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Britische Soldaten in der Nähe des Tatortes in Südengland: Die Ermittlungen rund um den Giftanschlag auf den russischen Spion Sergej Skripal in Salisbury gehen weiter.

Foto: AP / Frank Augstein

Wenige Stunden vor Ablauf des britischen Ultimatums wurde am Dienstag in London darüber spekuliert, welche Sanktionen Großbritannien im Fall Skripal gegen Russland verhängen werde. Premierministerin Theresa May hatte am Montag von Moskau Aufklärung verlangt, wie der Kampfstoff Nowitschok auf die Insel gelangt sei. Heute, Mittwoch, berät sie mit dem Nationalen Sicherheitsrat das weitere Vorgehen.

Das Nervengift wurde britischen Wissenschaftern zufolge beim Mordanschlag gegen den Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia in Salisbury verwendet. Der russische Außenminister Sergej Lawrow wies die Vorwürfe als "Unsinn" zurück und verlangte Aufklärung: Schließlich sei Julia Skripal eine russische Staatsbürgerin.

Nato besorgt

"Wie können wir jetzt noch zu Putins WM fahren?", fragte The Mail. Bisher hieß es, das Fußballturnier werde von Sanktionen nicht betroffen sein.

Von der Nato wurde der Einsatz des chemischen Kampfstoffes als "abscheulich und völlig inakzeptabel" bezeichnet. Der Zwischenfall gebe Anlass zu "großer Besorgnis", teilte Generalsekretär Jens Stoltenberg mit. Die EU teilte mit, man stehe "Schulter an Schulter" mit Großbritannien. Außenminister Boris Johnson freute sich über Solidaritätsbekundungen von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und seinem scheidenden deutschen Kollegen Sigmar Gabriel. Laut einer Mitteilung des Weißen Hauses sagte US-Präsident Donald Trump am Dienstag in einem Telefonat mit May, Russland müsse klare Antworten auf die Fragen geben, wie die in Russland entwickelte chemische Waffe in Großbritannien habe eingesetzt werden können.

Sergej Skripal (66) und Julia Skripal (33) schwebten auch am Dienstag noch in Lebensgefahr auf der Intensivstation des Bezirksspitals von Salisbury.

Spuren von Nowitschok

Im Jahr zuvor war der Oberst des militärischen Abschirmdienstes im Rahmen eines Agentenaustausches aus einem russischen Gefängnis freigekommen, wo er eine Haftstrafe wegen Spionage für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 verbüßte. Unklar bleibt, wann und wo genau der Giftangriff erfolgte. Sowohl in einer Pizzeria wie auch in einem Pub, in dem sich der Ex-Agent und seine aus Russland zu Besuch weilende Tochter aufgehalten hatten, wurden Spuren von Nowitschok gefunden. Rund 500 Menschen, die zwischen Sonntagmittag und Montagabend das Pub und die Pizzeria besucht hatten, wurden später dazu aufgefordert, ihre Kleider zu waschen, Mobiltelefone und Geldtaschen gründlich abzuwischen. In der oppositionellen Labour-Party besteht weitverbreiteter Unmut über Parteichef Jeremy Corbyns Antwort auf Mays Unterhaus-Statement vom Montag. Corbyn hatte die Straftat verurteilt, dann aber die Fortsetzung eines "robusten Dialogs" mit Moskau gefordert, ehe er zum Angriff auf die Torys überging.

Diese müssten sich stärker von russischen Versuchen distanzieren, über Parteispenden Einfluss auszuüben. Konservative Abgeordnete reagierten mit Protestrufen. Einflussreiche Labour-Parlamentarier wie Yvette Cooper, Vorsitzende des Innenausschusses, verliehen der Hoffnung Ausdruck, "das ganze Haus" werde sich hinter der harten Regierungslinie versammeln – eine kaum verhüllte Kritik an Jeremy Corbyn. Einem Bericht der konservativen Sunday Times zufolge haben russische Oligarchen den Konservativen seit Mays Amtsantritt im Juli 2016 826.100 Pfund (932.400 Euro) zukommen lassen.

Womöglich deshalb, so Corbyns Verdacht, sträubt sich die Regierung gegen Versuche, eine derzeit im Parlament beratene Vorlage zu einer britischen Version des Magnitski-Gesetzes zu verschärfen.

Diese bezieht sich auf den Fall des russischen Wirtschaftsprüfers Sergej Magnitski, der einem russischen Korruptionsskandal auf die Spur gekommen war und 2009 in einem Moskauer Gefängnis starb. 18 Betroffenen wurden in den USA sämtliche Konten gesperrt und die Einreise verweigert.

Weiterer Todesfall

Für zusätzliche Unruhe sorgte am Dienstag ein weiterer Todesfall eines Russen in Großbritannien: Nikolai Gluschkow, ein früherer enger Mitarbeiter des 2013 verstorbenen Exil-Oligarchen Boris Beresowski, verstarb unter ungeklärten Umständen. Großbritannien lässt jetzt etwa 14 Todesfälle mit möglicher Verbindung nach Russland neu untersuchen.(Sebastian Borger aus London, 13.3.2018)