ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel will bei der Mindestsicherung weiterhin zwischen "Personen, die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben", und Nichtösterreichern differenzieren. Ein Vorschlag werde bis Jahresende ausgearbeitet.

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Wien / St. Pölten – "Natürlich" respektiere die Bundesregierung Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, an den türkis-blauen Plänen ändere sich trotzdem nichts, ließen die Regierungskoordinatoren am Montagnachmittag wissen. Zuvor hatte das Höchstgericht die Regelungen zur Mindestsicherung in Niederösterreich aufgehoben: Eine von der Dauer des Aufenthalts in Österreich abhängige Wartefrist, um die Sozialleistung in voller Höhe zu beziehen, sowie eine starre Deckelung für Haushalte mit mehreren Personen, wie es im Landesgesetz festgeschrieben wurde, "sind unsachlich und daher verfassungswidrig", entschieden die Verfassungsrichter. ÖVP und FPÖ dient das niederösterreichische Modell dennoch als Vorbild.

"Halten daran fest"

"Wir halten an unserem Ziel fest, eine bundesweit einheitliche Lösung zu erarbeiten, die differenziert zwischen denjenigen Personen, die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben, und jenen Nichtösterreichern, die neu in das Sozialsystem dazugekommen sind", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ). Einen entsprechenden Vorschlag soll es bis Ende des Jahres geben.

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Im Regierungsprogramm sind auch weitere Vorhaben angekündigt, die das Verfassungsgericht nun auf Landesebene beendigt hat: "Leistungen für eine Bedarfsgemeinschaft werden mit 1500 Euro gedeckelt", heißt es dort beispielsweise. Die Geldleistung für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte soll laut Koalitionspakt auf 365 Euro Grundleistung sowie einen möglichen Integrationsbonus von 155 Euro reduziert werden.

Wörtlich heißt es in der Entscheidung der Verfassungsrichter vom 7. März: "Das mit § 11b NÖ MSG geschaffene System (Deckelung, Anm.) nimmt keine Durchschnittsbetrachtung vor, sondern verhindert die Berücksichtigung des konkreten Bedarfes von in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen. Dadurch verfehlt dieses System der bedarfsorientierten Mindestsicherung ab einer bestimmten Haushaltsgröße seinen eigentlichen Zweck, nämlich die Vermeidung und Bekämpfung von sozialen Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen."

Beschwerden von Betroffenen

Vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hatte es mehr als 160 Anträge an die Verfassungsrichter gegeben. Dahinter stehen jeweils Beschwerden von Personen, die nach der seit Jänner 2017 geltenden Rechtslage eine geringere Mindestsicherung zugestanden bekommen hatten.

Der Verfassungsgerichtshof verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach jede zusätzliche Person in einem Haushalt eine zusätzliche Belastung für die Familie darstellt. Eine abrupte Kürzung ab einer bestimmten Zahl von Haushaltsmitgliedern sei daher nicht rechtens – auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person mit zunehmender Haushaltsgröße tendenziell abnehmen mögen. Außerdem haben die Höchstrichter erkannt: "Wenngleich 1500 Euro für bestimmte Haushaltskonstellationen ausreichend sein können, verhindert das NÖ MSG eine einzelfallbezogene und damit sachliche Bedarfsprüfung." Das Gesetz sei schon aus diesem Grund aufzuheben.

Wien fühlt sich bestätigt

Caritas und Diakonie begrüßen die Aufhebung der niederösterreichischen Mindestsicherungsregelung. Die beiden Hilfsorganisationen würden jetzt auf ein verfassungskonformes österreichweites Modell hoffen. Mehrere Bundesländer wollen der Regierung nun als neues Vorbild dienen: Die Stadt Wien, die auf ein rot-grünes Mindestsicherungsmodell ohne Kürzungen und Deckelungen setzt, fühlt sich durch die Entscheidung des Höchstgerichts bestätigt. Auch Vorarlberg preist die eigene Regelung als mögliche Basis für den Bund an. (Katharina Mittelstaedt, Conrad Seidl, 13.3.2018)