Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung im dritten Wiener Gemeindebezirk.

Foto: APA

Seit Wochen sind die Ermittlungen gegen den Verfassungsschutz, der als BVT abgekürzt wird, ein wichtiges Thema in Österreich. Der Verfassungsschutz ist Teil des Innenministeriums, er ermittelt gegen Extremisten, Spione und Terroristen. Fünf Mitarbeitern, darunter dem Chef des Verfassungsschutzes, werden verschiedene Straftaten vorgeworfen. Eine Suspendierung wurde bereits gerichtlich wieder aufgehoben. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft das Büro des Verfassungsschutzes und die Wohnungen von vier Mitarbeitern durchsucht. Es gibt bei dieser Affäre eine Reihe von Ebenen und viele Spekulationen, die ineinanderfließen und die Causa verwirrend machen.

1. Die Vorwürfe

Öffentlich sind momentan folgende Vorwürfe bekannt:

Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit der Weitergabe nordkoreanischer Pässe

Nordkorea ließ seine Pässe in Österreich produzieren. Das BVT gelangte an 30 Passmuster und gab drei davon an Südkorea weiter. Bei der Hausdurchsuchung wurden die 27 restlichen Pässe beschlagnahmt. Schon im Oktober berichteten STANDARD und "Profil" über die Passweitergabe, die als Grund für die Razzia genannt wird. Das Innenministerium soll die Angelegenheit bereits im Herbst ergebnislos geprüft haben.

Nichtlöschung oder Kopie von sensiblen Daten

Mitarbeiter des Verfassungsschutzes sollen wichtige Informationen, die sie eigentlich hätten löschen müssen, weiter aufbewahrt haben. Verfassungsschutz-Chef Peter Gridling wird vorgeworfen, davon gewusst, aber keine Handlungen gesetzt zu haben. Dabei geht es unter anderem um Daten des prominenten Wiener Anwalts Gabriel Lansky und einer ehemaligen Politikerin. Offenbar hatte die Staatsanwaltschaft Angst, dass die angebliche Nichtlöschung der Daten vertuscht wird, indem Beschuldigte vor einer Razzia die Daten selbst aus der Ferne löschen.

1.1 Anonyme Anzeigen

Die Ermittler berufen sich auf anonyme Anzeigen, die schon im Sommer an Journalisten, Politiker und die Staatsanwaltschaft geschickt wurden. Wer sie geschrieben hat, ist noch unklar – Gerüchten zufolge soll ein hochrangiger Verfassungsschützer der Urheber der Anzeigen sein.

1.2 Die vormals anonymen Zeugen

Den Ausschlag für die Hausdurchsuchung und eine Intensivierung der Ermittlungen sollen die Zeugen von ehemaligen und aktiven BVT-Mitarbeitern gegeben haben. Deren Identität wurde erst Anfang Mai enthüllt. Es handelt sich dabei um eine ehemalige Mitarbeiterin der Asien-Abteilung, einen ehemaligen Abteilungsleiter, dessen Stellvertreter sowie einen IT-Mitarbeiter. Sie geben in ihren Statements vor allem Gerüchte und wenig konkrete Vorwürfe wieder.

Dabei geht es neben den zwei erwähnten Ermittlungssträngen etwa um enge Kontakte mit Zulieferern, berufliche Nebentätigkeiten von BVT-Mitarbeitern sowie Absprachen mit anderen Geheimdiensten. Außerdem werden gewalttätige Übergriffe zwischen Kollegen thematisiert.

2. Die Hausdurchsuchung

Zu einer großen Aufregung wurden die Ermittlungen, als nach und nach Details über die Razzia beim Verfassungsschutz durchsickerten. Mittlerweile ist bekannt, dass diese am 28. Februar stattfand. Sie wurde nur wenige Stunden davor bei einem Journalrichter beantragt. Zur Hausdurchsuchung gibt es mehrere Kontroversen, zu denen Regierung und Opposition unterschiedliche Meinung haben.

2.1 Die Einsatzgruppe

Streitpunkt 1: Die Razzia wurde von der Staatsanwaltschaft gemeinsam mit der Polizeieinheit gegen Straßenkriminalität durchgeführt. Diese wird als EGS abgekürzt. Sie wird eigentlich nicht für solche Einsätze angefordert. Ihr Leiter ist auch Gemeinderat für die FPÖ.

Die Regierung sagt dazu: Diese Polizeieinheit hat keine Kontakte mit dem Verfassungsschutz, im Unterscheid zu anderen Einheiten. Deshalb hat das Innenministerium diese Einheit der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen.

Strittige Punkte: Die Polizeieinheit wird von einem FPÖ-Politiker geführt, genau wie das Innenministerium. Mit ihrer Beauftragung sollen laut Opposition parteipolitische Interessen verfolgt worden sein.

2.2 Umfassende Mitnahme von Daten

Streitpunkt 2: Bei der Razzia wurden Dokumente und Speicherträger der Abteilungsleiterin für Extremismusbekämpfung mitgenommen, obwohl diese nur als Zeugin geführt wird.

Die Regierung sagt dazu: Die Abteilungsleiterin hat eng mit einem der Beschuldigten zusammengearbeitet, daher muss man in ihren Dokumenten und Speicherträgern nachschauen, ob dort Schriftverkehr mit dem Beschuldigten zu finden ist. Bei der Sicherstellung der Daten war immer ein Staatsanwalt dabei.

Strittige Punkte: Die Abteilungsleiterin sollte laut Kritikern der Vorgehensweise eingeschüchtert werden, weil sie der FPÖ ein Dorn im Auge ist. Laut "Falter" hat die FPÖ vor allem eine Analyse zur FPÖ-nahen Webseite unzensuriert.at verärgert. Es gibt Befürchtungen, dass die von einem FPÖ-Politiker geführte Polizeieinheit bei der Razzia Daten kopiert oder fotografiert hat. So soll das Büro der Abteilungsleiterin fast den ganzen Tag lang durchsucht worden sein.

2.3 Ausrüstung und Spontaneität

Streitpunkt 3: Die Razzia wurde recht spontan angefragt und durchgeführt, tagelang gab es Unklarheit über die Ausrüstung der Polizisten.

Die Regierung sagt dazu: Die Beamten waren in Zivilkleidung unterwegs, als Polizisten erkennbar, und sie trugen ihre Pistole verdeckt. Die spontane Durchführung der Razzia war nötig, damit keine Beweise vernichtet werden können. Mittlerweile sagt der Spitzenbeamte des Justizministeriums, er hätte "nach anderen Methoden" gesucht, wäre er vorab über die Razzia informiert worden.

Strittige Punkte: Laut Anwälten der Beschuldigten war die Waffe der Beamten sichtbar. Außerdem drohte der Einsatzleiter offenbar, Wohnungen aufzubrechen, wenn die Beschuldigten diese nicht sofort öffneten. Zusätzlich wusste der Verfassungsschutz schon früher, dass gegen ihn ermittelt wird. Außerdem gibt es Zweifel, ob Beweise tatsächlich so rasch vernichtet werden können.

Eine STANDARD-Grafik vom Mittwoch – mittlerweile ist bekannt, dass in vier Wohnungen Hausdurchsuchungen stattgefunden haben.
Foto: DerStandard

3. Die Rolle des Innenministeriums

Widersprüche gab es in der Frage, wie sehr das Innenministerium die Ermittlungen der Justiz befeuert hat. Nach und nach wurde bekannt, dass der Generalsekretär im Innenministerium, Peter Goldgruber, sowohl die anonymen Anzeigen als auch den ersten Zeugen an die Staatsanwaltschaft vermittelt hat. Die ersten zwei Zeugen erschienen bei der Staatsanwaltschaft in Begleitung eines Kabinettsmitarbeiters, der selbst als möglicher neuer Verfassungsschutz-Chef gehandelt wird. Dieser soll nach wie vor aktiv nach neuen Zeugen suchen. Die erste Zeugin gab gegenüber der Staatsanwältin an, selbst nicht genau zu wissen, warum sie zur Befragung hier sei.

Das Innenministerium sagt, dass es als Dienstbehörde verpflichtet war, mögliche Verfehlungen und Zeugen an die Staatsanwaltschaft zu melden. Oppositionsparteien werfen dem Innenministerium und Minister Herbert Kickl (FPÖ) jedoch vor, die Affäre zu nutzen, um hochrangige Verfassungsschutzbeamte auszutauschen. Diese gelten vor allem als ÖVP-nahe, etwa Direktor Peter Gridling. Dessen "Bestallungsurkunde" – ein "Arbeitsvertrag" – war bereits von Bundespräsident Alexander Van der Bellen unterschrieben, vom Innenministerium jedoch nicht ausgehändigt worden. Nun wurde Gridling gleichzeitig wiederbestellt und suspendiert.

Wie es weitergeht

Die Oppositionsparteien haben mittlerweile gemeinsam einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss bewilligt. Dieser wird im Herbst starten. Außerdem steht noch das Urteil des Landesgerichts Wien über die Zulässigkeit der Hausdurchsuchung aus. (Zusammenfassung: Fabian Schmid, Rechercheteam: Renate Graber, Günther Oswald, Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, Michael Simoner, Maria Sterkl, 13.5.2018/laufend aktualisiert)