Ein Spiel mit Ver- und Enthüllung im Werk X Eldorado.

Foto: Shananeira

Wien – Gehypt werden aktuell besonders solche Tanz- und Performancestücke, in denen vor Augen des Publikums so richtig ausgepackt wird. Schrillgemachte Körper sowieso, aber auch schlicht gehaltene Denkmuster, plakative Anliegen und narzisstische Selbstbespiegelungen. Das alles tanzt so publikumsgeil an, wie es beim Denken geizt. Jedenfalls passt dazu der Titel, den der Elektromusiker Bernhard Fleischmann seinem neuen Album gegeben hat: Stop Making Fans!.

In den bisherigen Arbeiten der Hungry Sharks kommt als progressiv cool verkaufte, im Kern aber konservative heiße Luft nicht auf. So ist es auch in der jüngsten Produktion the Sky above, the Mud below der 2011 gegründeten österreichischen Urban-Dance-Company unter der Leitung von Valentin Alfery: einem Solo mit der Tänzerin Farah Deen, bis Samstag zu sehen bei Bruts Imagetanz im Werk X Eldorado.

Spiel mit Ver- und Enthüllung

Pikanterweise spielen Alfery und Deen ausgerechnet mit dem Motiv der Ver- und Enthüllung. Zu Beginn – bereits als Kartenabreißerin beim Eintritt – trägt Farah Deen (27), Tochter einer Kärntner Mutter und eines Vaters aus Sri Lanka, einen Niqab. Als sie diesen auf der Bühne ablegt, macht sie sich doch nicht nackt, sondern beginnt in einem neutralen Kostüm aus Hose und Oberteil zu tanzen. Dessen Bauchfreiheit erinnert an das orientalische Stereotyp der Schleiertänzerin. Ergänzt wird die deutliche Symbolik durch ein mit Klebestreifen auf dem Tanzboden angebrachtes Muster, das die polygonale Mosaikgeometrie der islamischen Kunst andeutet.

Nach diesem Muster richtet Deen einen Breakdance aus. Allerdings erst, nachdem sie das Klischee des Bauchtanzes durch Vor- und Rückschwingen ihrer Schultern konterkariert hat. Dieses Schwingen überträgt sie auf ihre Beine, bricht in der Folge das harmonische Schulterpendeln durch eckige Bewegungen ihrer mit Sneakers bekleideten Füße auf und lässt B-Girling folgen.

Frauenbild mit Tiefenschärfe

Bis in letzte Details inklusive spezieller Handgesten durchdacht, vermittelt die einstündige Soloarbeit ein Frauenbild von äußerster Tiefenschärfe. Selbstbewusstsein und Verunsicherung, Krise und Haltung, Charisma und dessen Dekonstruktion, Zeichenrepertoires zwischen antipodischen Kulturen und Zeiten: Deen tanzt eine komplizierte Struktur aus unterschiedlichen, sich überschneidenden Diskursebenen.

Dieses Kunststück gelingt ihr ohne jede Prätention und ohne Pathos – auch dort, wo sie ins Expressive wechselt, sich das Gesicht ähnlich verformt wie das vor vielen Jahren Meg Stuart in ihrem berühmten Solo XXX. For Arlene and Colleagues (1995) getan hat. Glaubwürdiger als seinerzeit Bruno Beltrão – etwa in H2 (2005) – vermögen Deen und Alfery den Urban Dance auf die Bühne zu übersetzen: weil sie nicht mehr einfach so tun, als wäre die Straße ins Theater versetzt.

Bei the Sky above, the Mud below läuft das Vokabular des Urban Dance in einem riskanten Prozess durch die Grammatik des Bühnentanzes. Das Ergebnis ist überzeugend. (Helmut Ploebst, 8.3.2018)