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Dauerpolitikum Kosovo – auch nach über zehn Jahren seit der Ausrufung der eigenen Unabhängigkeit.

Foto: AP Photo/Visar Kryeziu

Es soll ein historisches Abkommen werden, das alle strittigen Fragen zwischen dem Kosovo und Serbien ausräumt. Bis zum Ende des Mandats der EU-Kommission kommendes Jahr soll es unter Dach und Fach sein. Die dafür zuständige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte kürzlich, sie sehe Entschlossenheit sowohl in Belgrad als auch in Prishtina, dass das Abkommen kommendes Jahr unterzeichnet werden könne.

Demnächst sollen die Gespräche auf höchster Ebene – gemeint sind die Präsidenten Serbiens und des Kosovo, Aleksandar Vučić und Hashim Thaçi – fortgesetzt werden. Im Frühjahr ist noch ein Gipfeltreffen geplant. In der Frühphase der Vorbereitungen auf das Abkommen versucht jede Seite, sich zu positionieren. Serbien versuchte in den letzten Wochen "abzutasten", welche Optionen auf den Tisch kommen könnten.

Idee der Grenzänderung

Auch die Idee einer Grenzänderung machte wieder die Runde. Die Haltung wurde insbesondere vom prorussischen Außenminister Serbiens, Ivica Dačić, verfolgt. Er plädierte für eine Teilung des Kosovo in einen "serbischen" und einen "albanischen" Teil. Dies würde de facto bedeuten, dass der Nordkosovo, wo hauptsächlich Serben leben, vom Kosovo abgespalten würde. Dačić nannte dies sogar die "einzige realistische langfristige Lösung". Auch Vučić schien der Idee nicht abgeneigt zu sein und lobbyierte dafür, alle Möglichkeiten offenzuhalten.

Tatsächlich stehen Vučić und Thaçi in engem Kontakt und telefonieren regelmäßig miteinander. Eine Teilung des Kosovo würde zwar klar der kosovarischen Verfassung widersprechen, aber vielen Kosovo-Albanern geht die ewige Nordkosovo-Frage auf die Nerven – und manche sehen in der Abspaltung des Nordkosovo eine Möglichkeit, das Problem endlich loszuwerden. Damit würde allerdings die gesamte Konstruktion des multiethnischen Kosovo zusammenbrechen.

Deshalb hat sich jetzt die deutsche Bundesregierung eingemischt. "Hinter den Kulissen wurde deutlich gesagt, dass über die Grenzen nicht verhandelt wird", sagt ein Diplomat zum STANDARD. "Es gibt nämlich das Risiko, dass die beiden Schlaumeier sich untereinander auf irgendeinen anderen Pfad verständigen." Mit den Schlaumeiern waren Vučić und Thaçi gemeint.

Botschaft aus Berlin

Vučić soll mittlerweile die Botschaft aus Berlin verstanden haben. Auf kosovarischer Seite hat man eher noch das Problem, die eigenen Zielvorstellungen zu formulieren. Es gibt jedoch Kräfte, die nach dem Preševo-Tal schielen, das in Serbien an der Grenze zum Kosovo liegt, wo aber viele Albaner leben. Auch von einem Gebietsaustausch war die Rede. Das Thema köchelte immer wieder auf, weil die Verhandler des Teams unter Mogherini öffentlich bisher keine klaren roten Linien zogen und nicht erklärten, was auf den Tisch kommen darf und was nicht.

Für die EU ist wichtig, dass es sich um ein letztgültiges Dokument handelt und nicht nur um ein Interimsabkommen – und dass es auch international rechtlich bindend ist und alle offenen Fragen aus dem Weg räumt. Man will sich kein zweites Zypern-Problem in die EU holen. Deswegen muss Serbien mit diesem Abkommen auch die Grenze des Nachbarstaats anerkennen, und es muss verhindert werden, dass Serbien dem Kosovo bei der Aufnahme in internationale Organisationen – wie die Vereinten Nationen oder die EU – künftig im Weg stehen kann.

Akzeptanz, nicht Anerkennung

Sigmar Gabriel, bis vor wenigen Tagen Außenminister Deutschlands, hat kürzlich bei seinem Besuch in Prishtina die Linien klar dargelegt. Serbien müsse den Staat Kosovo akzeptieren, formulierte er. "Wenn Serbien in Richtung Europäischer Union vorwärtskommen will, ist die Schaffung von Rechtsstaatlichkeit die erste Bedingung, aber auch die Akzeptanz der Unabhängigkeit des Kosovo." Gabriel sprach nicht von der Anerkennung der Unabhängigkeit, was fälschlicherweise von Medien berichtet wurde.

Es geht gar nicht um eine formale, sondern um eine indirekte Anerkennung. Für das Abkommen wird der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR als Modell genommen. Aber auch Dačić wollte Gabriel offenbar falsch verstehen. "Träum nur weiter, dass wir den Kosovo anerkennen", sagte er Richtung Gabriel und meinte weiters: "Gabriel kann reden, was er will, daraus wird nichts." Das stimmt insofern, als Gabriel nun gegen Heiko Maas als deutscher Außenminister ausgetauscht wurde.

Den Kosovaren ist insbesondere die Mitgliedschaft in der Uno wichtig – die bisher auch durch das Nein der Vetomächte Russland und China verhindert wird. Offen ist, ob Russland – falls Serbien der UN-Mitgliedschaft des Kosovo zustimmt – das Veto zurückzieht. Innerhalb der EU-Kommission ist man in diesem Punkt optimistisch.

Kein Interesse seitens der USA

In den vergangenen Monaten wurde auch diskutiert, ob Russland und die USA beim Abschluss des geplanten Abkommens mit am Tisch sitzen sollen. Aus Serbien gibt es Stimmen, die Moskau eine gewichtige Rolle zuschreiben wollen – es handelt sich aber eher um die prorussischen und nicht die proeuropäischen Kräfte.

Im Kosovo will man wiederum den bisher wichtigsten Unterstützer, die USA, an der Seite wissen. Doch US-Außenminister Mike Pence soll – so ein EU-Beamter – bereits klargestellt haben, dass die USA kein Interesse haben, hier eine Rolle zu spielen. Ein anderer Beamter schließt sogar aus, dass die USA und Russland einbezogen werden könnten.

Völkerrechtsprinzip

Eine Teilung des Staates Kosovo würde nicht nur der kosovarischen Verfassung, sondern auch allen politischen Bemühungen des Westens in den vergangenen 25 Jahren widersprechen, die Balkanstaaten eben nicht entlang ethnischer Kriterien zu ordnen.

Beim Zerfall Jugoslawiens orientierte man sich am Völkerrechtsprinzip "uti possidetis" – das besagt, dass die gegenseitigen internationalen Grenzen auf dem Territorium der neu entstehenden Staaten den zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit bereits bestehenden administrativen Grenzen entsprechen sollte. Im Fall von Jugoslawien waren das die Republiken, beim Kosovo die früheren Grenzen der autonomen Provinz.

"Ethnische Karte"

Die "ethnische Karte" im Zusammenhang mit dem Kosovo spielte in kontraproduktiver Weise jedoch zuletzt auch immer wieder der Premierminister von Albanien, Edi Rama, aus. Bei seinem Besuch in Prishtina anlässlich des Unabhängigkeitsjubiläums schlug er vor, dass Albanien und der Kosovo einen gemeinsamen Präsidenten "als Zeichen für die nationale Einheit und eine gemeinsame nationale Sicherheitspolitik" haben könnten. Solche Bemerkungen von Rama befördern Ängste in der Region, dass ein "Großalbanien" geschaffen werden könnte.

Zunächst geht es nun einmal darum, dass Serbien überhaupt rechtlich ein solches Abkommen ermöglicht. Bisher ist dort in der Verfassung verankert, dass der Kosovo Teil Serbiens ist. Aus der serbischen Präsidentschaftskanzlei ist zu hören, dass eine dazu notwendige Volksabstimmung dann stattfinden werde, wenn die Bürger dazu bereit wären. In der Zwischenzeit findet in Serbien der sogenannte "interne Dialog" statt.

Als nationale Angelegenheit wiederbelebt

Marko Đurić, der Direktor des Amts für den Kosovo und Metohija, der in der serbischen Regierung für den "internen Dialog" zuständig ist, spricht von hunderten prominenten Mitgliedern aller möglicher Berufsgruppen, die bereits einbezogen wurden. Oft komme es zu gegensätzlichen Meinungen in den Diskussion. "Ich würde sagen, dass dieses Format uns die Komplexität des Problems gezeigt hat, der wir entgegensehen. Aber es kamen auch einige interessante Vorschläge, die bislang noch nicht in der Öffentlichkeit gehört werden konnten. Das Entscheidende ist, dass der Dialog über Kosovo und Metohija in den weiten Kreisen als nationale Angelegenheit wiederbelebt wurde und nicht als ein Problem der politischen Elite oder der Parteien, die an der Macht sind", schreibt er dem STANDARD.

Bisher hätten Experten aus den Bereichen Recht, Medizin, Sicherheit, internationale Beziehungen, Wirtschaft und einiger politischer Parteien am Dialog teilgenommen. Đurić betont, dass er auch die Haltung der orthodoxen Kirche hören möchte. Wenn es um das Referendum gehe, so werde es nicht um die Frage der Anerkennung des Kosovo gehen.

Durch Katalanen aufgeschreckt

Zum Abkommen mit dem Kosovo meint er, dass man weder selbst Vorstellungen von den Konturen eines solchen habe, noch dass vorausgesagt werden könne, was die EU darunter verstehe. "Es ist klar, dass die EU keine klare Position in der Frage der einseitig proklamierten Unabhängigkeit des Kosovo hat, was sich in der Erweiterungsstrategie für den westlichen Balkan zeigt. Ungeachtet aller Bedenken in der EU zu diesem Thema besteht jedoch kein Zweifel daran, dass eine dauerhafte und nachhaltige Lösung für die Stabilität dieses Teils Europas gefunden werden muss", so der Minister.

Đurić spricht damit indirekt Spanien an, das – durch die separatistischen Katalanen aufgeschreckt – die Kosovo-Frage zunehmend in Zusammenhang mit eigenen innenpolitischen Problemen bringt. Zuletzt war das spanische Außenministerium sogar dagegen, dass im EU-Erweiterungsstrategiepapier der EU-Kommission der Kosovo neben den anderen fünf Balkanstaaten als möglicher EU-Kandidat genannt wird. Auch für den geplanten Gipfel in Sofia, zu dem im Mai nicht nur die 28 EU-Staaten, sondern auch die sechs EU-Aspiranten aus Südosteuropa geladen sind, müssen sich Diplomaten noch eine kreative Lösung einfallen lassen – denn Spanien stellt sich gegen die Anwesenheit der Kosovo-Vertreter.

Nicht weiter verrennen

EU-Diplomaten hoffen aber, dass "die Spanier sich nicht weiter verrennen" und nicht "serbischer als die Serben agieren". Serbische Vertreter haben in den vergangenen Jahren nämlich zunehmend akzeptiert, zu Treffen Seite an Seite mit Vertretern des Kosovo zu erscheinen. (Adelheid Wölfl, 18.3.2018)