Wien – Brahms gegen Bruckner, das muss man sich ungefähr so vorstellen wie in den 1990erJahren Oasis gegen Blur. Die jeweiligen Anhängerschaften ergingen sich jahrelang in wüsten Schlammschlachten und Wadlbeißereien. Oberwasser hatte lange Zeit Johannes Brahms, aber am 18. Dezember 1892 wendete sich das Blatt. Da musste sich der bartbewehrte Tonsetzer von der Direktionsloge im Großen Musikvereinssaal nicht nur die achte der "symphonischen Riesenschlangen" (Brahms) seines Antipoden anhören, sondern auch noch deren triumphale Aufnahme im Auditorium miterleben.

Die Werke Anton Bruckners sind im Konzertsaal längst so beliebt wie die von Brahms, und ein Orchester aus der Heimat des scheuen, devoten Tonsetzers trägt mittlerweile sogar seinen Namen. Und was spielt das Bruckner Orchester Linz, wenn es mit seinem neuen Chefdirigenten Markus Poschner zum Gastspiel nach Wien in den Musikverein fährt? Natürlich Bruckner, die Achte. Im Herbst hat der deutsche Dirigent in Linz seine Amtszeit mit einem beeindruckenden Dirigat der Frau ohne Schatten begonnen. Poschner richtete Richard Strauss' gewaltigen Orchesterapparat feinfühlig nach den Bedürfnissen der Sänger aus. Schwelgereien waren nur ausnahmsweise erlaubt.

Das war beim Bruckner anders. Dessen gewaltige symphonische Bauten werden ja gern als konzertantes Weihefest zelebriert, grenzstatisch und von Weihrauch umwölkt. Doch die Linzer präsentierten eine jugendliche Achte, mit rosigen Wangen und wildem Herzen. Die Tempi in den schnellen Sätzen waren für Bruckner-Verhältnisse hurtig, speziell im zweiten Satz, der die Geigen forderte.

Das Orchester musizierte dynamisch, impulsiv und mit kräftigen Farben: Schon das erste kleine Crescendo im Eröffnungsthema ging den Hörer mit einer physischen Spannung an. Der Streicherklang hatte Glut und Körper, das Blech agierte nobel und doch mit Schmackes, die Oboe bot wundervolle runde, innige Seufzer. Nuanciert die Gestaltung der Pizzicato-Begleitung im Trio. Herausragend der Paukist mit seinen raubtieraggressiven Crescendi im Finalsatz: Wenn zur Eröffnung des Jüngsten Gerichts gerufen wird, sollte ER auf Christian Enzenhofer zurückgreifen.

Der metaphysische Aspekt des Werks kam bei der körperlichen Deutung hingegen etwas zu kurz, die Dauerintensität nützte sich mit Fortdauer der Aufführung ab. Himmelschreiende Begeisterung im Großen Saal, fast wie seinerzeit bei der Uraufführung. (Stefan Ender, 12.3.2018)