Gebaut wird in Istanbul fleißig – staatlich gestützte Kredite machen es möglich.

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Zucker ist sowieso ungesund, doch das ist jetzt das letzte, was Gewerkschaften, Politiker und die Arbeiter von TürkŞeker, den staatlichen türkischen Zuckerraffinerien, hören wollen. 14 der 25 Fabriken im Land will die türkische Regierung verkaufen. Fünf Jahre mindestens werden die Betriebe nach einem Eigentümerwechsel weiterlaufen, so versichert sie. Über die Privatisierungen von TürkŞeker wird in der Türkei, einem der größten Zuckerproduzenten der Welt, schon seit dem Jahr 2000 gesprochen. Jetzt aber wird es ernst. Denn: Die Regierung von Staatschef Tayyip Erdogan braucht Geld.

Kosten der Erholung

Die wirtschaftliche Erholung der aufsteigenden Länder fiel 2017 am deutlichsten in der Türkei aus. Doch diese Erholung hat auch ihre Kosten, so resümieren die Ökonomen des Internationalen Währungsfonds nach ihrer jüngsten Beratungsmission in Ankara. Die massiven Investitionen der öffentlichen Hand nach dem vereitelten Putsch vom Sommer 2016, dem schweren Einbruch des Tourismus und angesichts der angespannten inneren Lage des Landes müssen finanziert werden. Privatisierungen sind dafür ein Weg, den die türkische Regierung nun gehen will.

Elf-Prozent-Überraschung

Die türkische Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr nach derzeitigen Schätzungen um sieben Prozent. Aufsehen erregte vor allem die unerwartet hohe Zunahme von elf Prozent im dritten Quartal 2017, auf einem Tiefpunkt der politischen Beziehungen Ankaras mit Deutschland, Österreich und anderen EU-Staaten und trotz des risikoreichen Eintritts der Türkei in den syrischen Bürgerkrieg. Die Zahlen für das vierte Quartal werden später in diesem Monat veröffentlicht. Doch auch für diesen Zeitraum bestätigt die Zunahme der industriellen Produktion um 7,8 Prozent bereits das starke Wirtschaftswachstum der Türkei im Vorjahr.

An der Richtigkeit der offiziellen Angaben zweifelt eine große Mehrheit der Ökonomen nicht. Sie vergleichen die Angaben von Regierung und Statistikamt mit den Ergebnissen eigener Recherchen und Gespräche mit Unternehmensvertretern. Ein Analyst der deutschen Commerzbank hatte im Vorjahr erklärt, er halte die positiven Konjunkturdaten für "politisch beeinflusst".

Zweistellige Inflation

Das Wachstum in der Türkei wird nach Ansicht von Analysten 2018 anhalten, jedoch in abgeschwächter Form. IWF und OECD gehen derzeit von vier, bzw. 4,5 Prozent aus. Zu schnell hat sich das Rad gedreht: Wegen der konjunkturbelebenden Maßnahmen zeigte die türkische Wirtschaft bereits Zeichen der Überhitzung. Die Inflation betrug 2017 offiziell 11,92 Prozent – doppelt so hoch, wie die türkische Zentralbank annahm – und geht nur langsam zurück; 10,26 waren es im Februar. Die Zentralbank plant dieses Jahr optimistisch mit 7,9 Prozent.

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Die Geschäfte am Goldenen Horn liefen schon besser, die Inflation drückt die Stimmung.
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Doch all dies sind Angaben zur so genannten Kerninflation. Die Preissteigerung bei Lebensmitteln zum Beispiel ist nicht berücksichtigt. Die Inflation hat auch die Lira tief heruntergezogen. Bei etwa 4,70 für einen Euro steht die türkische Währung nun; 2,83 waren es noch vor drei Jahren. Gut nur für Touristen, und sofern sie ihren Urlaub selbst organisieren und nicht pauschal buchen.

Verletzbar von Außen

Zwei Drittel des großen Aufschwungs in der Türkei im Vorjahr kamen durch öffentliche Ausgaben und privaten Konsum zustande. Ein Kreditfonds der Regierung für kleine und mittlere Unternehmen war verzehnfacht und zu Beginn dieses Jahres nochmals aufgestockt worden. Auslandskapital begann zudem 2017 in die Türkei zurückzufließen. Doch die Qualität der Auslandsinvestitionen bleibt in der Türkei ebenso wie in anderen aufsteigenden Ländern ein Problem. Viel zu wenig Geld geht in Technik und Innovation, der Großteil in den Bausektor. Und die Türkei gilt als sehr verletzbar durch äußere Einflüsse.

Defizit wächst

Die angekündigte nochmalige Verringerung des Anleihenbestands der US-amerikanischen Bundesbank in diesem Jahr wird auch die türkische Wirtschaft treffen. Der Anstieg des Ölpreises kommt dazu. Das Leistungsbilanzdefizit ist größer geworden: Im Jänner verdoppelte es sich auf 7,1 Milliarden Dollar im Vergleich zum Vorjahresmonat nach Angaben der türkischen Zentralbank vom Montag.

Selbst das Plus von elf Prozent im dritten Quartal 2017 ist am Ende weniger sensationell, als es ausschaut, wie auch Wirtschaftsminister Mehmet Şimşek einräumte. Schließlich spiegelt die Zahl nur das Ausmaß des Einbruchs im Putschjahr 2016 wieder, auf dessen Quartal sie sich bezieht.

Tabubruch

Während sich OECD oder IWF mit Bewertungen der innenpolitischen Lage in der Türkei und deren Einfluss auf die Wirtschaft zurückhalten, brach die Ratingagentur Moody's nun dieses Tabu. Sie stufte die Kreditwürdigkeit der Türkei auf Ba2 herab, zwei Etagen tief im so genannten Ramschbereich. Moody's Begründung: große Verletzbarkeit der Türkei durch einen "externen Schock", aber auch "anhaltender Verlust der institutionellen Stärke". Genannt werden die Schwäche der Zentralbank gegenüber der Politik, der weiter geltende Ausnahmezustand und die Untergrabung der unabhängigen Gerichtsbarkeit. Die Perspektive für die Türkei verbesserte sich gleichwohl. Von "negativ" änderte Moody's die Bewertung auf "stabil". Markt und Staatsfinanzen in der Türkei sind robust. (Markus Bernath; 12.03.2018)