Der Winter war immer recht öd und einsam. Im Sommer hingegen zog mit den vielen Kindern das "High Life" in die Kleingartensiedlung Montleart am Wiener Flötzersteig ein, erinnert sich Stephanie Gruber (Name geändert) an ihre Kindheit.

Die Familie der heute 31-Jährigen besaß in den 1990er-Jahren eine der wenigen Parzellen in der Ottakringer Anlage, die das ganze Jahr über genutzt wurden. Von den insgesamt 173 Parzellen konnten die, die auch bei niedrigen Temperaturen bewohnt wurden, an einer Hand abgezählt werden. "Nur eine andere Familie lebte auch im Winter hier." Grubers Familie hatte das feste Haus einem Lottogewinn vor der Jahrhundertwende zu verdanken. "Mit dem, was übrig geblieben ist, hat meine Uroma eine Kleingartenparzelle gekauft." Der Grund gehörte ihr, das war etwas Besonderes. Als der Zweite Weltkrieg endlich vorüber war, begannen die Grubers zu bauen.

Was damals selten war, ist heute Usus. Am Flötzersteig werden fast alle Grundstücke ganzjährig bewohnt. So wie in Ottakring ist es auch vielen anderen Kleingartensiedlungen in Wien ergangen. Ein Drittel der Gründe, die man früher "Schrebergärten" nannte, ist bereits im Eigentum.

Immer Ärger mit den Neuen

Herbert Forster, seit 2011 Obmann des Kleingartenvereins Ferdinand Hanusch in Hernals, berichtet von Eigentumsspekulation mit Grundstücken im großen Stil. So würden Parzellen gekauft und weitervermietet.

Herbert Forster ist seit 2011 Obmann des Kleingartenvereins Ferdinand Hanusch in Hernals. In seiner Siedlung kennt er die Geschichte jedes Hauses.
Foto: Regine Hendrich

Das ärgert vor allem die Vereine. "Die Menschen leben ein, zwei Jahre in der Siedlung, dann ziehen sie wieder aus. Und dazwischen halten sie sich oft nicht an die Regeln des Vereins." Zu diesen gehört auch das Zahlen des Mitgliedsbeitrags. Mit dem Geld kümmert sich der Verein um die Instandhaltung der Infrastruktur, die Wasserversorgung und die Schneeräumung im Winter: "Wir sind wie eine Hausverwaltung mit sozialem Anspruch." Er sei sehr froh, sagt Forster, dass es in "seiner" Siedlung bis dato noch keine Spekulanten gebe.


Aktuell gibt es in Österreich 39.234 Kleingärten, organisiert in 384 Vereinen. 26.800 Kleingärten davon sind in Wien. Von der Ursprungsidee ist nichts mehr übrig. "Anfang des 19. Jahrhunderts sind die ersten Kleingärten entstanden. Zweck war die Eigenversorgung der Besitzer", sagt Historiker Peter Autengruber, der die Geschichte der städtischen Gärten erforscht.

Anbau und Ernte

Während des Ersten Weltkriegs nahm diese Bedeutung noch mehr zu. "Es gab verheerende Engpässe bei den Nahrungsmitteln. Das hat die Dynamik noch verstärkt", sagt er. "Wer Gemüse baut, schützt das Vaterland", zitiert Autengruber in seinem neuen Buch Die Wiener Kleingärten. Von den Anfängen bis zur Gegenwart einen Aufruf aus der Reichspost von März 1917.

Aus dem Jahr 1919 existieren noch mehrere konkrete Ernteergebnisse: 2500 Wagons Gemüse und Kartoffeln. Zusätzlich wurden 150.000 Kaninchen, 120.000 Hühner und 1500 Ziegen gehalten. Im Prater, in Simmering und im Westen Wiens entstanden während des Ersten Weltkriegs zahlreiche Kleingärten. Damals waren die Pächter mehrheitlich Arbeiter und kleinere Angestellte. Gewohnt wurde im Garten auch schon in den 1920er-Jahren – aus der Not heraus in Hütten, weil viele sich das Wohnen sonst nicht leisten konnten.

"Am Anfang war alles sehr primitiv", erinnert sich Edith Meindel: "Wir hatten keinen Strom, kein Wasser, keinen Kanal. Es war einfach ein Stück Grünfläche." Die Familie der heute 94-Jährigen pachtet seit den 1920ern einen Grund am Schafberg. "Nach dem Zusammenbruch der Monarchie waren alle sehr arm. Wir hatten wenig zu essen", sagt sie.

Nach dem Zweiten Weltkrieg besserte Meindel mit dem Garten ihre Essensration auf. "1500 Tageskalorien pro Tag pro Person", liest die ehemalige Lehrerin von einer Lebensmittelkarte ab, die sie bis heute aufgehoben hat. Brot, Mehl, Schmalz, Trockenerdäpfel finden sich darauf. "Wir haben Obst und Gemüse angebaut. Für meine Kinder habe ich Ribiseln gepflückt und Saft gemacht. Das war etwas Besonderes." Auch Hühner hielt die Familie. "Damals konnten wir weder Eier noch Fleisch kaufen." Was nicht selbst angebaut wurde, wurde getauscht. "Geld hat keiner gehabt. Das, was wir hatten, wurde gegen etwas getauscht, was wir brauchten."

In den 1990ern war das Ernten kaum noch Thema. "Wir hatten ein Gemüsebeet mit Salaten und Karotten. Aber es ging gar nicht so sehr um die Lebensmittel", erzählt Gruber. Die Lebensmittel wurden einfach beim Greißler der Siedlung gekauft.

Der schönste Rasen in der Siedlung

Wichtiger war das Aussehen des Gartens, mit schönen Bäumen, zierenden Blumen und einem gepflegten Rasen. "Der eigene Garten muss der schönste sein. Es gibt ja auch den Kleingartenpreis. Ein gepflegter Garten ist essentiell", sagt die junge Frau. Ist der Garten nicht top, wird schließlich im ganzen Kleingartenareal darüber geredet.

Ein einsamer Gartenzwerg bewacht mit seiner Axt einen Schleichweg in der Kleingartensiedlung Ferdinand Hanusch in Wien-Hernals: "Wir sind keine Gartenzwergsiedlung", weiß Vereinsobmann Herbert Forster.
Foto: Regine Hendrich

Der Schmuck des eigenen Reichs fällt jedoch sehr unterschiedlich aus. "Wir sind keine Gartenzwergsiedlung", sagt Forster: "Das waren wir auch nie." Nur ein paar vereinzelte Mützenträger finden sich auf seinem Areal. "Wir haben es die Zwergerlrunde genannt", sagt Gruber hingegen lachend. Die Runde – also der Spaziergang, der mit den Eltern durch die Siedlung absolviert wurde – führte an einem besonderen Garten vorbei: "Ein Nachbar hatte Dutzende Gartenzwerge, die den ganzen Rasen besiedelten."

Urlaub im Garten

Neben der Versorgung hatte der Garten für Meindel einen weiteren Zweck: "Urlaub machen, das konnte sich damals niemand leisten", sagt Meindel. "Wir haben mit den Kindern den Sommer in dem Holzhäuschen verbracht." Später kamen die Enkelkinder und mit ihnen das Kinderspielhäuschen. Ein Kleingarten im Kleingarten. Mittlerweile verbringen die Urenkerln ihren Sommer im Garten.

Im Austrofaschismus wurde das rot dominierte Vereinswesen zerschlagen. 1938 verloren die jüdischen Kleingärtner ihre Parzellen. Wie viele jüdische Kleingärtner ihres Hab und Guts beraubt wurden, konnte Autengruber nicht eruieren. Es fehle an Unterlagen. Aus Prozessberichten der 1960er-Jahre lasse sich noch einiges ablesen, sagt der Historiker: "Es war nicht leicht für die Überlebenden, den Grund zurückzubekommen."

Mit Einsetzen der Hochkonjunktur in den 1960er-Jahren verliert der Kleingarten seine Bedeutung als Nahversorger. Damals sagte man längst nicht mehr "Schrebergarten". Der namensgebende Doktor Schreber hatte sich als Kinderquäler unmöglich gemacht.

Wie Reihenhäuser

1992 wurde die Möglichkeit geschaffen, den Kleingarten als Hauptwohnsitz anzumelden. Ein Jahr später wurde der Erwerb zugelassen. "Der soziale Gedanke im Kleingarten ging verloren", findet Autengruber.

Foto: Regine Hendrich

Auch für Forster, dessen Reich 100 Parzellen umfasst, ist das der "große Bruch": Die Anlagen entwickelten sich "immer mehr zu Reihenhaussiedlungen". Die älteren Bewohner übergeben ihren Kindern die Parzellen. Und die Jungen bauen: "Es ist eine der attraktivsten Wohnformen in einer Großstadt." Dass mehr und mehr Junge einziehen, freut Forster: "Ich will ja keine Greissiedlung hier."

Trotzdem gibt es noch kleine alte Schmuckstücke, die Forster gerne herzeigt. Sie liegen wie Hexenhäuser zwischen Betonriesen. Von jedem Bau kennt der Vereinsobmann er die Geschichte. "Dieses sieht gerade ein bisschen traurig aus", sagt er und zeigt auf ein Haus mit schwarzen Läden vor dem Fenster. "Aber warten Sie: In ein paar Wochen sind alle wieder da. Dann sprießen auch überall Blumen." (Oona Kroisleitner, Peter Mayr, 10.3.3.2018)