Lewon Aronjan (hinten) lassen seine Instinkte an diesem Tag im Stich.

Berlin – Nach vier Runden Kampfschach, in denen es oft mehrere Siege zu bewundern gab, bringt der fünfte Durchgang im Berliner Kandidatenturnier erstmals vier Remis. Ein Ergebnis, das bei Zuschauern und Kommentatoren normalerweise nicht sehr beliebt ist, in diesem Fall aber fast einer kleinen Atempause nach den Aufregungen der Vortage gleichkommt. Zudem gibt es neben drei wenig spektakulären Punkteteilungen auch in Runde fünf ein schachliches Highlight zu bewundern.

Ein wenig Ruhe

Nach seiner Hochschaubahnfahrt mit glücklichem Ausgang in Runde vier scheint Fabiano Caruana erst einmal ein wenig Ruhe zu brauchen. Mit Weiß holt er gegen Sergei Karjakin aus der Eröffnung weniger als nichts heraus, der Friedensschluss ist in der symmetrischen Stellung nur mehr eine Frage der Zeit. Auch Ding Liren und Shakhriyar Mamedyarov strecken ihre katalanische Partie nur deshalb bis zum 31. Zug, weil Remisangebote vor Zug 30 untersagt sind, dann wird auch in dieser Begegnung der Punkt geteilt.

Wladimir Kramnik hat wiederum keine Schwierigkeiten, das Spiel mit Schwarz gegen Wesley So völlig auszugleichen. Kramnik ist allerdings keineswegs friedfertig gestimmt. In einem Endspiel mit Damen und Läufern, das kaum Ansatzpunkte zum Weiterspielen bietet, weicht der Russe dem möglichen Remisschluss mehrmals aus und quält Wesley So sowie sich selbst noch mehrere Stunden lang. Am Ende wird es natürlich trotzdem Remis, aber der Russe hat seinen unbedingten Kampfgeist damit ein weiteres Mal demonstriert.

Königsflucht

Lewon Aronjan gegen Alexander Grischtschuk entwickelt sich schon in der Eröffnungsphase zur Partie des Tages. Aronjans Anti-Grünfeld-Zug 3.f3 führt zu einer Benoni-Struktur, in der Grischtschuk schon früh alle Brücken hinter sich abbricht. Der Russe verzichtet auf die Rochade und jagt stattdessen seine Königsflügelbauern nach vorne, um Aronjans Figuren die schwarzen Felder streitig zu machen.

Der Armenier lässt sich nicht zweimal bitten und packt die Gelegenheit beim Schopf. Weiß bricht im Zentrum durch, und spätestens als seine Schwerfiguren in die schwarze Stellung eindringen und der schwarze König zu Fuß nach g8 flüchten muss, scheint Aronjan auf der Siegerstraße zu sein. Die Lage bleibt allerdings enorm kompliziert: Auch Aronjans König ist im Zentrum steckengeblieben, es wimmelt von schwarzen Leichtfiguren und Gabeldrohungen. Grischtschuk muss sich darüber nicht lange Sorgen machen, er hat nach 25 Zügen wieder einmal seine gesamte Bedenkzeit aufgebraucht. Mithilfe der 30 Bonussekunden, die er pro Zug bekommt, schleudert der Russe munter Verteidigungszüge aufs Brett und vertraut dabei auf seine taktischen Instinkte.

Instinktverlust

Lewon Aronjan hingegen lassen seine Instinkte an diesem Tag im Stich. Trotz ausreichender Bedenkzeitreserve verpasst er mehrere Gewinnwege und muss am Ende froh sein, von Grischtschuk nach der Zeitkontrolle nicht noch ausgekontert zu werden. In einem immer noch äußerst unübersichtlichen damenlosen Mittelspiel einigen sich die Spieler schließlich im 41. Zug auf Remis. Die 50 Minuten Zeitzuschlag nach Zug 40 hat Grischtschuk zu diesem Zeitpunkt fast schon wieder aufgebraucht.

Trotz seines Sieges in Runde vier gegen Sergei Karjakin scheint Lewon Aronjan immer noch nicht ganz im Turnier angekommen zu sein. Während Wladimir Kramnik gegen Fabiano Caruana sein zu großes Selbstvertrauen zum Verhängnis wurde, wirkt Aronjan, als würde er sich den Sieg bei diesem Turnier selbst nicht ganz zutrauen. Chancen wie jene gegen Alexander Grischtschuk wird der Armenier jedenfalls nicht mehr viele auslassen dürfen, wenn er Carlsens Herausforderer werden will.

Fabiano Caruana führt nun mit 3½ aus 5 vor Shakhriyar Mamedyarov und Wladimir Kramnik, die bei je 3 Punkten notieren. Nach der am Freitag zu spielenden sechsten Runde folgt am Samstag der zweite Ruhetag des Turniers. (Anatol Vitouch aus Berlin, 16.3.2018)