Außerhalb Asiens kennen wenige die Geschichte eines der opferreichsten Bürgerkriege der Weltgeschichte, der nach unterschiedlichen Schätzungen bis zu 20 oder gar 30 Millionen Menschen das Leben kostete. Es ist die Geschichte einer Fanatisierung und Massenmobilisierung, die viel mit Religion zu tun hat und mittelbar mit der Geschichte des Christentums in Ostasien verbunden ist, aber auch von den Verwerfungen der ostasiatischen Geschichte im 19. Jahrhundert erzählt. In China ist dieser Konflikt bis heute ein Warnzeichen, das zum Teil auch den staatlichen Umgang mit religiösen Minderheiten erklärt, über deren soziales Mobilisierungspotential man sich immer wieder irritiert zeigt und das man zu kontrollieren sucht.

Eine Welt unter Dämonenherrschaft

Die Geschichte des "Himmlischen Reiches des Großen Friedens" (Taiping tianguo) beginnt mit einem Scheitern. Hong Xiuquan (1814–1864) war der Sohn von unterprivilegierten Hakka-Nomaden in der südchinesischen Provinz Guangdong, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs und innerhalb des chinesischen Staates sozialen Aufstieg suchte. Die Anfänge wollten gelingen: Seine Eltern ermöglichten ihm unter Entbehrungen eine gute Ausbildung, schon bald erwies er sich auf der lokalen Ebene als förderungswürdig und für höhere Weihen bestimmt. Der Aufstieg, den er anstrebte, war die hochangesehene Karriere als Beamter in Staatsdiensten. Seit der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends hatte sich in China ein sehr komplexes Beamtenprüfungssystem etabliert, das prinzipiell meritokratisch – das heißt nach Verdienst – orientiert war, allerdings immer nur wenige (im einstelligen Prozentbereich) weiter kommen ließ.

Es kam, wie es kommen musste: Hong scheiterte insgesamt viermal am System und zeigte stufenweise eine immer stärkere Verzweiflung, die sich offensichtlich auch in psychischer Symptomatik – zumindest nach unserer heutigen modernen Einschätzung – manifestierte. Die Rede war von Halluzinationen und Visionen, die ihn bald plagten, und von Träumen, in denen er seine himmlische Familie traf. Ein himmlischer Vater soll ihn nun aufgefordert haben, die Welt von der Dämonenherrschaft zu befreien, was ihm mit seinem (himmlischen) älteren Bruder und einem großen Heer möglich sein werde.

Zeitgenössische Darstellung von Hong Xiuquan, dem "Himmelskönig des Großen Friedens" (um 1860).
Foto: Public Domain

Bereits zwischen diesen Phasen des Scheiterns kam er nun mit christlichen Lehren in Berührung. Nach dem ersten großen Missionsunternehmen in China Anfang des 16. Jahrhunderts, das primär von den Jesuiten getragen war und dann schließlich nicht zuletzt auch aufgrund innerkirchlicher Dissonanzen scheiterte, waren es ab dem 19. Jahrhundert primär protestantische Missionare, die das Christentum in China zu verbreiten suchten. Hong hatte Kontakt mit dem US-Amerikaner Edwin Stevens, der ihm einige Pamphlete schenkte. Wichtig davon wurde vor allem das Konvolut Quanshi Liangyan – übersetzt etwa "Gute Worte, um diese Epoche/diese Zeit belehren" –, das von Liang Fa (1789-1855) stammte, dem zweiten Chinesen, der zum Protestantismus konvertierte und der erste chinesische ordinierte Pastor wurde. Es enthielt eine teilweise chinesische Übersetzung des Neuen Testaments und einige Predigten, einschließlich einer polemischen Schrift über chinesische Religionen.

Der Bruder Jesu

Es scheint nun so gewesen zu sein, dass Hong begann, seine Träume und Visionen auf dem Hintergrund von Elementen aus diesem damit vermittelten Christentum recht freihändig zu interpretieren. Der ältere Bruder im Traum sei niemand Geringerer als Jesus gewesen – und er somit der jüngere Bruder Jesu – und der Himmlische Vater eben der Gott der christlichen Tradition. Der wichtige Moment in diesem Zusammenhang war wohl, dass das Christentum als neue Religion einen Gegenpol zur chinesischen Tradition bildete und damit eine Rolle spielen konnte im Kampf gegen die traditionelle Gesellschaft Chinas, die aktuell noch dazu von der Qing-Dynastie regiert wurde, die von den Mandschuren getragen war und vielfach als barbarischer Eindringling empfunden wurde. Die Taiping-Revolution kann gemeinsam mit den beiden Opiumkriegen auch als Vorabend des Untergangs des seit 221 v. Chr. existierenden chinesischen Kaiserreichs interpretiert werden, das dann schließlich 1911 sein Ende fand.

Hong sah sich selbst als der jüngere Bruder von Jesus und den christlichen Gott als seinen Vater.
Foto: REUTERS/Jorge Cabrera

Bald schlossen sich Hong weitere Enttäuschte an – auch die zwei ersten Konvertiten zu seinem Programm waren übrigens an den Beamtenprüfungen gescheitert – und man begann systematisch konfuzianische und buddhistische Verehrungsstätten zu zerstören. Dabei wurde man teilweise direkt von westlichen christlichen Missionaren unterstützt, die anfänglich in die neue Bewegung große Hoffnungen legten. Er bekehrte Hunderte, bald tausende Menschen zum neuen Glauben. Das Reich wuchs und entwickelte sich zu einem immer bedeutenderen politischen Faktor, auf den die Qing-Dynastie aufmerksam wurde.

Soziale Fortschritte, rigorose Strafen

Hong proklamierte schließlich am 11. Jänner 1851 offiziell sein "Himmlisches Reich des Großen Friedens", das allerdings nie Frieden bringen sollte. Von Anfang an wurde mit großer Rücksichtslosigkeit gekämpft und gemordet. 40.000 fanatisierte Anhänger zählte die Gemeinschaft anfänglich, die teilweise ihre eigenen Häuser in Brand setzten, bevor sie sich der Bewegung anschlossen, um ihre absolute Ergebenheit zu demonstrieren. Von der Provinz Guangxi aus eroberten sie ganz Südchina, zumal anfänglich so gut wie kein Widerstand entgegengebracht wurde. Die Anfänge waren eine beständige Siegesserie, weshalb man sich der himmlischen Unterstützung sicher war. Der Heilige Krieg wurde mit großer Grausamkeit geführt. Der Höhepunkt wurde 1853 mit der Eroberung der alten Kaiserstadt Nanjing erreicht, die in Tianjing ("Himmelshauptstadt") unbenannt wurde. Den bestehenden Gouverneurspalast lies Hong schleifen, um ihn durch eine erweiterte Riesenanlage, vergleichbar der "Verbotenen Stadt" in Beijing, zu ersetzen. Er selbst ließ sich zum "Himmelskönig des Großen Friedens" (Taiping tianwang) auf einem eigens für ihn errichteten Thron krönen.

Hongs Himmels-Thron, gezeigt in einer Erinnerungsstätte an die Taiping-Ereignisse in Nanjing.
Foto: Wikicommons/KongFu Wang [cc;2;by]

Vieles war eigentümlich für die Herrschaft: die Kombination mit ausgeprägten sozialen und rechtlichen Fortschritten, Krankenhäuser wurden geplant, das Erscheinen von (prinzipiell) unabhängigen Zeitungen und der Bau von Eisenbahnen. Das Druckereiwesen erfuhr ungeahnten Aufschwung: Vornehmlich – aber nicht nur – die Bibel wurde hunderttausendfach vervielfältigt, in der Übersetzung des deutschen Missionars Karl Gützlaff, der 1851 in Hongkong gestorben war. Alkohol und Prostitution wurden unter Todesstrafe gestellt, Frauen und Männer soweit gleichberechtigt. Es galt nur mehr die Einehe und als altertümlich empfundene Praktiken, wie die Verkrüppelung durch das traditionelle Einbinden der Füße, wurden verboten. Dem grassierenden Opiumkonsum, ein großes soziales Problem im damaligen China, versuchte man rigoros entgegenzutreten: Das Verbot des Rauschmittels wurde sogar in die Zehn Gebote aufgenommen, die die Grundlage der Verfassung bildeten. Wer diese allerdings nicht innerhalb weniger Tage auswendig lernte oder wer gegen ein Gebot verstieß oder sündigte, wurde enthauptet. Das gleiche geschah mit denjenigen, die die Werke des Konfuzius und anderer chinesischer Klassiker lasen. Ziel war offensichtlich eine regelrechte Umerziehung, die sich aus den kruden Einfällen und Interpretationen Hongs ergaben.

Der Niedergang des "Himmlischen Reiches"

Nichtsdestotrotz hatte das "Himmlische Reich" in unterschiedlichen Ausbreitungen einen Bestand von über zehn Jahren. Der Niedergang beginnt Anfang der 1860er-Jahre, zum einen aufgrund steigender interner Spannungen, zum anderen aufgrund des immer größer werdenden Militäreinsatzes der herrschenden Macht. 1864 fällt schließlich Nanjing an die Qing-Truppen, die zum Teil von europäischen (christlichen) Truppen unterstützt werden. Als die Truppen in das zuvor belagerte und ausgezehrte Nanjing eindringen, begehen tausende Mitglieder des "Himmlischen Reiches" Selbstmord. Hong selbst wird einige Tage später vergiftet in einem Abwasserkanal gefunden. Sein Sohn, den er zuvor als Nachfolger installiert hatte, kann zwar fliehen, wird aber im Oktober 1864 festgenommen und hingerichtet, kurz vor seinem 15. Geburtstag.

Eine der frühen Phasen der Ausbreitung des "Himmlischen Königreichs" (in rot).
Foto: Wikipedia/Zolo [cc;3;by]

Die traurige Geschichte des Taiping Tianguo liest sich vielfach wie ein Präludium der Ereignisse im 20. Jahrhundert. Das offizielle Ende des chinesischen Kaiserreichs 1911 stürzt das riesige Land in eine beständige Abfolge von Bürgerkriegen und Terrorherrschaften, von denen Maos Volksrepublik ab 1949 nur eine Facette mehr sein wird. Bis heute wird zudem das beträchtliche Mobilisierungspotential, das von religiösen Ideen und Konzepten ausgehen kann, als eine Art Warnung interpretiert. Nur so kann das rigorose Vorgehen der chinesischen Behörden gegen eine Reihe von jüngeren Gemeinschaften ab den 1990er-Jahren interpretiert werden. Die chinesische Berichterstattung über und der behördliche Umgang mit Gemeinschaften wie Falun Gong oder die (um vieles kleinere) Gemeinschaft Dongfang Shandian (Eastern Lightning, auch Church of Almighty God, Quannengshen Jiaohui, genannt) aus den letzten Jahrzehnten sind Reflexe dieser spezifischen Tradition, die ihre Wurzeln in der Angst vor der sozialrevolutionären Wucht hat, die religiösen Bewegungen innewohnen kann, wenn die Außenfaktoren stimmen. (Franz Winter, 21.3.2018)

Literaturhinweise

  • Franz Michel, The Taiping Rebellion. History and Documents. Bde 1-3, 1966
  • Thomas H. Reilly. The Taiping Heavenly Kingdom: Rebellion and the Blasphemy of Empire, 2004

Bildquellen

Weitere Beiträge im Religionswissenschaftsblog