Kohlestrom gilt wegen der Kohlendioxidemissionen als dreckig, auch wenn die Filteranlagen ganze Arbeit leisten. Der Rauch, der mit dem freien Auge erkennbar ist, ist trotzdem nur Wasserdampf.

Foto: Heribert Corn

Man findet sie nicht mehr allzu oft dieser Tage, aber jetzt sind gleich drei von ihnen in einem Raum versammelt: echte Kohlefans. Gerhard Kampichler, der Kraftwerksleiter, schwarze Arbeitsjacke über dem Hemd, äußerste Zurückhaltung im Gespräch. Stefan Zach, der Pressesprecher, Vermittler zwischen der Welt des Kraftwerkseigners EVN und jener von kritischer Öffentlichkeit und Umweltschützern. Er übernimmt das Reden und macht kein Geheimnis daraus, dass ihm andere Formen der Energieerzeugung mindestens genauso lieb sind. Und Ludwig Sass, der Chemiker, vier weiße Schutzhelme in der einen Hand, mehrere Paar gelber Ohrstöpsel in der anderen, er hilft mit Erklärungen aus, wenn es technisch wird.

Wir haben Glück. Kurz vor dem Besuch des STANDARD wurde die Anlage wieder hochgefahren, jetzt bläst der gigantische Schornstein graue Rauchschwaden in die kalte Winterluft über dem niederösterreichischen Dürnrohr.

Zwentendorf-Ersatz

Keine zwei Kilometer von Zwentendorf entfernt entstand hier im Jahr 1985, sieben Jahre nach dem negativen Volksentscheid über den ungeliebten Atommeiler, ein Kraftwerkskollege, der ersatzweise übernehmen musste. Der Standort war strategisch wichtig. Hier im Mostviertel befindet sich ein wichtiger Knotenpunkt der heimischen Energieversorgung, erklärt der Pressesprecher: "380.000-Volt-Verbindungen von Norden nach Süden, von Osten nach Westen", auch brauche es Dürnrohr, um bei großen Spannungsdifferenzen im Stromnetz aus physikalischen Gründen "dagegenzudrücken".

Ursprünglich sollte hier an fünf Tagen pro Woche für insgesamt 5.000 Stunden im Jahr Steinkohle verbrannt werden. Später wurden die Einsatzzeiten auf rund 1.500 Stunden heruntergeschraubt. Aktuell hält man bei rund 3.000 Stromerzeugungsstunden pro Jahr, und das habe einen Grund, der auf den ersten Blick nur wenig logisch erscheint: "Thermische Kraftwerke wie Dürnrohr werden immer stärker gebraucht, um die Energiewende möglich zu machen", erklärt Pressesprecher Zach. Nach und nach würden ältere und ineffiziente Kraftwerke schließen.

Gleichzeitig könnten jene, die mit Wind, Wasser, Biomasse oder Solarenergie betrieben werden, den Bedarf noch nicht – und zwar nicht rund um die Uhr – decken. Nachts scheint keine Sonne. Ohne Wind steht das Windrad still. Solche Schwankungen könnten die fossilen Energieträger ausgleichen, lautet die Erklärung beim Kraftwerksbetreiber.

Über Transportbänder wird die Kohle abtransportiert – und legt dabei einen Weg von fast vier Kilomtern zurück.
Foto: Heribert Corn

Perspektivenwechsel

Beim Klima- und Energiefonds heißt es hingegen: Durch den notwendigen und öffentlich gewünschten Ausbau der erneuerbaren Energien und das gleichzeitige Verbleiben der fossilen sei ein "Überangebot von Strom" in Mitteleuropa entstanden.

Jetzt legt der Deutsche Wetterdienst mit einer aktuellen Studie nach. Darin heißt es: Kombiniere man den Ausbau von Wind- und Solarenergie mit einer guten Abstimmung mit den Nachbarländern, komme es lediglich an 0,2 Tagen pro Jahr zu gröberen Problemen bei der Stromversorgung.

Johannes Wahlmüller, Experte der Umweltschutzorganisation Global 2000, schließt daraus: "Natürlich kann man das nicht 1:1 auf Österreich umlegen, es zeigt aber, dass sich die erneuerbaren Energieträger ganz gut ergänzen können und auch die Erzeugung in den Nachbarländern helfen kann, das Stromnetz zu stabilisieren."

Verzicht auf Kohlestrom

Spätestens seit dem Pariser Klimagipfel 2015 ist der Ausstieg aus der Kohlestromerzeugung erklärtes politisches Ziel – auch in Österreich. Beim Gipfeltreffen in Bonn im November des Vorjahres verkündete der damalige Umweltminister Andrä Rupprechter (ÖVP) den vollständigen Verzicht auf Kohlestrom bis 2020, Nachfolgerin und Parteikollegin Elisabeth Köstinger hält an diesem Zieldatum fest. Sehr zur Überraschung der Herren in Dürnrohr, denn ganz so einfach ist solch eine vorgezogene Kohleabstinenz aus deren Sicht nicht.

Wenn heute die Anlage in Dürnrohr gestartet wird, dann geschieht das im Auftrag zweier großer Stromversorger: des deutschen Netzbetreibers Tennet und der Austrian Power Grid AG. Wenn die im Kraftwerk anrufen, wird der etwa 100 Meter lange Kessel auf rund 1.700 Grad angeheizt, die Kohle via Förderband in den Kohleblock transportiert, leisten Generator, Transformator und schließlich auch Entstickungs-, Entaschungs- und Rauchgasentschwefelungsanlage ganze Arbeit. Dank ausgefeilter Umwelttechnik bewege man sich in Dürnrohr "weit unter den Grenzwerten", sagt der Pressesprecher.

Dreckschleuder

Das ändere nichts daran, dass Kohle die "größte Dreckschleuder" bleibe, sagt Umweltschützer Wahlmüller. In einer Modellberechnung machten er und seine Kolleginnen vor vier Jahren den Brennstoff für 120 vorzeitige Todesfälle, 3.900 zusätzliche Asthmaanfälle bei Kindern und gesundheitliche Folgekosten von 194 Millionen Euro verantwortlich. Wahlmüller: "Seither hat sich einiges getan, so wurde etwa das Kohlekraftwerk in Riedersbach geschlossen, an der Grundaussage unserer damaligen Berechnung ändert das aber nichts."

Die kleine deutsche Umweltschutzorganisation Urgewald liefert mit ihrer "Global Coal Exit List" seit kurzem eine Datenbank zum besseren Überblick über das weltweite Kohlegeschäft: Aktuell werden weltweit rund 1600 Kraftwerke neu geplant oder erweitert. Laut Klima- und Energiefonds ist die Zahl der in Planung befindlichen Kohlekraftwerke insgesamt dennoch rückläufig.

Und hier liegt die Kohle auf Halde, als "Versorgungssicherheit" für ein Jahr.
Foto: Heribert Corn

Betreiber bleibt bei Standort

Auch Dürnrohr wird wohl noch eine Zeitlang am Leben erhalten werden (müssen), glaubt man bei der EVN und hält, nicht zuletzt mit Blick auf die 90 Mitarbeiter, die hier beschäftigt sind, am vereinbarten Ausstiegsdatum 2025 fest. Hier gilt als Faktum: An diesem logistisch wichtigen Standort werde es immer irgendeine Art von Kraftwerk brauchen.

Muss die Kohle für einen klimaverträglicheren Nachfolger – und sei es Erdgas – weichen, sei damit zu rechnen, dass ein dafür nötiges Genehmigungsverfahren mindestens vier, eher aber bis zu acht Jahre dauern werde. Auch finanzielle Überlegungen spielen dabei eine Rolle. Ob und welche Kraftwerksart am Standort Dürnrohr künftig rentabel ist, ist für die EVN derzeit unabwägbar.

Geförderte Klimakiller

Kohlestrom wird in Österreich jedenfalls keine große Zukunft mehr haben. Ministerin Köstinger hat bisher zwar verneint, umweltschädliche Subventionen im Energie- und Verkehrsbereich streichen zu wollen. Dabei betragen diese laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Österreich zwischen 3,8 bis 4,7 Milliarden Euro, ein Drittel davon fällt auf den Energiesektor.

Global-2000-Experte Wahlmüller hat noch einen anderen Vorschlag: einfach die Ausnahmebestimmungen bei der bestehenden Kohleabgabe aufheben. Dann müsste diese Steuer künftig auch von jenen gezahlt werden, die Kohle zur Stromproduktion verwenden – macht "rund 70 Millionen Euro pro Jahr", damit würde der Betrieb eines solchen Kraftwerks schnell unrentabel.

Feldhasen lieben es

Im aktuellen "Faktencheck Energiewende" spricht auch der Klima- und Energiefonds, dessen Präsidium Nachhaltigkeits- wie Verkehrsministerium angehören, Klartext und bringt etwa eine "angemessene CO2-Steuer" ins Spiel. Das Nachhaltigkeitsministerium winkt aber ab. Derweil wird stets neue Kohle aus Herkunftsländern wie Lateinamerika, Russland oder Polen in den Hafen der Donau Chemie nach Pischelsdorf verschifft. Von dort geht's ab aufs Förderband. Bis sie schließlich 3,6 Kilometer weiter auf die elegant aufgeschichtete Kohlehalde in Dürnrohr plumpst. Bei der EVN hat man hier "Versorgungssicherheit für ein Jahr" in Form von 300.000 Tonnen Kohle auf Halde.

Sehr zur Freude tierischer Kohlefans: der Feldhasen. Sie buddeln sich gerne in die warmen Kohleberge rein, gemäß der Devise: Besser warm als sauber! (Karin Riss, 12.3.2018)