Wahrscheinlich ist man nur Opfer seiner eingeschränkten Vorstellungskraft, wenn man all die Beschäftigungen, die Gwendolyn Leick in sich vereint, als Widersprüche bezeichnet. Andererseits, eine Anthropologin im Ruhestand, die über "babylonische Flüche" promoviert hat und nebenbei auch Gewichtheberin ist, so jemanden findet man auch nicht alle Tage. Zumal Gwendolyn, diese grazile Person mit silbernem Haar, in ihrer Disziplin auch höchst erfolgreich ist. Mit 60 Jahren wurde sie gleich dreifach zur Weltmeisterin.

Gwendolyn Leick wurde mit 60 dreifache Weltmeisterin.
Foto: Stadtkino

Ruth Kaaserers Porträt dieser ungewöhnlichen Frau will diese Seiten nicht über Gebühr, werbewirksam hervorheben. Das Schöne an diesem Film ist gerade sein gelassener, sonniger Zugang. Er lässt uns am Dasein seiner Figur teilhaben, er überhastet nichts: So erfährt man nie alles am Stück in Gwendolyn und ist dann stets aufs Neue über diese Frau verblüfft, etwa wenn sie wieder einmal von einer Sprache umstandslos in die andere wechselt. Deutsch ist übrigens nicht dabei, obwohl Gwendolyn Leick ursprünglich aus Österreich kommt.

Im Gym zu alter Form finden

Der Film setzt ein, nachdem Gwendolyn sich einer Operation unterzogen hat. Sie war an Speicheldrüsenkrebs erkrankt, nun will sie wieder mit dem regelmäßigen Training für das Gewichtheben beginnen. Schon die Szene, in der sie mit ihrem ivorischen Freund Charlie den Verband über ihrem Auge löst, zeigt, wie unbeirrbar sie nach vorn blickt. Dass sie nicht mehr so lächeln könne wie früher, mit diesem neuen Gesicht müsse sie nun einfach leben. Gwendolyns Augenmerk richtet sich jetzt auf das Gym, wo sie mit ihrem Trainer Pat wieder zu alter Form auflaufen möchte.

Kaaserer verwendet die dramaturgische Bahn des Sportlerdramas, die Mühen des Wiedereinstiegs, nur wie einen Rahmen, um ihrem Bild von Gwendolyn mehr und mehr Farben zu verleihen. Nicht nur das Training hat nichts von den schweißtreibenden Routinen sportlicher Körperdisziplinierung, auch in ihrem Selbstverständnis ist diese Frau eher von einem Pragmatismus geleitet, der auf Neugierde fußt: Das Buch über ihre emanzipierte Großmutter, an dem sie gerade schreibt, sagt sie einmal, braucht zumindest so lange, bis sie auf eine neue Idee gekommen ist. Keine Frage, Gwendolyn ist einfach cool.

Soleil Film

Kaaserer hat bereits 2014 in Tough Cookies Frauen im gemeinhin männerdominierten Metier des Boxsports porträtiert. Gwendolyn geht nun über diesen Brennpunkt hinaus, weil der Film auch einen zärtlichen Blick für das Leben außerhalb der Sporthallen übrig hat. Die Beziehung Gwendolyns zu ihrem Sohn Joseph beschreibt, wie Rollenverhältnisse in einem Haushalt aussehen, in dem die Mutter ganz selbstverständlich ein modernes Frauenbild verkörpert. In einer großartigen Szene näht Joseph an einer Steppdecke, während Gwendolyn über die textlichen Nahtstellen in einem Manuskript räsoniert.

Ähnliches gilt für ihre entspannte Beziehung zu den beiden Männern, ihrem jüngeren Freund, mit dem sie ihre ruhigeren Stunden verbringt, und dem Trainer, mit dem sie am Ende nach Aserbaidschan aufbricht, um neuerlich an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen. Um beim Bild der sportlichen Herausforderung zu bleiben: Gwendolyn erzählt von Kräfteverhältnissen unter Menschen, die zueinander die richtige Balance gefunden haben. Es braucht Anstrengungen im Leben, und im besten Fall geht es sich eine Zeitlang aus, der Schwerkraft etwas entgegenzuhalten.

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"L'Animale" erzählt die Coming-of-Age-Geschichte des Mädchens Mati.
Foto: Polyfilm Verleih

Wer sich in zehn Jahren österreichische Spielfilme ansieht, in denen sich Jugendliche auf der Suche nach dem eigenen Ich befinden, könnte überrascht sein. Denn längst hat sich im heimischen Kino ein Subgenre des Coming-of-Age-Films entwickelt, das ganz eigenen Gesetzen zu gehorchen scheint – und ein dementsprechend starres Bild des Erwachsenwerdens zeichnet. Oft beheimatet im niederösterreichischen Niemandsland, erzählen diese Teenagerfilme von erwachender Sehnsucht und aufgestauter Aggression, von Demütigungen und erstem Liebeserwachen, vom Abhauen und Abhängen. Vor allem aber immer wieder von der großen Langeweile.

Zeit des Umbruchs

In Katharina Mücksteins L'Animale ist das nicht anders, und es dauert auch nur zehn Minuten bis zur ersten, aus einem österreichischen Coming-of-Age-Film nicht mehr wegzudenkenden Discoszene, in der sich hier die Cliquen in die Haare geraten. Mati (Sophie Stockinger), der man bereits zuvor bei ihrem ersten Auftritt vor dem elterlichen Spiegel ansehen konnte, wie unwohl sie sich im Kleid für die nahende Matura fühlt, schlägt sich dabei jedoch auf die Seite der Burschen. Zu Unrecht und, wie sie bald selbst merken wird, zum eigenen Nachteil.

L'Animale erzählt Matis Geschichte als eine Zeit des Umbruchs vor dem großen Sommer, in der Beziehungen auf dem Prüfstand stehen und neue Wege beschritten werden. Für Mati bedeutet dies vor allem, ihre Rolle als Tomboy zu hinterfragen, die sie etwa perfekt erfüllt, wenn sie gegen die testosterongesteuerte Clique Motocrossrennen im Steinbruch fährt.

Polyfilm Verleih

Mückstein, die auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, beschreibt die einer losen Dramaturgie gehorchenden Szenen kühlen Blickes an ebenso kühlen Orten: die Tierarztpraxis, in der Mati ihrer Mutter (Kathrin Resetarits) zur Hand gehen soll. Die Schule als Ort der Uniformität, an dem die jungen Erwachsenen ihr einziges Gedankenfutter vorfinden. Oder das selbstverständlich unfertige Haus von Matis Eltern, die ihre eigenen Identitätskrisen ausfechten müssen und der Tochter keine Unterstützung bieten können. Vielleicht sind in L'Animale gerade deshalb die Erwachsenen die interessanteren, nur mit wenigen Strichen gefertigten Nebenfiguren, weil Mückstein auch für sie alles offen lässt.

"Ich will, dass alles so bleibt, wie's ist", meint Mati zu ihrem Freund, der nun auch eine Beziehung mit ihr haben möchte. Doch genau das erlaubt das Genre eben nicht, weil es vom Zustand des noch andauernden Dazwischen erzählt. Weshalb es auch in diesem Film gilt, immer in Bewegung zu sein, auf dem Motorrad oder auf der Tanzfläche. Selbst wenn man am Ende nirgendwo ankommt. (Dominik Kamalzadeh, Michael Pekler, 15.3.2018)