Eine Frau fürs Subtile: Susan Philipsz.

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Wien – Martialisch herausgebellte Worte eines Einzelnen, durchsetzt vom frenetischen Jubel einer Masse – diese Geräuschkulisse assoziiert man mit den Reden Adolf Hitlers. Am 15. März 1938 erschallte das unheilschwangere Getöse am Wiener Heldenplatz, als Hitler den "Anschluss" Österreichs an Deutschland verkündete. Nun, anlässlich des Gedenkjahres 2018, bekommt das lärmende Ereignis in gewisser Weise ein spätes Echo. Eines, das die Martialität von einst mit Fragilität konterkariert.

Ein melancholischer Akkord aus ephemeren, schwebenden Tönen wird bis Ende 2018 über den Heldenplatz wehen, zweimal täglich für je zehn Minuten (12.30 und 18.30 Uhr). Dafür verantwortlich ist die Klangkünstlerin Susan Philipsz, die vom Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ) eingeladen wurde, zum Gedenkjahr ein Kunstwerk beizusteuern. Es sei dies das erste große Zeichen, das man im Vorfeld der Eröffnung im Herbst 2018 setzen wolle, sagt HdGÖ-Chefin Monika Sommer.

Philipsz, geboren 1965 und Turnerpreisträgerin des Jahres 2010, ist bekannt für Klangkunst, die auf subtile Art die Geschichte thematisiert. 2016 befasste sich eine Arbeit im Kunsthaus Bregenz etwa mit dem Komponisten Hanns Eisler, dessen Zwölftonmusik Philipsz auf im Raum verteilte Lautsprecher auf splittete, um die Musik anders wahrnehmbar zu machen. Im Wiener Theseustempel zeigte die Künstlerin 2015 die In stallation War Damaged Musical Instruments: Beschädigten Trompeten, die einst im Kavallerie regiment Erzherzog Franz Ferdinands gespielt wurden, hatte sie die Töne dieser Klanginstallation entlockt.

Die Idee, Töne auf verschiedene Lautsprecher zu verteilen, auf dass sie sich erst im Raum mitein ander vermengen, greift Philipsz nun auch in der aktuellen Arbeit The Voices wieder auf. Disharmonisch wie in Bregenz geht es dabei freilich nicht zu, eher wird man den Akkord, der sich hier formt, kitschig nennen. Hinzu kommt, dass Philipsz als Klangmaterial singendes Glas verwendete: jenen Sound, der entsteht, wenn man durch kreisende Bewegungen mit dem Finger ein Weinglas in Schwingung versetzt. Mit diesem sanften und quasi "fragilen" Klang will sie jene repräsentieren, die 1938 ihre Stimme nicht erheben konnten, wie sie sagt.

Um auf die gut gemeinte konzeptuelle Unterfütterung zu stoßen, muss man sich natürlich erst einmal von Philipsz’ Klanginstallation verführen lassen, ihr auf den Grund zu gehen. Falls man dann schon dabei ist, könnte man aber auch noch herausfinden, dass die Künstlerin auch auf die Novemberpogrome 1938 Bezug nehmen möchte, die als "Reichskristallnacht" bekannt sind: Sie verwendete für die vier Töne Kristallglas.

Von offizieller Seite erhofft man sich etwa, dass The Voices einen "Klangraum der Geschichte und der Emotionen" eröffne. Dies sagte Johanna Rachinger, Direktorin der Österreichischen Nationalbibliothek, bei der Eröffnung, bei der auch Bundeskanzler Sebastian Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen Statements abgaben. Gut gemeint ist The Voices also jedenfalls. Die Frage bleibt, ob in Anbetracht der Klangschönheit der Installation die Botschaft am Ende nicht Gefahr läuft, auf der Strecke zu bleiben. (Roman Gerold, 14.3.2018)