Die Kelly Family in der Wiener Stadthalle. Mit Montessori-Folk, Patsch-Handi-zamm-Gospel und Feuer wurde die Kraft der Liebe beschworen.

Foto: Christian Fischer

Patricia Kelly tanzt und singt.

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Nicht nur "love" – "THE love" hat die Kelly Family nach Wien mitgebracht.

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Wien – Zuviel Kellys sind nicht gesund. Da waren sich die Kinderärzte in den 1990ern schon einig. Dabei handelte es nicht um salzig-fettige Kartoffelscheiben, sondern um die Kelly Family. Die brachte Teenager zwischen 13 und 99 um den Verstand. Das großfamiliäre Bandunternehmen befand sich damals am Höhepunkt seiner Popularität: in Wien konzertierte die Kelly Family auf der Donauinsel vor über 200.000 Menschen. Davon konnten U2 oder Guns N’ Roses nur träumen. Welche Diagnose das dem Land ausstellt? Darüber wollen wir lieber nicht nachdenken.

Seit damals ist die Kelly Family nicht kleiner geworden. In ihrer aktuellen Aufstellung spielte der musizierende Flohzirkus am Freitag in der seit Monaten ausverkauften Wiener Stadthalle vor 10.000 Menschen einen intimen Club-Gig.

Hamsterkäufe am Merchandise-Stand

Bei der Geschichte der Familiy und ihren hiesigen Fans war das natürlich ein Heimspiel. Die Hysteriebereitschaft seitens des Saals manifestierte sich bereits vor dem Konzert über Hamsterkäufe an den Merchandise-Ständen und eine Aufgeregtheit, für die manch ergraute Fan zu Hause wohl pharmazeutische Hilfsmittel benötigt.

Dann ging’s los: Mit "Can’t Stop The Love", mit Pyrotechnik und Bon-Jovi-Rock und dem möglicherweise aus Sicht eines Kelly-Skeptikers verfassten Song "Why Why Why". Das Publikum überschritt da längst die Grenze zur beherrschten Ekstase, es kam zu Saalerhebung und Gejohle, dabei war die zwölfköpfige Gruppe noch gar nicht warmgespielt.

Gartenzwergmode

Die Kelly Family sind Popstars, aber sie sind keine klassischen Popstars. Manch einer von ihnen profitiert von der gesellschaftlichen Ächtung des Body Shamings, hinzu kommt ihre Aufmachung. Diese besteht aus einer Mischung aus Hippie- und Gartenzwergmode ist – samt Frisuren, mit denen man in Wien um einen Parkplatz vor der Haustür ansuchen kann. Doch das zählt zur Tradition dieser Familie.

Gegründet wurde das Unternehmen in den 1970ern in den USA, doch schon bald zog es sie in die alte Welt zurück. Hier wurden die Nachfahren irischer Auswanderer trotz diverser Rückschläge berühmt, hier legte der Clan seine weit verzweigte Diaspora an. Vor allem im deutschsprachigen Raum und in einigen dunklen Räumen im Hafen von Guantanamo ist ihre Musik bis heute populär.

Familie als Auftrag

Das Familiäre ist nicht nur dem Bandnamen eingeschrieben, es ist Teil der Inszenierung. Die Familie gilt als sicherer Hafen in einer unsicheren Welt. Das zählt und wird hochgehalten. Dass es, wie in jeder Familie, Bröseln gegeben hat und gibt, wird nicht geleugnet, aber auf der Bühne hat das natürlich keinen Platz.

Musikalisch übertragen die Kellys das in naiv-optimistische Sing-alongs, in der die Liebe und die Verwandtschaft das Wichtigste sind. "We Got Love", "Because It’s Love", "Fell In Love With An Alien", "Une Famille C'est Une Chanson", "Brothers & Sisters" … Uff.

Wurzelpflege

Dargebracht werden diese Erkenntnisse in einer Mischung aus Rock, Pop und Montessori-Folk. Hinzu kommen Ausflüge in die spanische Folkore, die Irische und den Chanson; die Walle-Walle-Kleider der Schwestern unterstreichen diese Wurzelpflege. Das mündete live in das artig vorgetragene Patsch-Handi-zamm-Gospel "Swing Low", in Lieder wie "Hecho La Ronda" oder das von Paul Kelly in Gartenzwergmontur und mit Drehleierkasten in den Saal gekurbelte Traditional "The Bonnie Banks O' Loch Lomond".

Da tremolierten die Kellys vielstimmig, da vibrierten im Saal die Kinnladen, die von sich selbst ergriffenen Blicke der Vortragenden verfehlen nicht ihre Wirkung. Kritiker nennen das das Überschreiten der Schmerzgrenze, aber natürlich wird diese Musik mit Schmalz zubereitet, weshalb sie im Schnitzelland gar so gefällt.

Der sexuelle Höhepunkt

Als Kraftzentrum der Bande gilt Angelo Kelly. Der hat nicht nur gleich fünf neue Kellys gezeugt, sondern ist im deutschen Sprachraum als Idol für viele tragische Namenskombinationen verantwortlich, weshalb Angelos aus Wels, Pforzheim oder Oberpullendorf nur unter fährtenverwischenden Pseudonymen in diversen Foren außer Haus gehen.

Angelo ist der Schlagzeuger. Das Instrument hat er beim Jazzer Billy Cobham gelernt, was dem Saal ein Bestätigungssolo bescherte, bei dem Angelo als dramatischem Höhepunkt seinen bis zum Sitzfleisch hängenden Zopf öffnete, um sich in haariger Pracht über die Felle herzumachen: der sexuelle Höhepunkt der Show.

So war das, und es schien nicht enden zu wollen. Über 30 Songs waren es am Ende, der Saal war glücklich, die Band wie ergriffen. Den Trennungsschmerz linderte die Nachricht, dass die Kelly Family wiederkehrt: Am 6. Juli gastiert sie in Dornbirn, am 7. Juli in Salzburg. "Why Why Why" (Karl Fluch, 10.3.2018)