Wien/Washington/Berlin – "Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Folgen sich als nicht so gravierend herausstellen, wie derzeit zu befürchten ist." Nichtsdestotrotz, meint Deutschlands Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei einem Vortrag am Dienstag in Wien brauche Europa eine Antwort auf Donald Trumps "America first"-Politik – und die könne nur in einer reformierten Union unter deutsch-französischer Führung liegen, die sich auch wieder an Russland und die Türkei annähert.

"Herausforderungen, aber auch Chancen" sieht Schröder, der auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik zu exakt diesem Thema sprach, für Europa angesichts eines US-Präsidenten, "der wenig Respekt für die Werte zeigt, die uns bisher im transatlantischen Verhältnis verbunden haben". Man dürfe "dieser Politik, die eindeutig auf Populismus, Ausgrenzung, Isolierung und auch auf Spaltung der Europäischen Union setzt, nicht folgen".

Achse Berlin-Paris

Trumps "America first"-Politik werde zweifellos Veränderungen für Europa bringen, zeigte sich der Sozialdemokrat Schröder überzeugt, "und dieses Europa muss darauf Antworten finden." Eine liegt für ihn – nach einer Phase der Abkühlung während der Jahre – in einer Wiederbelebung der Achse Berlin-Paris als "Dreh- und Angelpunkt der europäischen Integration." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe seine Vorstellungen zur EU-Reform präsentiert – und man müsse diese, auch wenn man ihnen nicht in allen Einzelheiten zustimme, "auch unter dem Gesichtspunkt sehen, wie wehren wir uns gegen eine außer Rand und Band geratene US-Politik?" Daher, meinte Schröder, sei es geradezu "die Pflicht" dieser beiden Staaten, "eine gemeinsame europäische Agenda zu starten und Europa einen neuen Impuls zu geben."

In welche Richtung dieser Impuls gehen muss, ist für Schröder auch klar: "Ein gemeinsam handelndes, aber eben auch handlungsfähiges Europa." In den Grundzügen bedeutet das für ihn "weniger Europa" bei Fragen, die auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene schneller zu treffen und "mehr Europa" bei jenen Problemen, die nur auf europäischer Ebene zu lösen seien: So brauche die Eurozone nicht nur eine gemeinsame Geldpolitik, sondern auch die Finanz-, Wirtschafts- und – "das füge ich ganz leise hinzu" – auch die Sozialpolitik müsse koordiniert werden. Ebenso "brauchen wir in Europa eine Außenpolitik aus einem Guss", forderte Schröder – "am besten durch einen europäischen Außenminister".

Wieder-Annäherung an Russland

"Mehr und effektivere Kooperation bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen" lautet für Schröder die dritte große Aufgabe für die Union. Diese Aufgabe dürfe nicht als Abschottungspolitik "diffamiert" werden: "Humanität definiert sich eben nicht an der Offenheit von Grenzen, sondern in erster Linie an der Bereitschaft zur Hilfe dort, wo sie notwendig ist und wo sie den Menschen wirklich helfen kann." Daher brauche es sowohl eine solidarische europäische Flüchtlingspolitik als auch die Bereitschaft zur Hilfe vor Ort. "Hier müssen die europäischen Staaten mehr tun", stellte sich Schröder klar hinter die Forderung, "bei der Verteilung von EU-Mitteln auch das Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu berücksichtigen – ebenso wie die Einhaltung europäischer Werte."

Geopolitisch führt für den deutschen Ex-Kanzler – der gelegentlich für seine enge Freundschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wie auch für sein gut bezahltes Engagement für den russischen Erdölkonzern Rosneft kritisiert wird – auch kein Weg an einer Wieder-Annäherung der EU an Russland und die Türkei vorbei. "Ohne Zweifel sind das zwei schwierige Länder, deren innenpolitische Entwicklung und außenpolitische Entscheidungen wahrlich nicht unbedenklich sind und niemanden erfreuen können", räumte er ein. Allerdings könne es ohne eine Zusammenarbeit mit Moskau und Ankara keine Stabilität in Osteuropa, Zentralasien, dem Kaukasus, dem Nahen Osten und in Nordafrika geben. Außerdem könnte der Weg beider Staaten sonst "mehr als uns lieb sein kann, in Richtung Asien führen".

Wahlperiode endet nach vier Jahren

Warum er die Hoffnung, wie er eingangs erwähnt hatte, noch nicht ganz aufgegeben hat, begründete Schröder übrigens so: "Die globale Verantwortung, die die USA haben, verträgt sich nicht mit einer auf Isolation und Protektionismus angelegten Haltung.(...)Wir können alle nur hoffen, dass die globalen Realitäten die USA und ihren gegenwärtigen Präsidenten wieder in die multilateralen Strukturen zurück-'zwingen'(...)Das sollte und das müsste eigentlich auch der amerikanische Präsident lernen – und wenn er es nicht tut, bleibt uns nur die Erkenntnis, dass auch in den USA eine Wahlperiode nach vier Jahren endet." (APA, 13.3.2018)