Noch lehnen sie, ab Samstag spielen sie in "Der Zerrissene": Gerald Votava, Michael Scherff, Haymon M. Buttinger und Josephine Bloeb (v. li.).

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Regisseurin Sabine Derflinger inszeniert erstmals am Theater.

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STANDARD: Sie geben mit Nestroys "Der Zerrissene" Ihr Regiedebüt am Theater, aber nicht ganz: Sie haben schon als Kind inszeniert.

Derflinger: Ja, weil ich in der Schule nie eine Hauptrolle bekam, hab ich begonnen, daheim Theater zu spielen, angefangen beim Krippenspiel. Ich hab die Maria gegeben, unser Hausmädchen den Josef und die Angestellten im Geschäft meiner Eltern die Hirten. Da mussten dann die Schaffelle aus dem Schlafzimmer meiner Eltern dran glauben. Unseren Dekorateur und den Schneider habe ich gezwungen, mir Kostüme zu machen.

STANDARD: Dann haben Sie wohl schon, bevor Landestheaterintendantin Marie Rötzer Sie gefragt hat, mit dem Gedanken gespielt, am Theater zu arbeiten?

Derflinger: Klar. Ganz konkret wurde es, als wir für den Film Anna Fucking Molnar eine Szene am Theater in der Josefstadt gedreht haben. Das taugte mir total.

STANDARD: Ihre Filmarbeiten sind bevölkert von interessanten, starken Frauenrollen. Das Theater hat da mehr Probleme. Wie gehen Sie bei Nestroys "Der Zerrissene" mit der Fallhöhe zwischen den Geschlechtern um?

Derflinger: Es sind konventionelle Frauenfiguren, klar. Das Erste, was Nestroy bei der Übertragung aus den französischen Vorlagen gemacht hat, war, die Frauenfiguren zu schwächen; er wollte sich ja selber als Hauptdarsteller nicht die Show stehlen lassen. Das Stück habe ich jetzt nicht verändert, aber die Frauenfiguren gehen trotzdem stark hervor. Sie bekommen mehr Raum. Sie sind bei mir vor allem sehr lustig.

STANDARD: Im Unterschied zu Alltagsdialogen im Film: Inwiefern war Nestroys Sprache ein Thema?

Derflinger: Ein großes. Allerdings operiert der Film auch nicht immer mit realistischen Dialogen, Billy-Wilder-Komödien bilden auch keine realen Dialoge ab. Und auch wenn meine Filme immer realistisch waren, so ist die Sprache darin doch immer in gewisser Weise auch abstrahiert, schon in meinem ersten Film Vollgas. Die Sprachmelodie interessiert mich: Wenn vier Wörter aneinandergereiht werden, die dann bestimmte Bilder entstehen lassen, das gefällt mir. Weil ein Wort besonders weich, das nächste besonders dehnbar ist usw. Ich habe mir den Zerrissenen deshalb auch auf das Handy geredet. Ich wollte es jederzeit immer hören können, damit mir die Sprache total selbstverständlich erscheint.

Votava: Manches verlangt auch nach Bildung. Etwa der Satz mit den "Papierln" – der spielt an auf die Wertpapiere des damals aufkommenden Kapitalismus und endet mit der Nemesis, dass die Reichen zum "Papierltwerden" verdammt wurden, weil sie undankbar geworden waren. Diesen Gedankengang muss man sich genau anschauen und in einen Fluss bringen, dann geht es auf. Die Bildung wird damit der Elite ein wenig weggenommen, das gefällt mir. Der Nestroy war ja als Advokaten-Sohn (und Mittelschichtler) durchaus gebildet.

STANDARD: Frau Derflinger, Sie haben sich immer als Feministin deklariert und für die Quote ausgesprochen. Ihre Teams bestehen aus vielen Frauen. Ist das eine Revanche oder ein Automatismus?

Derflinger: Beides. Ich habe anfangs schon gezielt nach Frauen gesucht. Momentan machen die Frauen halt Druck. Die Statistiken sprechen für sich. Es ist schlichtweg unrechtmäßig, dass jemand aufgrund seines Geschlechts benachteiligt wird. So steht es in der Verfassung und in den Menschenrechten. Dass jetzt manche Revanchismus befürchten, das scheint nur so, weil gerade alles hochkommt. Aber es ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, wie es sein sollte. Frauen als Chefs sind gerade für viele Männer meiner Generation schwierig zu akzeptieren. Die konnten sich ja selbst gegen ihre Wiederaufbauväter nicht durchsetzen und wollen Frauen nicht in Leitungspositionen haben, weil sie es ja selber noch nicht dorthin geschafft hatten.

STANDARD: Was antworten Sie Menschen, die behaupten, in der MeToo-Debatte werde alles in einen Topf geworfen?

Derflinger: Niemand behauptet, dass es zwischen Pograpscher und Vergewaltigung keinen Unterschied gibt, aber beides gehört zu MeToo, denn es zeigt ja nur, wo es anfängt und wo es endet. Der wesentliche Diskussionsinhalt ist aber nicht der "erotische", sondern der Machtfaktor: Es geht in der Debatte um Machtverhältnisse, die aufgrund von ungleicher Entlohnung und ungleicher Repräsentation ständig weiter zementiert werden.

STANDARD: Wer vermischt denn Ihrer Ansicht nach MeToo-Inhalte?

Derflinger: Vermutlich die, die diese Vermischung selbst dauernd behaupten. Das ist wie rechte Rhetorik, da wird ständig alles Mögliche vom anderen behauptet, das man aber selber in die Welt gesetzt haben möchte. Diese Rhetorik will gar keinen Diskurs, sondern Verhältnisse aufrechterhalten.

STANDARD: Wie soll MeToo weitergehen?

Derflinger: Es ist ja schon viel passiert. Gewissen Grapschern ist der Arsch auf Grundeis gegangen. Viele werden sich das nicht mehr trauen. Jetzt, wo solche übergriffigen Grenzen öffentlich diskutiert werden, wird es einfacher, sich zu wehren. Die Frauen haben sich ja ewig viel zu viel gefallen lassen. Und jetzt kommt das jahrtausendealte Unrecht hoch. Das muss man jetzt einfach alles aushalten! Bis es wieder abgedampft ist und Leute sich von verblödeten Sätzen wie "Jetzt darf nicht mehr geflirtet werden" wieder verabschiedet haben. Aber klar: Es wird nie wieder so sein wie vorher. Vergewaltigung in der Ehe war in den 1970ern kein Tatbestand. Oder: Ich war damals als ledige Mutter nicht Vormund meines Kindes. Wenn aber Frauen und Männer einander uneingeschränkt auf Augenhöhe begegnen können, dann haben wir eine ganz andere Welt. Dass da viele auf die Bremse steigen, ist verständlich, denn es bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.

STANDARD: Herr Votava, unterschreiben Sie das alles?

Votava: Im Prinzip ja, dem hab ich nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass es (sexuelle) Gewalt natürlich auch gegen Burschen bzw. Männer gibt. Das habe als Schüler eines Knabeninternats kennengelernt. Ich denke, dass es wesentlich um die Kommunikation zwischen Mann und Frau geht. Frauen müssen gleich viel wie Männer verdienen, also müssen Männer etwas hergeben, anders wird es nicht gehen. Aber ich denke, immer dann, wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten, geht mehr weiter. Übrigens auch für die Kinder. (Margarete Affenzeller, 13.3.2018)