"Österreich – Österreich – Österreich ist wieder da!" Haider, Sargnagel, Hofer schreiben wieder unter der kalten Sonne Marokkos.
Foto: Julia Malkovich

+++ Beipackzettel +++

Achtung, Satire! Achtung, Kunst!

Das Standard-ALBUM ist eine Literaturbeilage, in der wir auch Originaltexte von Autorinnen und Autoren abdrucken sowie auf derStandard.at veröffentlichen. Am 25. 2. 2017 erschien das literarische "Tagebuch" einer Marokko-Reise der Schriftstellerinnen Stefanie Sargnagel, Lydia Haider und Maria Hofer unter dem Titel "Jetzt haben wir ein Pferd und Haschisch". Eine Reise, die mit staatlichen Mitteln in der Höhe von 1500 Euro gefördert war. Nachdem der Text online ging, wurde er von der "Kronen Zeitung" auf- und angegriffen: "Saufen und kiffen auf Kosten der Steuerzahler". Der Shitstorm gegen Sargnagel & Co war monströs, vor allem für die Betroffenen – und er beschäftigte in der Folge nicht nur den Boulevard, sondern auch die Feuilletons.

Leser und Leserinnen tendieren dazu, den Kontext zu vergessen, wie etwa den, dass es sich bei den Verfasserinnen des Reisetagebuchs um Literatinnen und Künstlerinnen handelt. Die Kunst ist übrigens auch hier verlässliche Seismografin der Gesellschaft, in der es in Sachen veröffentlichter Meinung vielfach um Erregung geht, weniger um Fragen wie: Was darf/soll Satire? Was darf/soll Kunst? Und im Falle der Autorinnen, die mitunter auch Teil der Burschenschaft Hysteria sind: Was muss Feminismus? "Ohne Erregung ist gar nichts", hat schon der Erregungsprofi Thomas Bernhard gesagt. Im Zuge der Aufarbeitung des sogenannten "Babykatzengates" hat Sargnagel im Parlament gelesen. Dort, im April 2017, wurde sie gefragt, ob sie so etwas wie das Marokko-Tagebuch wieder schreiben würde. "Ja, klar", hat Sargnagel gesagt.

Anfang Februar 2018 waren die Autorinnen wieder in Marokko – und sind erneut mit einem Reisetagebuch für das Standard-ALBUM zurückgekommen. Gleich vorweg: Die Reise erfolgte dieses Jahr ohne öffentliche Mittel, wohl aber unter dem Eindruck der Folgen ihres ersten Marokko-Trips. "Das Ganze stimmt nachdenklich", sagte Lydia Haider nach überstandenem "Babykatzengate". Und als Stefanie Sargnagel gefragt wurde, warum so wenig Frauen in der Humoristenszene tätig sind: "Weil man systematisch am Scheiterhaufen verbrannt wird, wenn man Witze macht."

Beim Lesen des folgenden Textes muss man stellenweise vielleicht an die "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke aus dem Jahr 1966 denken. Auf Youtube kann man sich das alles anschauen. Am Ende wurde geklatscht – und ausgebuht. Das wird dem "Marokko-Reisetagebuch II" mit Sicherheit auch passieren. (Mia Eidlhuber, Album)

Haider: "Wenn dir dieser Text nicht gefällt, leg ihn einfach zur Seite. Dann sollst du gleich aufstehn und mit dem Kopf ein paar Mal gegen die Wand laufen ..."
Foto: privat

TAG EINS

Lydia Haider: Schon der allererste im Flugzeug verfasste Satz wird mir zum Ärgernis – nur beim Gedanken daran, dass diesen meinen höchlichen Schrieb nun wieder eine Horde komplett zugeschissener Forumsleute einsehen, die sich ein Urteil anmaßen, weil ihnen halt ob des Schulsystems Lesen beigebracht wurde und sie einen halbwegs geraden Satz schreiben können, die ihre madige Sülze mit verbrunzten Fingern, ja auf meinen Text ihre Kothaufen hinpatzeln, dass es nur so stinkt vom Bildschirm herunter und einem die Augen rausfaulen vor Afterweisheit und Hurerei mit dem Denken, wird mir ganz willfahrig und heiß, ja jedem, der solches tut, dem sage ich: Pass nur gut auf, denn schon beim nächsten Satz fährt der Satanas in dich, solche wie du werden dem Antichrist übergeben, dass sie gezüchtigt werden, nicht mehr zu lästern, dass sie das Maul endlich halten, weil der Teufel es ihnen zunäht, so wie es gehört mit solchen Mäulern, mit festen Stichen hinein und einem guten Faden, der auch hält, kleinmaschigst genäht und zugezogen mit einem Ruck.

Stefanie Sargnagel: Ich komme drei Tage vor den anderen in der windigen Künstlerstadt an, um ein bisschen alleine zu sein. Unsicher taste ich mich durch die Fremde. Zieht oder drückt man hier die Tür am Busbahnhof? Wie bezahlt man Cola? Gibt es WLAN im Bus? Wie ein tollpatschiges Kind muss ich hier alle kulturellen Gepflogenheiten neu erlernen. Seit einem Jahr habe ich den Wind Essaouiras im Ohr. Laut rauscht es jeden Tag. Ein enervierender Tinnitus, der mir durch einen Hörsturz nach dem letzten Marokkoaufenthalt geblieben ist. Die Krone und die FPÖ haben mich gemeinsam als Tierquälerin verhetzt. Nach wochenlangen Hassnachrichten, Anrufen und Medienansturm zwischen Buchdeadline und Theaterpremiere habe ich 40 % meines Hörvermögens verloren. Alles ist jetzt leiser. Es ist meine zweite Narbe mit Marokkobezug. Die erste ist von einem Überfall 2010. Ein psychotischer Vietnamese aus Casablanca durchtrennte mir im Wahn die Strecksehne auf der rechten Hand mit einem Küchenmesser. Das war in Midelt, auf dem Weg in die Sahara. Nur knapp habe ich es überlebt. Abends höre ich einer verlausten Hippiefrau beim Gitarrespielen am Place Moulay Hasan zu. Ihre blonden Kinder sitzen barfuß am Boden und spielen dazu Trommeln. Im Marokkotraum hängengebliebene Europäer sind meine Idole. Ein altes Männlein in Djellaba bettelt mich mit einem zahnlosen Lächeln an. Er wird mein Lieblingsbettler für diesen Aufenthalt. Er ist so lieb. Er bekommt immer 5 Dirham, wenn ich ihn sehe, weil er so lieb lacht. Gewohnheiten erwecken ein Heimatgefühl im Urlaub. Das Meer macht mich ruhig wie die See.


TAG ZWEI

Marie Muhar: Am Flughafen treffe ich unter massivem Medikamenteneinfluss auf Julia und Maria. Wir kennen uns nicht, gehören aber derselben Reisegruppe an – einige von uns sind bereits in Marokko. Aus Panik, wegen meiner Mittelohrentzündung nicht mitfliegen zu können, habe ich einen von Lydia empfohlenen Drogencocktail geschluckt, dessen Komposition einen Zustand zwischen Bewusstlosigkeit und Herzstillstand erahnen lässt. Im Flugzeug kippe ich unmittelbar nach dem Anschnallen weg und schrecke nur kurz auf, als sich blutiger Eiter durch mein geplatztes Trommelfell auf Marias Schulter ergießt. Beim Zwischenstopp in Genf muss ich beidseitig gestützt werden, um den Anschlussflug nicht zu verpassen. Wenige Meter vorm Gate sinke ich zuckend zu Boden und scheiße mich, von mir selbst unbemerkt, an. Das seit Tagen eingenommene Breitbandantibiotikum entfacht einen maßlosen Durchfall, an dessen Ufern erbrechendes Bodenpersonal und weinende Kinder stehen. Ich spüre nichts mehr. Julia und Maria reckt es durchgehend, sie rollen mich mit Fußtritten hinter einen Getränkeautomaten und fliegen weiter nach Marokko.

Maria Hofer: Wir fliegen über Genf. Es schneit draußen stark, und die Wartehalle schaut aus wie eine Schirmbar. Hier startet meine kontinuierliche Wintersporttourismus-Assoziationskette.

Stefanie Sargnagel: Die anderen sind angekommen, über zehn Leute, und seitdem regnet es die ganze Zeit. Als hätten sie mit ihren fahlen Gesichtern die Wiener Trübheit mitgetragen. Sie trinken viel, grölen Austropoplieder durch die zart miachtelnden Gässchen der Medina und reißen mich aus meinen Gedanken.

Lydia Haider: Überall Katzen! Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich stopf mir die Kopfhörer rein und höre ganz laut Nasenbluten, Concrete Compressor.


TAG DREI

Lydia Haider: Jetzt, wo ich eine Staatskünstlerin bin, meine Schreiberei eine durch und durch vom Staat gewollte und finanzierte ist, fühle ich mich wie eine wahre Österreicherin, ich bin das Österreichische schlechthin, ich bin Österreich! Und ganz Marokko scheint das zu wissen, ich gehe am Markt mit meinem wallenden Lodenmantel herum, und die Marokkaner deuten auf mich, halten die Hände hoch und rufen: Österreich – Österreich – Österreich ist wieder da!

Stefanie Sargnagel: Zwei Typen haben Maria und mich bei einem Spaziergang zu Hassan eingeladen. Hassan ist ein alter Mann, der außerhalb der Stadt in den Dünen in einem 2 m² großen Verschlag haust. Ob wir ihn besuchen wollen, fragen sie. Ich bin begeistert und stürze mich sofort in die Sandlerhöhle, in die man durch ein Loch im Plastik kriecht. Genau mein Ding. Maria kommt zögernd nach. Gemeinsam sitzen wir um den am Boden kauernden Mann, während er Tee zubereitet. Auf einem Gaskocher steht eine alte Kanne. Sonst ist der Verschlag recht leer, das Wasser kommt aus Kanistern. Er überreicht uns die Gläser. Wir unterhalten uns mit den Jungen. Sie versorgen ihn anscheinend von Zeit zu Zeit. Am Rückweg zählt Maria alle Formen von Hepatitis und Parasiten auf, die sie kennt. Ich fand es gemütlich.

Maria Hofer: Marlene reibt sich mit räudigen Katzen immer die Augen aus und beißt ihnen dann zum Spaß ins Ohr. Dann kauft sie sich immer Oliven und will, dass ich ihr aus der Hand esse und sie dann abschlecke. Mir graust's ur, aber ich trau mich nicht abzulehnen aus Angst, unhöflich zu wirken.


TAG VIER

Lydia Haider: Es regnet den ganzen Tag: 16 Leute sitzen im Haus und schreiben, lesen, arbeiten, dichten gemeinsam, reden, philosophieren dahin, kochen was Gutes, föhnen sich gegenseitig die Füße, wenn jemandem kalt ist, trinken ein kleines Bierchen oder Weinchen, rauchen ein bisserl Hasch, hören Musik, und je dunkler es wird, desto lauter wird die Musik und Scharade, Contact und Karten gespielt.

Maria Hofer: Ich wate am Souk durch Wassermassen zu den anderen. Am Weg könnte jeden Moment ein Kühlschrank umfallen, und das war's dann. Steffi hat Hassan, den Fischer, geheiratet und wohnt bei ihm am Strand. Sie serviert tagein, tagaus Minztee an Touristen. Morgen geh ich sie besuchen.


TAG FÜNF

Lydia Haider: Am Morgen beim Laufen schwitz ich die Alkoholika raus und denke darüber nach, wie ich am Besten meine Verlosung unter den Lesenden des Reisetagebuchs regeln könnte, denn es gibt eine Tombola unter all den Postenden, die uns in Gaskammern wünschen, bei der man Fragen zum Text beantworten muss, und der Hauptgewinn ist eine Führung im KZ mit anschließendem Candle-Light-Dinner unter der Todesstiege.

Träne Leider: Der Schrei des Muezzins schickt mir ein äin ?. Fatal schleicht sich ein Sandkorn vom Strand in mein Auge – deshalb sind sie auch so rot und trotzdem traumhaft. Wir schreiben Poesie im rosaroten Stern und der melancholischen Bedauerlichkeit.

Maria Hofer: Wir fahren zum Wochenmarkt nach Had Draa. Dort lernen wir eine Familie kennen. Wir werden in ein Dorf eingeladen. Nach einer Fahrt mit dem Minibus werden wir an einer Kreuzung im Nirgendwo hinausgelassen. Wenigstens ist es nicht heiß. Dann fahren wir per Autostopp mit einem teuren Jeep weiter, und unser Bekannter sitzt auf der Motorhaube. Wir kommen an einen wunderschönen Strand. Das dazugehörige Dorf ist komplett verlassen, weil das Meer hier ideal zum Windsurfen ist, und das macht niemand mehr. Wir trinken stundenlang Cola in einem komplett verlassenen ehemaligen Hostel. Beim Rückweg werden wir von einem Stier mit zusammengebundenen Vorderbeinen verfolgt.

Stefanie Sargnagel: Heute waren wir am größten Markt der Gegend. Während einer von uns meinte, das wäre das Afrikanischste, das er bis jetzt gesehen hatte, erinnerte es mich an den großen Wochenmarkt in der Nähe von Sarajevo oder die Romasiedlungen in der Slowakei. Armut schaut überall ähnlich aus. Alte Pferdekarren, anarchischer Verkehr, 90-Jährige, die noch schuften müssen, ausgemergelte Esel, ungekühlte Tierkadaver, offene Küchen, Second-Hand-Zahnprothesen auf Markttischen und der Geruch nach feuchten Mauern. Urig.


TAG SECHS

Maria Hofer: Wir fahren im Fiaker zum Supermarkt, um stinkende Elektrogeräte umzutauschen. Das hat wunderbar funktioniert. Beim Rückweg sammle ich für Steffi bunte Fliesen, aber keine ist schön genug für sie. Dann finden wir ein Hostel mit Meerblick, das gänzlich aus Müll gebaut wurde. Wir klopfen an. Niemand macht auf. Vermutlich ist es der Zweitwohnsitz eines Schweizer Arztes, der in diesen Moment gerade ein Menschenleben rettet. Das ist würdig und recht.

Träne Leider: Geschickt und beweglich bezwingen wir den Gegenwind mit unseren kräftigen Beinen und stürzen uns in die Fluten des eisigen Atlantiks. Zwischen Haschkeksverkäufern und fliesensammelnden Touristinnen frage ich mich: 1) Warum wird ein arabischer Buchstabe ohne lautliche Entsprechung in europäischen Sprachen als Doppelpunkt transkribiert? 2) Wohin joggt das Rudel Hunde? 3) Kann ich ins Hamam, wenn ich die Regel hab? 4) Glaubt der Rest der Reisegruppe aufgrund meines überschwänglichen Lobes der ausgezeichneten Deutschkenntnisse der Verkäuferin im Postkartengeschäft jetzt, dass ich irgendwie so latent sprachrassistisch bin oder einfach nur kurzdenkend?

Stefanie Sargnagel: Meine Therapeutin hat mir zu mehr Wellness geraten. Also ab ins Hamam. Nach der Anmeldung kam ich in eine Umkleidekabine. Dort zog ich mich aus, und man überreichte mir eine Einwegunterhose wie bei einer OP, hinten nur eine Schnur. Eine junge Frau klopfte an die Kabine und leitete mich an, ihr ins dunkelblau geflieste Hamam zu folgen. Sie war wunderschön, hatte weiche Gesichtszüge, ein offenes Lächeln, große Brüste, sagte "Sit down" und begann meinen nackten, kefirfarbenen Körper sanft einzuölen. Dampfwasser tropfte von der Decke wie Speichel aus einem Maul. Platsch. Ich stellte mir ihre tägliche Arbeit im Touristinnenhamam vor: Menschen aus aller Welt einschmieren, anschütten, abbürsten. Fette Finninnen, dürre Deutsche, bärige Britinnen, die globale Bandbreite an Frauenkörpern walkte sie jeden Tag durch. Immer wieder schaute sie herein und fragte: "Is it hot?" Ich reagierte verwirrt. Natürlich war es heiß im Dampfbad. Ich sagte: "Yes, it's good", weil ich annahm, dass sie wissen wollte, ob es "zu heiß" ist. Aber darauf sagte sie nur wieder: "Okay, but is it HOT??" (Meinte sie geil?) Der Dampf zischte auf, das Atmen wurde schwerer. Nach 20 Minuten holte sie mich ab, aufgeweicht wie ein Keks im Tee, schob mich in den nächsten Raum und klatschte meinen schlappen Körper auf die Liege. Sie fing an, mich mit einem kratzigen Handschuh zu schrubben. Sie schrubbte fest. Sie rieb mich von oben bis unten wie einen Parmesan. Immer wieder musste sie niesen, vermutlich wegen der vielen Hautschuppen, die sie von meinem seit 30 Jahren ungeschrubbten Körper aufwirbelte. Sie schrubbte, sie duschte, sie ölte und am Ende schamponierte sie mir auch noch die Haare. Sie wusch und schleuderte mich, und am Ende trocknete sie mich liebevoll ab. Dann brachte sie mich in eine Ruhezone und wickelte mich sorgfältig in Handtücher wie ein Baby. Sie sprühte mir Rosenwasser ins Gesicht, stellte mir einen Tee hin, las mir eine Geschichte vor und gab mir ein Gute-Nacht-Bussi. Als ich wieder aufwachte, spazierte ich beseelt in der Mittagssonne zum Meer an den Strand und umarmte ein Kamel. Ich möchte wieder zu ihr. Ich glaube, ich habe Gefühle für sie. Ob sie auch etwas für mich empfindet?


TAG SIEBEN

Stefanie Sargnagel: Auf Liegen trinken wir in exklusiven Beachbars Fruchtcocktails, während Afrikaner versuchen, uns irgendetwas anzudrehen. Tourismus ist so politisch inkorrekt. Früher war ich wenigstens arm, da hab ich mich beim Reisen besser gefühlt, mehr wie eine Landstreicherin, die sich irgendwie durch die Welt hangelt. Mit meinem jetzigen Einkommen fühle ich mich eher wie ein fetter Sextourist namens Herbert in Thailand. Deprimiert betrachte ich die im Sonnenuntergang reitenden jungen Männer und die durchtrainierten Surflehrer, niedergeschlagen bestelle ich noch einen frischgepressten Erdbeersaft und einen Schrimpssalat, traurig lasse ich mich massieren.

Träne Leider: Ein Quad am Strand können wir uns nicht leisten, also fahre ich mit den zwei jüngsten der Gruppe Autodrom. Der Parkplatz vorm französischen Supermarkt wird zum Spielplatz unserer kindlichen, noch unbekifften Seelen, dazwischen denke ich ans Sterben: Die Kontaktkabel des Autodroms über mir und die Karosserie unter mir machen wunderschöne Funken.

Lydia Haider: Der Wind hier ist so geschissen, ich halte es fast nicht aus. Er reißt mir das Kapperl vom Kopf, er reißt mir die Brille runter, er weht mir Sand in den Laptop rein, er bläst so laut, dass ich die Musik nicht mehr höre, er haut sogar mein Glas mit dem Wein um und trägt mir die Zigarette direkt vom Mund davon.

Maria Hofer: Wer sind eigentlich die Leute im Standard- Forum? Sind es die gleichen, die mir nach Lesungen immer erzählen, sie seien selbst Schriftsteller, nur haben sie halt noch nie was veröffentlicht? Sind es brave Studenten, die erschöpft davon sind, es ihren Eltern immer recht zu machen, damit sie ihnen nicht den Geldhahn zudrehen, und dann im Internet endlich mal die Sau rauslassen? Sind es alternde Journalisten, die aus Einfallslosigkeit und aus Angst vor verlorener Deutungsmacht ihr Revier markieren müssen? Sind es Leute, die wütend sind, weil sie kaum genug Geld zum Leben haben und deswegen ihren Frust irgendwo abladen müssen, wo sie kein Problem mit der Chefin bekommen? Erzählt mal was von euch!


TAG ACHT

Maria Hofer: Wir sitzen in einer Bar, und ich schau einer Familie bei ihrem Urlaub zu. Es muss toll sein, mit den Eltern Sporturlaub zu machen als Teenager. Immer um 5 Uhr früh auf, Liegestütze am Strand. Danach Barfußjoggen mit dem Papa. Er läuft voraus. Man bekommt kaum mehr Luft. Dann Anprobe des Neoprenanzugs. Die Eltern meinen, man braucht einen engeren, weil man so schmächtig ist. Dann Kitesurfen. Der Vater gibt ungeduldige Anweisungen, wie man die Schnüre legen muss, damit man sich nicht erdrosselt. Ab ins Wasser. Die Eltern machen die ganze Zeit wilde Sprünge. Man speibt heimlich ins Wasser vor Erschöpfung.

Lydia Haider: Heute geht Steffi am Strand eine Runde allein spazieren. Einfach so greift ihr ein wildfremder Typ auf den Arsch. Nun: Sie bricht ihm leicht den Arm und kommt zu unserem Basislager zurück (Anm.: eine Bar an selbigem Strand), berichtet uns davon. Wir Frauenvolk stehen auf und schwirren aus. Nach fünfzehn Minuten haben wir den Winselnden. Was dann geschieht, wird mir redaktionell verboten, zu veröffentlichen.


TAG NEUN

Lydia Haider: Wir sitzen beim Frühstück beieinander. Und dann: Tatsächlich und wahrhaft hab ich nicht gewusst, was für ein Tag ist. Und dann lachen alle. Sind sie nur neidisch, weil sie gerade im Leben stehn, diese Kalenderkoffer mit ihrem gerechten Wissen und philiströsen Schaun, mit ihrer Sicherheit in ihrem faden Sein, weil sie nicht fett sein können wie ich?

Stefanie Sargnagel: Gestern Abend trafen wir Marias Urlaubsflirt vom letzten Jahr am selben Strand. "Shorty", wie wir ihn aufgrund seiner Körpergröße nannten. Den ganzen Urlaub haben wir darüber spekuliert, ob er überhaupt volljährig ist. Er erkannte uns nicht mehr und flirtete diesmal eine andere von uns an. Stella, die hier für eine Berberprinzessin gehalten wird. Maria ließ sich nichts anmerken, doch ich spürte ihre Enttäuschung. So einfach wird man in so einem Surflehrerleben vollkommen vergessen. Heute fuhren wir wieder an diesen Strand und trafen "Shorty" im Bus. Diesmal erkannte er uns gleich wieder und sprach uns auf das letzte Jahr an. Da wären wir doch auch im Winter da gewesen. Er wirkt heuer deutlich reifer und erzählte, dass er sich eine Surfschule aufgebaut hat: "Twinsurfers". Interessiert betrachten wir die Visitenkarte. Er ist darauf mit seinem identisch aussehenden Zwillingsbruder abgebildet. Sein Zwillingsbruder hat also gestern Stella angebraten. Die Geschichte löst sich heiter auf wie bei einer Verwechslungskomödie auf ORF 2. Maria nimmt sich den einen, Stella den andern Zwilling. Lachend küsse ich Sandler-Hassan. Alle sind glücklich.

Maria Hofer: Ich schau wieder den Kitesurfern zu und warte, bis sich zwei verheddern und dann gemeinsam in den Himmel fliegen.


TAG ZEHN

Maria Hofer: Tourismus ist ein gutes Business. Wenn's daheim so weitergeht wie bisher, sind viele Frauen eventuell auf ein Zubrot in feministischen Butterkooperativen angewiesen. Das ist dann staatskonforme Brauchtumspflege, direkt neben Raststätten bei wichtigen Verkehrsknotenpunkten. Die Frauen machen für die Touristen eine authentische Show im Dirndl am Butterfassl: "Jo kim hea, du fescha Kampl, ria um amoi gscheit in meim Butterfassl höhöhö." Butter macht die Haut geschmeidig (der Geruch gehört so). Außerdem schmeckt sie super auf Palatschinken. Zum Einkauf gibt es dann einen gratis Energydrink, und es dröhnt Gabalier aus den Lautsprechern. Das wird eine harte Zeit.

Stefanie Sargnagel: Ich verlose eine Fliese.

Lydia Haider: Wenn dir dieser Text nicht gefällt, leg ihn einfach zur Seite. Dann sollst du gleich aufstehn und mit dem Kopf ein paar Mal gegen die Wand laufen, hinrennen auf das Betonwerk, ganz fest, damit es dir alles heraushaut dabei, was es herauszuhauen gibt. Allein diese eure Probleme lassen sich leicht erklären, so wie von euch allen eigentlich, der Urgrund all euren Übels: weil ihr alle Arschlöcher seid. So einfach ist das. (Album, 17.3.2018)