Wien – "Schlagende Burschenschaften sollte es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben." Dieser Aussage stimmen an Österreichs öffentlichen Universitäten mit großer Mehrheit (85 Prozent) die Frauen zu. Bei den Männern steht es hingegen diesbezüglich fast unentschieden: 46 Prozent halten die Aussage für "ganz" oder "eher" richtig, 44 Prozent stimmen dieser "nicht" oder "eher nicht" zu.
Das ergab eine am Mittwoch vorgestellte Onlinebefragung von Studierenden zu Autoritarismus, Geschichtsbildern und demokratischer Disposition. Durchgeführt wurde sie vom Wiener Institut für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung (WIAB) in Kooperation mit dem Verein zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Zeitgeschichte und der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH). Mehr als 2600 Studenten nahmen teil, die Schwankungsbreite liegt bei 1,9 Prozent.
Autoritäres Potenzial
Zwischen den Studienrichtungen gibt es erhebliche Unterschiede. "Juristen und Wirtschaftswissenschafter stellen ein deutlich autoritäreres Potenzial dar", erklärt Oliver Rathkolb vom Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien und verweist darauf, dass in diesen Bereichen eine deutlich höhere Akzeptanz von Schlagenden gegeben ist. Studierende der Sozialwissenschaften, des Lehramts, der Bodenkultur und Geisteswissenschaften sind hingegen eher kritisch eingestellt.
Interessant ist: Die sogenannte Liederbuchaffäre, die sich während der Befragung ereignete, hatte einen deutlichen Einfluss auf das Antwortverhalten. Sowohl bei Männern als auch bei eher positiv eingestellten Studiengängen zeigte sich nach dem Auftauchen antisemitischer Liederbücher Mitte Jänner eine stärkere Ablehnung von Burschenschaften.
Mehrheit der Männer findet Mitgliedschaft zeitgemäß
Bei der allgemeinen Frage nach "Männerbünden" ergibt sich ebenfalls eine klare Ablehnung der Frauen (74 Prozent) und eine relative Mehrheit der Männer, die eine Mitgliedschaft weiterhin für zeitgemäß halten (46 Prozent). Beim Blick auf die Studienrichtungen zeigt sich wieder, dass die Zustimmung zu Männerbünden bei den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften am höchsten ist, in der Technik dagegen sind die Studierenden gespalten.
Kaum Veränderungen gegenüber der letzten Erhebung im Jahr 2011 zeigen sich bei Fragen des Geschichtsbewusstseins. Die Diskussion über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg sollte für 14 Prozent der Studierenden beendet werden (2011: 15 Prozent). Das meinen vor allem Befragte aus dem Technikbereich (25 Prozent,) den Wirtschaftswissenschaften (20 Prozent) und den Rechtswissenschaften (18 Prozent).
Toleranz gegenüber anderen nimmt ab
Feststellbar ist in der Untersuchung auch eine Tendenz zur Intoleranz. Aktuell finden 79 Prozent, Juden sollten nach eigenen Glaubensgesetzen leben können. 2011 waren es noch 83 Prozent. Muslimen wollen gar nur 66 Prozent (2011: 74 Prozent) dieses Recht einräumen. Immerhin zehn Prozent meinen sogar, dass Letzteren die Zuwanderung nach Österreich gänzlich untersagt werden sollte (2011: vier Prozent). Jeder Vierte befürwortet die Aussage, dass sich die Kriminalität durch Zuwanderer erhöhe (2011: 17 Prozent).
Große Zustimmung dafür, dass Demokratie die beste Regierungsform sei, gibt es bei beiden Geschlechtern über alle Studienrichtungen hinweg (84 Prozent). Allerdings ist auch der Anteil jener, die finden, es brauche eine starke "Führungspersönlichkeit", die sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern müsse, leicht gestiegen (von fünf auf acht Prozent). "Bei diesem Wert sollten die Alarmglocken läuten", findet Rathkolb.
Forderung nach Antisemitismuslehrstuhl
Die Studie wurde vorab dem Direktor der Uni Wien, Heinz Engl, präsentiert. Dort habe man beschlossen, die Ergebnisse in der Universitätskonferenz (Uniko) vorzustellen und Maßnahmen zu diskutieren. Die ÖH-Vorsitzende Marita Gasteiger ruft die langjährige Forderung der Studentenvertreter nach einem Lehrstuhl für Antisemitismusforschung oder Vorurteilsforschung in Erinnerung.
"Unglaublich menschenverachtende Welt"
Auch Rathkolb hofft auf Konzepte, die es möglich machen, "die demokratiepolitische Elite Österreichs stärker zu sensibilisieren". Die Vorfälle in der AG Jus (Aktionsgemeinschaft Jus) hätten deutlich gemacht, dass es bei den "bestausgebildeten Österreichern eine unglaublich menschenverachtende Welt gibt, mit Rassismus und Frauenfeindlichkeit". Zur Erinnerung: Im Vorjahr waren Chats mit NS-verherrlichenden, sexistischen und antisemitischen Memes und Bildern von AG-Funktionären publik geworden.
Die Ankündigung der FPÖ, die eigene Geschichte aufarbeiten zu wollen, ist für Rathkolb nicht zielführend, wenn nicht auch die Burschenschaften einbezogen werden. "Das wäre eine Geschichte ohne Ergebnis", da Angehörige schlagender Verbindungen rund 40 Prozent der FPÖ-Abgeordneten stellen würden. "Das wäre so, als hätte sich die SPÖ mit ihren braunen Flecken auseinandergesetzt und den BSA (Bund Sozialdemokratischer Akademiker, Anm.) als privaten Verein unter Naturschutz gestellt", meint der Historiker. (Verena Richter, 14.3.2018)