Seit 7.000 Jahren wird im Hallstätter Salzbergtal Salz produziert. Die alpine Landschaft hat über Jahrtausende hinweg besondere Herausforderungen an die Menschen gestellt, die hier gelebt und gearbeitet haben. Wie es möglich war, ohne Straßen und Strom zu leben, erzählen Zeitzeugen, die in den 40er- und 50er-Jahren im und am Salzberg gearbeitet haben. Im Rahmen eines "Citizen Science"-Projektes werden von Schülern der Neuen Mittelschule Bad Goisern Interviews geführt. Sie geben uns Informationen zu den Möglichkeiten und Grenzen des Lebens in dieser Landschaft und erlauben es uns Archäologen, ein Gefühl für das Salzbergtal zu bekommen und so auch prähistorische Lebens- und Arbeitsbedingungen besser einschätzen zu können.

Das Hochtal von Hallstatt im Winter: ohne Straßen und Räumfahrzeuge ein beschwerlicher Aufstieg.
Foto: Salinenarchiv

Schwieriges Leben

Seit Jahrtausenden wird in den Alpen Bergbau betrieben. Welche Herausforderung stellte das Leben und Arbeiten in einer solchen Landschaft für die Menschen dar? Vor allem in Fragen der Versorgung und des Transportes von Personen und Waren aller Art. Die Wege waren weit und für heutiges Verständnis umständlich, die Winter lang und voller Schnee. Viele dieser Erschwernisse können heute, wo die meisten Landschaften durch ein gut ausgebautes Straßennetz erschlossen und fast überall Strom, Heizung und Einkaufsmöglichkeiten vorhanden sind, kaum noch nachvollzogen werden.

Bis in die 1950er-Jahre war der Transport von Material auf den Salzberg noch sehr mühsam. Hier wird eine Fördermaschine mithilfe eines Ochsen auf den Berg gezogen.
Foto: Salinenarchiv

Es ist nicht notwendig, 3.000 Jahre in die Vergangenheit zu blicken, um derartige Lebensbedingungen zu finden. Noch vor 50 oder 60 Jahren war das Leben im Salzbergtal und auf den umliegenden Almen durchaus nicht so bequem wie heute. Viele der Bergleute waren in den Gemeinden rund um Hallstatt beheimatet, oft auf Nebenerwerbshöfen, und gingen jeden Montag oft viele Kilometer zu Fuß auf den Salzberg, wo sie bis zum Wochenende einquartiert waren.

Erst ab 1960 ändert sich das grundlegend. Der neue Erbstollen mit dem zentralen Förderschacht geht in Betrieb, und die Straße auf den Salzberg wird fertiggestellt. Mit diesen Neuerungen ist es den Bergleuten nun möglich, zu Hause bei ihren Familien zu wohnen, und die großen Mannschaftsquartiere in der Nähe der Stollen werden funktionslos. Diese Umstellung stellt eine völlige Veränderung der Sozialstruktur dar. Das erste Mal seit Jahrtausenden ist der Bergbau nicht mehr auf die Produktion der eigenen Betriebsmittel in unmittelbarer Nähe angewiesen, und immer mehr Güter können von außerhalb angeliefert werden. Dadurch sind immer weniger Betriebs- und Verwaltungseinrichtungen rund ums Salz notwendig – Salz und seine Infrastruktur sind nicht mehr landschaftsprägend.

Das Hallstätter Hochtal um 1910: Hier war noch der gesamte Betrieb im Salzbergtal angesiedelt.
Foto: Salinenarchiv

Zeitzeugen sprechen

Um einen Zugang zum damaligen Lebensgefühl und den Veränderungen, denen die Landschaft unterworfen ist, zu bekommen, werden nun in Zusammenarbeit mit Schülern und Lehrern der NMS Bad Goisern Interviews mit Menschen geführt, die die damalige Situation noch erlebt haben. Damit sollen die Schüler aktiv in den Forschungsprozess eingebunden werden, von der Erarbeitung der Fragestellung über die Auswertung der Ergebnisse bis hin zur Veröffentlichung.

Neben der Sammlung von Daten, Fakten, aber vor allem persönlichen Eindrücken und Zugängen ist eines der Ziele, das Verständnis der Schüler für "ihre" Landschaft zu stärken und sie auf die Vorgänge und Veränderungen in dieser aufmerksam zu machen. Damit entsteht ein Gefühl für die eigene Heimat und Toleranz für den Schutz und den Erhalt ihrer Umgebung.

Karl Gamsjäger (88) war ab 1947 als Bergmann in Hallstatt tätig, und das für 36 Jahre.
Foto: NMS Bad Goisern

Das Salzkammergut wird heute fast ausschließlich als Tourismusregion wahrgenommen. Der Wirtschaftszweig, dessentwegen sich hier Menschen ansiedelten und der die Landschaft lang beherrschte, veränderte und prägte, rückt durch fortschreitende Technisierung und Rationalisierung immer weiter aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Und das, obwohl die Salinen Austria AG heutzutage mehr Salz produziert denn je.

Agnes Höll war viele Jahre lang Sennerin auf der Sattelalm über dem Salzbergtal in Hallstatt.
Foto: NMS Bad Goisern

Oral History als letzte Chance

Nun ist die letzte Chance gekommen, persönliche Eindrücke dieser Umwelt einzufangen und zu bewahren, denn naturgemäß werden die Zeitzeugen weniger. Derzeit arbeiten ca. 40 Schüler daran, mithilfe von Fotos, Filmen und schriftlichen Interviews so viel Information wie möglich zu sammeln. Dabei soll unter anderem folgenden Fragen nachgegangen werden: Wie ist das Lebensgefühl in einer Landschaft, in der alles Erreichbare in Sichtweite liegt? Welche Bedarfsgüter konnten selbst produziert werden? Wie wurden Materialien auf den Salzberg transportiert? Welche Distanzen wurden zu Fuß zurückgelegt? Wie war die Empfindung von Eigenschaften wie "weit", "steil", "beschwerlich"? Wie war die Arbeit im Berg? Wie das Leben auf dem Hof, den die Frauen gemeinsam mit den Kindern allein zu versorgen hatten? Wie wurden Termine und Treffpunkte in einer Welt ohne Telekommunikation vereinbart? Wie war die Hierarchie der Menschen aufgebaut, die ihr Leben rund um das Salz organisierten? Wie kann man sich das Leben auf dem Salzberg und im Bergwerk vorstellen – die Kasernierung der Arbeiter, das Gemeinschaftsleben in dieser Männerwelt?

Oral-History-Interviews mit Karl Gamsjäger und Agnes Höll.
recher

Ein weiterer Weg, die Veränderung der Landschaft nachzuvollziehen, wird im Projekt "Facealps" verfolgt. Darin soll vor allem die Wechselwirkung zwischen der Umwelt und den in dieser lebenden Menschen untersucht werden.

Nach und nach wachsen so das Wissen und das Verständnis in Bezug auf eine Landschaft, ihre Besonderheiten und ihren Wandel im Lauf der Zeiten. So soll sich einerseits an das Leben vergangener Zeiten herangetastet, andererseits aber auch der Schutz von Kulturräumen in der Zukunft gesichert werden. (Fiona Poppenwimmer, Hans Reschreiter, 15.3.2018)