In der Evangelischen Versöhnungskirche wurden von Schauspieler Franz Froschauer etwa 200 Namen und Lebensdaten oberösterreichischer Inhaftierter verlesen.

Dachau – Der Wind fegt eisig über den großen Appellplatz, der Himmel ist wolkenverhangen und grau. Die Last der Vergangenheit scheint sich an diesem Dienstag auch im Wetter widerzuspiegeln. Frau N. – die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, "weil es Juden auch heute nicht immer leicht haben" – hat in dem kleinen Café im Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau Platz genommen. Es fällt der zierlichen Dame mit den roten Haaren sichtlich schwer, über ihre Gefühle zu reden. "Natürlich ist es ein sehr emotionaler Moment, auf dem Appellplatz zu stehen. Dort, wo der Papa so oft gestanden ist."

Isidor Blau war ein jüdischer Pferdehändler. 1938 wurde für den Niederösterreicher zum Schicksalsjahr. Mit 45 Jahren wurde der Vater von Frau N. verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Doch Blau hatte Glück im Unglück, denn nach einem Jahr gelang es seiner Frau, die Enthaftung zu erwirken. "Wie die Mama das gemacht hat, weiß ich bis heute nicht", erinnert sich Frau N. im STANDARD-Gespräch.

"Unser aller Verpflichtung"

Geredet wurde über die Zeit der Haft innerhalb der Familie nie: "Papa hat nichts erzählt. Nur als dann die Gedenkstätte 1965 eröffnet wurde, sind wir als Familie hingefahren. Dort haben dann alle geweint. Als zehnjähriges Kind habe ich das damals alles nicht verstanden." Heute sieht es Frau N., die mittlerweile in Wels lebt, auch abseits der eigenen Familiengeschichte als "unser aller Verpflichtung" an, die Gedenkstätte zu besuchen.

Diesem gesellschaftlichen Auftrag wider das Vergessen wurde nun eine Gruppe Oberösterreicher gerecht. An einer von der Katholische Aktion Oberösterreich, dem Evangelischen Bildungswerk Oberösterreich und der Jägerstätter-Biografin Erna Putz organisierten Gedenkfahrt nahmen mehr als 150 Oberösterreicher teil, darunter zahlreiche Angehörige ehemaliger KZ-Insassen. In einer feierlichen Zeremonie wurden die Namen der rund 1.000 Männer aus Oberösterreich verlesen, die in Dachau inhaftiert waren. Eine berührende Geste, mit der versucht wurde, den Menschen, die mit dem Durschschreiten der Lagertore zu Nummern wurden, symbolisch ihre Namen zurückzugeben.

Dankbare Angehörige

Die Basis dafür hat die Publizistin Erna Putz in mühevoller Kleinarbeit geschaffen. Erst im Zuge ihrer Recherche wurde bekannt, dass nicht, wie ursprünglich angenommen, etwa 200, sondern rund 1.000 Oberösterreicher in Dachau inhaftiert waren. Akribisch hat Putz nun erstmals Name, Geburtsdatum, Adresse, Verhaftungsgrund, Religionsbekenntnis, Einlieferungsdatum und das Datum festgehalten, an dem der Häftling, falls er überlebt hatte, Dachau wieder verlassen hat. "Die Angehörigen von ehemaligen KZ-Häftlingen reagieren mit großer Dankbarkeit auf unser Engagement und die Wertschätzung, die wir den Opfern entgegenbringen. Diese Opfer müssen einen Platz in unseren Herzen haben", ist Putz im STANDARD-Gespräch überzeugt. (Markus Rohrhofer, 15.3.2018)