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Das Unheil begann mit Schüssen und böser Propaganda. Eine Woche vor dem fünften Jahrestag des Beginns der Nato-Intervention gegen das Milošević –Regime, am 15. März 2004 wurde im Dorf Čaglavica ein serbischer Jugendlicher aus einem Auto heraus angeschossen. Bereits 2003 war es im Kosovo vermehrt zu interethnischen Zwischenfällen gekommen. Die serbische Bevölkerung aus Čaglavica und aus der Enklave Gračanica errichtete Straßenblockaden an der Hauptstraße. Autos von Kosovo-Albanern und ein irisches Kfor-Kontingent wurden attackiert, schreiben die Wissenschaftler Vedran Džihić und Helmut Kramer in ihrem Buch "Die Kosovo-Bilanz" über den Beginn der sogenannten März-Unruhen.

Albanische Kosovaren demonstrierten am Tag darauf in Prishtina, in Prizren und anderen Städten. Zudem waren zuvor vier ehemalige Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK durch UN-Soldaten festgenommen worden. Am 16. März ertranken dann zwei kosovo-albanische Kinder im Fluss Ibar im Nordkosovo. Das Fernsehen und kosovarische Rundfunkanstalten betrieben Propaganda und verbreiteten die Falschmeldung, dass die Kinder von serbischen Jugendlichen mit Hunden in den Fluss gehetzt worden seien. Später ergab eine Untersuchung durch die UN-Verwaltung Unmik und einen Richter, dass zu klären ist, wie die Kinder in den Fluss gekommen waren. Jugendliche Serben hatten sich aber sicherlich nicht in der Nähe des Unfallortes aufgehalten.

Kulturgüter und Häuser zerstört

Nach den Falschmeldungen brach überall im Kosovo Gewalt aus. Es kam zu Straßenschlachten in Mitrovica und die albanische Mehrheitsbevölkerung griff nicht nur die serbische Minderheit, sondern auch Ashkali, Ägypter und Roma an. Österreichischen Militärs zufolge wurden Serben aus Gračanica evakuiert, in den Orten Obilić und Kosovo Polje wurden Kulturgüter und serbische Häuser abgebrannt und zerstört. Auch in Peć/Peja, Dečani, Biča, Klina, Gjilan und Ðakovica begannen "ethnische Säuberungen" gegen Serben – sie mussten evakuiert werden. Kulturgüter von Serben wurden zerstört. In Belo Polje im West-Kosovo griffen 5000 gewalttätige Albaner Serben an. Die internationalen Kfor-Truppen und die Unmik konnten die Leute gerade noch retten. Die gerade neu aufgebauten Häuser der serbischen Rückkehrer wurden hier zum zweiten Mal zerstört.

Die Kfor-Truppen waren aber insgesamt überrascht und überfordert. Viele Häuser und Wohnungen der Minderheiten wurden nicht geschützt. Der kosovo-albanische Mob zerstörte, verbrannte und plünderte über 700 Häuser, manche Autoren sprechen sogar von 800 Gebäuden. Ganz besonders schlimm war es in Prizren. Kosovo-Albaner brannten alle Häuser und Wohnungen der serbischen Bevölkerung und die Klöster nieder. Insgesamt wurden bei den zweitägigen Ausschreitungen 36 orthodoxe sakrale Einrichtungen zerstört. Ein Fachmann der Unesco schätzte den Finanzbedarf für die Wiederherstellung der kirchlichen Gebäude auf rund 30 Mio. Dollar.

50.000 Albaner beteiligt

An den Gewaltexzessen waren mehr als 50.000 Albaner beteiligt. Der Unmik zufolge kamen 19 Personen ums Leben – davon waren elf Albaner und acht Serben. Über 9000 Zivilisten wurden verletzt, aber auch 120 Kfor-Soldaten und Unmik-Polizisten. 150 Fahrzeuge der internationalen Gemeinschaft wurden zerstört. Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR wurden 4100 Serben, Roma und Ashkali vertrieben, 80 Prozent der Vertriebenen waren Serben. Nach dem Krieg 1999 waren ohnehin nur wenige Serben in den Kosovo zurückgekehrt. "Somit machten die Unruhen im März 2004 mit einem Schlag die so mühsam erreichten kleinen Fortschritte der letzten fünf Jahre in Bezug auf die Flüchtlingsrückkehr mit einem Schlag zunichte", schreiben Džihić und Kramer.

Der Ausbruch der Unruhen habe zwar spontanen Charakter gehabt, doch dann hätten die Ausschreitungen "eine immer stärkere einheitliche Form und einen koordinierten, durchorganisierten Charakter" angenommen. Sie wurden von radikalen, extremistischen und kriminellen Strukturen – darunter UÇK –Veteranen – "unterstützt". Die britische Politikwissenschaftlerin Sabine P. Ramet zitiert in ihrem Buch "Die drei Jugoslawien" den damaligen EU-Außenkommissar Chris Patten, der auf Indizien verwies, nach denen sich bereits vorab "prominente albanische Politiker in der Krisenprovinz zu den Angriffen auf Serben, Roma und Kfor-Soldaten verschworen hatten".

Statusprozess beschleunigt

Ramet verweist darauf, dass die wechselseitigen Unterdrückungen und Vertreibungen im Kosovo eine lange Geschichte haben –und je nach Herrschaftsraum wechselten. "Seit 1878 hat es vier Zeitabschnitte gegeben, in denen die Albaner von den Serben beherrscht oder unterdrückt wurden, und fünf , in denen es umgekehrt war. Wenn demnach ein Gefühl der Abdrängung in eine Opferrolle in dieser Weltgegend besonders virulent erscheint, ist das nicht ohne Grund der Fall", so Ramet.

Die pogromartigen Ausschreitungen hatten jedenfalls langfristige Auswirkungen. Die beiden Südosteuropa-Historiker Conrad Clewing und OIiver Jens Schmitt betonen in ihrem Buch Geschichte Südosteuropas, dass der Gewaltausbruch "den Fortgang des Statusprozesses beschleunigte". Die Folge sei nämlich gewesen, dass die weitgehend ergebnislosen bilateralen serbisch-kosovarischen Verhandlungen eingestellt wurden. Zwei UN-Berichte stellten danach fest, dass von dem Ansatz "Standards vor Status" keine Fortschritte zu erwarten seien. Ende 2005 wurden auf Drängen der USA dann Verhandlungen über den völkerrechtlichen Status aufgenommen. 2008 erklärte sich der Kosovo für unabhängig. (Adelheid Wölfl, 18.3.2018)