Ankara/Athen – Nächsten Montag wollte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu eigentlich seinen US-amerikanischen Kollegen treffen, um endlich eine Formel für den Abzug der Kurden im syrischen Kriegsgebiet zu finden. Doch jetzt ist Rex Tillerson weg, und die Lösung für Manbij, die Provinzstadt westlich des Euphrat, wo die US-Armee eine Basis hat und mit der Kurdenmiliz der YPG zusammenarbeitet, hängt erst einmal in der Luft. Dutzende Male drohte der türkische Staatschef Tayyip Erdoğan bereits mit einem Angriff auf Manbij. Ein Gefecht zwischen Nato-Verbündeten war denkbar geworden.

Çavuşoğlu verkündete am Dienstag zwar bereits eine prinzipielle Einigung mit den USA über Manbij: Die Kurdenmiliz würde abziehen, türkische und US-amerikanische Soldaten übernähmen dort die Kontrolle. Doch das war, kurz bevor der US-Präsident die Entlassung seines Außenministers in die Welt twitterte. Zeitplan und Modalitäten des Abzugs der Kurden aus Manbij sind jedenfalls noch offen. Die Kurden der YPG betrachtet die politische Führung in der Türkei als "Terroristen".

Dafür trat der Krieg der Türken in der benachbarten syrischen Provinz Afrin möglicherweise in die Schlussphase. Der Generalstab in Ankara gab am Dienstag die Einkreisung der gleichnamigen Provinzhauptstadt bekannt. 323.000 Zivilisten sollen dort zuletzt nach einer Schätzung der Uno gewohnt haben. In Medien zirkulierte am Dienstag eine mehr als doppelt so große Zahl. 700.000 Zivilisten sollen sich in Afrin und den umliegenden Dörfern aufhalten. Die türkischen Generäle aber haben nun zwei Optionen auf dem Tisch: Afrin belagern oder angreifen, abwarten oder losschlagen.

Streit um Zahl ziviler Opfer

Staatschef Erdogan hatte als Oberkommandierender bereits die Entscheidung getroffen. "Wenn wir es wie andere Länder tun, können wir Afrin in drei Tagen einnehmen", erklärte der türkische Präsident am vergangenen Wochenende auf einem der Parteitage seiner AKP, auf denen er nun regelmäßig auftritt. Um Opfer unter Zivilisten zu vermeiden, werde die türkische Armee vorsichtig vorgehen, kündigte er an. In der Nacht zu Dienstag sollen türkische Kampfjets gleichwohl zweimal die Stadt Afrin bombardiert haben, meldete die kurdische Nachrichtenagentur Firat.

Bei einem weiteren Bombardement am Dienstagmorgen soll ein Bub verwundet worden sein. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine in Großbritannien ansässige Aktivistenplattform, registrierte bis zum vergangenen Wochenende 204 zivile Opfer in der Provinz Afrin seit Beginn des türkischen Angriffs am 20. Jänner. Armee und Regierung in der Türkei weisen diese Angaben zurück. Ankara spricht von neun toten Zivilisten. Die türkische Armee verlor bisher 43 ihrer Soldaten.

Tausende auf der Flucht

Seit die türkischen Soldaten und die mit ihnen verbündeten Milizen der Freien Syrischen Armee (FSA) den Ring um Afrin schlossen, versuchen Bewohner, aus der Stadt zu entkommen. Die Hauptroute führt nach Süden in das Umland von Aleppo. 160.000 Menschen aus Afrin sollen dort laut SOHR bereits in den Kleinstädten Nabl und al-Zahra Zuflucht vor den Kämpfen mit der türkischen Armee gefunden haben. Rund 2.000 Bewohner aus Afrin trafen allein am Montag ein.

Die türkische Armee wiederum öffnete nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu im Westen von Afrin einen Korridor für Zivilisten. Denn das Gebiet um Nabl und al-Zahra ist kritisch für die Türkei. Dort hat die syrische Regierungsarmee die Kontrolle. Über kurz oder lang könnte dort die Front zwischen den türkischen Kräften und der Armee von Bashar al-Assad verlaufen. Ob und wann Assads Armee in Afrin eingreift, ist eine der Unwägbarkeiten in diesem Krieg. (Markus Bernath, 13.3.2018)