Mit Zahnschmerzen kann man nicht einfach die Rettung rufen oder in die Notaufnahme im Bezirksspital fahren.

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Bernadette Redl beschäftigt sich von Berufs wegen mit Gesundheit. Manchmal hört sie Krankengeschichten und erfährt, wie es Patienten in Wirklichkeit geht.

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Wer beruflich über Medizin und Gesundheit schreibt, ist im Bekanntenkreis ganz automatisch Ansprechperson für Krankengeschichten plus Beschwerden aus dem Gesundheitssystem.

Folgende Geschichte hat mir eine Bekannte aus dem Waldviertel kürzlich erzählt: Weil ein Backenzahn ihr unerträgliche Schmerzen bereitete, fuhr sie an einem Sonntag zum nächstgelegenen diensthabenden Zahnarzt – 44 Kilometer vom Heimatort entfernt. Schnell war klar: Der Zahn muss raus.

Gesagt, getan. Die Patientin war erleichtert. Doch einige Tage später ließ der Schmerz nicht nach, im Gegenteil – er wurde schlimmer. Schmerzmittel halfen nicht. "Ich habe so viele Tabletten genommen, das würde ich mir ein zweites Mal gar nicht trauen", erzählte sie. Eiter hatte sie im Zahnloch auch schon entdeckt.

Motzende Sprechstundenhilfe

Sie rief erneut beim Zahnarzt an, die Sprechstundenhilfe motzte in unfreundlichem Ton am Hörer: "Das ist normal, gehört zum natürlichen Heilungsverlauf." Also gut, eine Nacht wollte sie es noch versuchen.

Es wurde immer schlimmer. Am nächsten Tag kurz vor dem Mittagessen zwang der Schmerz sie in die Knie. "Mein Kreislauf hat es nicht mehr geschafft, ich wurde ohnmächtig", erzählte sie. Also was tun? Das Angebot an medizinischer Versorgung im Waldviertel ist begrenzt. Mit Zahnschmerzen wird es noch einmal schwieriger, schließlich kann man nicht einfach die Rettung rufen oder in die Notaufnahme im Bezirksspital fahren.

Also lieber ins Zentrum, ins Krankenhaus nach St. Pölten, wo bestimmt jemand da ist, man schneller behandelt wird, ohne vorher Dienstzeiten am Telefon erfragen zu müssen. Da war sie auch früher schon einmal mit einem Zahnproblem, erinnerte sich meine Bekannte. Nach einer Autostunde dort angekommen, wurde sie von der Station in die Ambulanz geschickt, von der Ambulanz zu einer dritten Stelle, bei der sie schlussendlich erfuhr: Hier werden keine Schmerzpatienten mehr behandelt, dafür gebe es nun ein Zahnambulatorium beim Bahnhof.

Draußen warten

Die Rallye durch die Krankenhausstationen hatte Zeit gekostet. Bei der Ankunft im Ambulatorium um 15.45 Uhr hieß es: "Leider können wir sie nicht mehr drannehmen, wir schließen um 16.30 Uhr. Warten Sie auf den Nachtschmerzdienst, der kommt um 18 Uhr."

Also gut, hinsetzen und warten, trotz höllischer Schmerzen. Dann die Zusatzinfo der Dame hinter dem Tresen: "Herinnen warten ist leider nicht möglich." Also zurück ins Auto, die Qualen dort aussitzen. "Normalerweise wären wir ja auf einen Kaffee gegangen, aber dazu war ich körperlich nicht imstande", erzählte sie.

Wie die Geschichte ausgegangen ist: Erlöst wurde sie schlussendlich, als um Punkt 18 Uhr die Türen zum Ambulatorium erneut aufgingen und ein freundlicher Arzt ihr das "extrem entzündete Zahnloch", wie er es bezeichnete, auskratzte. Ob sie beim Zahnarzt mit Wasser gespült habe, nachdem der Zahn gezogen worden ist, wollte er wissen. Ja, hatte sie – der Doktor im Waldviertel hatte es angeordnet. "Das war der Fehler", sagte der St. Pöltener Mediziner, "Sie dürfen nur ausspucken, niemals spülen." (Bernadette Redl, 11.3.2018)