Die größte Kammer Son Doongs ist über 200 Meter hoch und mehr als 100 Meter breit. Mit einer Gesamtlänge von neun Kilometern hat die 2009 von britischen Forschern erkundete Höhle das größte Volumen der Welt.

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Um in die zerklüftete Unterwelt des Kalksteinmassivs vorzudringen, müssen die Expeditionsteilnehmer durch rauschende Höhlenbäche waten, sich an Abgründen und glitschigen Felsvorsprüngen entlanghangeln und dürfen vor allem keine Platzangst haben.

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Hang Va ist durch unterirdische Wasserläufe mit der Son-Doong-Höhle verbunden, der größten bekannten Höhle der Welt.

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In der weltgrößten Höhle fände neben den paar Zelten locker ein Jumbojet Platz.

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Der Film "Kong: Skull Island" machte die Riesenhöhle weltberühmt.

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Da steht er, der Riesenaffe, sein Silberrücken glänzt im Schein der Stirnlampe des Höhlenführers. Tran Quangh An Vu lässt den Lichtkegel seines Helms über den riesigen Stalagmiten in der Nuoc-Nut-Höhle wandern. Der Kopf des Ungetüms berührt beinahe die Decke der gewaltigen unterirdischen Kammer, neben ihm wirken die irrlichternden Menschen wie Ameisen. Der kolossale Gorilla ist über Jahrmillionen zu Stein erstarrt und dabei nur einer von abertausenden Tropfsteinskulpturen in der Unterwelt des vietnamesischen Nationalparks Phong Nha-Ke Bang.

Das von Dschungel überwucherte Karstgebirge ist Teil der Annamitischen Kordilleren an der zentralvietnamesischen Grenze zu Laos und von unzähligen unterirdischen Wasserläufen durchlöchert. Im Blockbuster "Kong: Skull Island" ist die üppig grüne, zerklüftete Silhouette Heimat des Riesenaffen Kong. In unterschiedlichen Höhlen des Parks, in der Halong-Bucht und der nordvietnamesischen Ninh-Binh-Provinz wurden die spektakulären Landschaftsaufnahmen für den 2017 erschienenen Kassenschlager gedreht.

Nur keine Platzangst

"Der Film hat den Nationalpark in der Welt erst richtig bekanntgemacht", sagt Vu, "dabei hätte der Park das Marketing eigentlich gar nicht nötig." Der 28-Jährige ist gemeinsam mit zwei Trägern und einer kleinen Gruppe Interessierter auf Höhlenexpedition. Maximal zehn Besucher sind auf den Erkundungstouren des einzigen Veranstalters Oxalis zugelassen.

Um in die zerklüftete Unterwelt des Kalksteinmassivs vorzudringen, müssen die Expeditionsteilnehmer durch rauschende Höhlenbäche waten, sich an Abgründen und glitschigen Felsvorsprüngen entlanghangeln und dürfen vor allem keine Platzangst haben. "Die Gorilla-Höhle war nur eine Aufwärmübung ", sagt Vu, nachdem die Gruppe durch den von Schlingpflanzen gerahmten Ausgang der Höhle zurück ins dunstige Licht der Abendsonne getreten ist. Das eigentliche Ziel dieser Expedition ist Hang Va, eine Höhle, die erst 2012 entdeckt wurde und noch weiter oben in den Bergen liegt.

Verlorene Welt

"Ihr gehört zu den ersten Touristen, die sie betreten werden", sagt Vu. Bislang blieb dieses Privileg Höhlenforschern vorbehalten. Das ist Ansporn genug, den Aufstieg über scharfkantige Felsblöcke im Dschungel auf sich zu nehmen, ohne Murren die Blutegel von den Hosenbeinen zu zupfen und die Moskitos im Nacken zu ertragen.

Hang Va ist durch unterirdische Wasserläufe mit der Son-Doong-Höhle verbunden, der größten bekannten Höhle der Welt. Forscher entdeckten in dem Labyrinth zuletzt eine blinde Fischart, die nirgendwo sonst vorkommt. "Monster gibt es hier nicht", scherzt Vu, "aber ständig werden neue Tierarten aufgespürt."

Der Nationalpark ist tatsächlich – wie in dem Blockbuster gezeigt – eine verlorene Welt. Zwar wird das Gebirge nicht von Flugsauriern und Riesenbüffeln bevölkert, aber die Annamitischen Kordilleren gelten als einer der letzten Rückzugsorte des Gaurs, des größten Wildrinds der Erde. Zudem leben hier Kragen- und Malaienbären und zehn verschiedene, seltene Affenarten. 1992 sorgte die Entdeckung des Vietnamesischen Waldrinds oder Saola für eine zoologische Sensation. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass alle Landsäugetiere dieser Größenordnung bereits wissenschaftlich beschrieben wurden. "Um eines dieser Tiere zu sehen, braucht man aber viel Glück", sagt Vu. Er selbst hat die seltenen Arten noch nie zu Gesicht bekommen.

Größtes Volumen der Welt

Die Gruppe schlägt auf einer Lichtung etwas oberhalb des Höhleneingangs von Hang Va ihr Lager auf. Die Nacht ist voller geheimnisvoller Stimmen. Ins Konzert des Dschungels mischen sich kaum bestimmbare Laute, unterlegt vom Zirpen der Zikaden, das eher wie eine heisere Motorsäge klingt. Nach der zweiten Runde Reiswein zum Abendessen erzählt Vu von seinen Expeditionen in die Son-Doong-Höhle: von Höhlengängen, in die man Wolkenkratzer stellen oder wo man einen Jumbojet parken könnte. Die größte Kammer Son Doongs ist über 200 Meter hoch und mehr als 100 Meter breit. Mit einer Gesamtlänge von neun Kilometern hat die 2009 von britischen Forschern erkundete Höhle das größte Volumen der Welt.

An einer Stelle ist schon vor Jahrtausenden die Decke eingebrochen, sodass eine Doline entstand, über der gewaltige Baumriesen wuchern. "Die Forscher haben sie Garden Edam genannt", sagt Vu, "weil das Gestein dort wie Schweizer Käse durchlöchert ist." Auch die Tierwelt bevölkert die äußeren Bereiche der Höhle. "Manchmal kommen Gibbons herunter und scheuchen die Flughunde auf", sagt Vu. Einmal hatte er zwei lebendige Hühner als Proviant mitgenommen, am nächsten Morgen waren nur noch Geflügelknochen übrig. Ein Nepal-Uhu, der bis zu 60 Zentimeter groß werden kann und gespenstische, menschenähnliche Rufe ausstößt, hatte sich über die Hühner hergemacht.

Lange unentdeckt

Der Eingang zur Höhle von Hang Va ist ein enger Schlund zwischen mächtigen Felsblöcken. Kein Wunder, dass der Zugang so lange unentdeckt blieb. An Seilen lassen sich Vu und seine Expeditionsgruppe ins Dunkel hinab. Unten stehen sie bis zur Hüfte in einem reißenden Höhlenstrom. Die Felswände sind verschiedenfärbig marmoriert: Die gelben Schichten enthalten Schwefel, die roten Eisen, in den grünen ist Kupfer enthalten, und das glitzernde Weiß ist Quarz, erklärt Vu. Vorsichtig watet der Höhlenführer in die Dunkelheit voran. Im Licht seiner Stirnlampe entfaltet sich eine fantastische Welt aus Tropfsteinen – triefende Bärte von Riesen aus Kalkstein sind zu erkennen, erstarrte Fabelwesen aus Marmor neben rauschenden Kaskaden des unterirdischen Flusses.

Über einen felsigen Grat führt ein schmaler Pfad hinauf zu einem See, aus dem ein einsamer Stalagmit wie eine verlorene Zipfelmütze ragt. Dahinter reihen sich terrassierte Wasserbecken aneinander, als wären es Badewannen für die Kreaturen der Unterwelt. In den obersten Pools ragen in einer turnhallengroßen Kammer hunderte Tropfsteinkegel aus dem Wasser und erinnern an eine Armee verwitterter Terrakottakrieger.

Steigende Besucherzahlen

"Ich wünschte, wir könnten die Höhlen für immer so erhalten, wie sie sind", sagt Vu draußen im Dschungelregen. Doch gerade erst habe die Regierung beschlossen, eine Seilbahn bis fast vor den Eingang der Höhle von Son Doong zu bauen. Die Realisierung könnte dazu führen, dass die 800 Besucher, die die Höhle derzeit pro Jahr besuchen dürfen, in Zukunft an einem einzigen Tag kommen. Ob die Nationalparkleitung nichts dagegen einzuwenden habe? Vu schüttelt den Kopf. "Denen geht es ja um steigende Besucherzahlen."

Ein Ausflug in die wenige Kilometer entfernte Höhle von Thien Duong wirkt da wie ein Blick in die mögliche Zukunft von Son Doong. Auf dem Parkplatz vor dem Eingang drängen sich die Reisebusse, fliegende Händler verkaufen Flaschen mit Wasser aus den Höhlen und Devotionalien mit dem Konterfei von Ho Chi Minh. Junge Pärchen hantieren mit ihren Selfie-Sticks, amerikanische, europäische und asiatische Backpacker vergleichen die Fotos auf ihren Smartphones. Viele von ihnen hat bestimmt Kong, der Riesenaffe, hergelockt. Der Blockbuster war nicht nur im Westen, sondern auch in China und anderen asiatischen Ländern einer der kommerziell erfolgreichsten Filme des vergangenen Jahres. (Win Schumacher, RONDO, 19.3.2018)