von den Genitalien älterer Kollegen oder ihr eigenes Erbrochenes trinken mussten.

Sexuelle Belästigung als Thema

Auch sexuelle Belästigung wird in dem "Red Zone Report" thematisiert. Ein Beispiel unter vielen: Männliche Studenten masturbieren in Shampooflaschen von Studentinnen. Mit sexueller Belästigung an Universitäten befasste sich auch ein Bericht der australischen Menschenrechtskommission aus dem Jahr 2016 – demnach ist jede zweite Studentin in Australien davon betroffen. 2009 warben Studierende des renommierten St. Paul's College auf einer Facebook-Seite namens "Anti-Consent" für Vergewaltigung.

Nicht nur die Eltern des getöteten australischen Studenten, auch die Experten des "Red Zone Report" fordern eine Aufklärungskommission und den Stopp dieser Rituale. Ein Problem dabei ist allerdings, dass die Führung der Universitäten relativ wenig über die selbstverwalteten Colleges verfügen kann. Dort heißt es, man werde alles dafür tun, damit solche Exzesse der Vergangenheit angehören. Auch einen möglichen Zusammenhang zum Suizid des jungen Studenten habe man geprüft, allerdings nichts Auffälliges gefunden.

Stopp der Rituale schwierig

Ähnlich schwierig sind die Praktiken auch in den Vereinigten Staaten zu stoppen. Das Schema nach den Todesfällen war bisher meist gleich: Die Verbindung schließt das Haus und gibt bekannt, solche Rituale nie vermittelt oder unterstützt zu haben. Die Führung der Uni zeigt sich entsetzt und verspricht, alles dafür zu tun, damit Verbindungen auf Exzesse verzichten. Das geloben auch Letztere. Die Medien erzählen die Geschichten der getöteten jungen Männer, ihre Eltern trauern. Und nach wenigen Jahren beziehen die Verbindungen ein neues Haus, während in den anderen Verbindungen des Landes schon lange business as usual gilt.

Nach Tim Piazzas Tod scheinen die Dinge nicht den gewohnten Lauf zu nehmen. 26 Verbindungsbrüder müssen sich vor Gericht verantworten – acht von ihnen wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Einige Verbindungen an anderen Colleges wurden geschlossen, Piazzas Eltern führen eine Kampagne gegen das Hazing an. Obwohl ihr Kampf viel Anerkennung findet, sind seit dem Tod ihres Sohnes aber weitere junge Studenten einen ähnlichen Tod gestorben. (Lara Hagen, 13.3.2018)