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Wien – Seit der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000 gibt es deutlich mehr von ihnen. Die Rede ist von jenen Schülerinnen und Schülern mit sogenanntem Migrationshintergrund, die hierzulande an der internationalen Bildungsvergleichsstudie teilgenommen haben. Lag deren Anteil vor 18 Jahren noch bei elf Prozent, waren bei der letzten Testung 2015 bereits 20 Prozent der Jugendlichen entweder im Ausland geboren oder hatten mindestens einen Elternteil, der in einem anderen Land als Österreich zur Welt gekommen ist.

Im OECD-Durchschnitt trifft das auf 23 Prozent der 15-jährigen Testteilnehmer zu, zwischen den Jahren 2003 und 2015 liegt ein Plus von sechs Prozentpunkten. Das heißt, beinahe einer von vier 15-Jährigen war 2015 OECD-weit entweder im Ausland geboren oder hatte zumindest einen Elternteil, der im Ausland geboren war.

Schlechteres Abschneiden

Was ihr Abschneiden in den Kompetenzbereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften anlangt, so erreichten Schüler mit Migrationshintergrund in Österreich stets weniger Punkte als ihre autochthonen Kolleginnen und Kollegen. Zwischenzeitlich erfolgte eine gewisse Punkteannäherung, ein Trend, der bei der vergangenen Pisa-Erhebung von 2015 nicht mehr fortgesetzt wurde.

Zuletzt erreichten nur 46 Prozent der Schüler mit Migrationshintergrund das Basislevel in den getesteten Bereichen. Zum Vergleich: Bei jenen Schülern, die ebenso wie ihre Eltern in Österreich geboren wurden, erfüllten 76 Prozent diese Grundanforderungen. Aber auch innerhalb der Migrantengruppen gibt es Unterschiede: 14 Prozentpunkte lagen hierzulande zwischen Jugendlichen erster und Jugendlichen zweiter Generation.

OECD-Schnitt etwas besser

Im OECD-Schnitt konnten ganze 51 Prozent der Zuwandererkinder erster Generation das Basisniveau in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften nicht erreichen. Zum Vergleich: Rund 28 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund verfehlten die Grundanforderungen in den diesen Kompetenzbereichen. Detailergebnisse sowie Experteneinschätzungen zum Abschneiden österreichischer Teenager bei Pisa 2015 finden Sie hier.

Eine neu vorliegende Pisa-Sonderauswertung widmet sich nun neben den Schulleistungen insbesondere der Lebenszufriedenheit von Schülern mit Migrationshintergrund. Untersucht wird, welche Faktoren sich positiv oder negativ auf die Schulkarrieren von Menschen mit Migrationshintergrund auswirken und welche Rolle das Bildungssystem, die Schulen, Lehrer und Eltern in diesem Zusammenhang spielen.

Zugehörigkeitsgefühl

Dafür wurden bei der vorliegenden Untersuchung fünf Schlüsselbereiche definiert, die Aufschluss über die Resilienz der betroffenen Gruppe geben sollen. Untersucht wurden neben dem Abschneiden bei den Wissensfragen das Gefühl der Zugehörigkeit zur Schule, die Lebenszufriedenheit, schulbezogene Ängste und die Motivation, in der Schule gute Ergebnisse zu erzielen.

Was das emotionale Wohlbefinden anlangt, berichten die Studienautoren: 41 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund (erste Generation, also im Ausland Geborene) haben eher das Gefühl, in der Schule nicht dazuzugehören – in Österreich sind es 33 Prozent. Bei der Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund fühlten sich OECD-weit nur 33 Prozent der Befragten ähnlich ausgeschlossen, in Österreich 28 Prozent.

Etwas weniger zufrieden

Bei der Lebenszufriedenheit klaffen die Ergebnisse nicht ganz so weit auseinander: 31 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund (erste Generation) stellten ihre Lebenszufriedenheit auf einer Skala von null bis zehn mit weniger als sechs Punkten dar. Das taten auch 28 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund.

Jetzt kommt jener Bereich, bei dem neben Finnland, Luxemburg und der Schweiz auch Österreich besonders hervorsticht: schulbezogene Ängste. Insbesondere in den erwähnten Ländern klagen Schüler mit Migrationshintergrund laut Studie über solche Belastungen – und zwar in Österreich um mehr als zehn Prozentpunkte häufiger als ihre Kolleginnen mit österreichischen Wurzeln.

Schulbedingte Ängste

Zusammengefasst zeigt die Pisa-Sonderauswertung: Schüler mit Migrationshintergrund haben eher das Gefühl, in der Schule nicht dazuzugehören, und sind weniger mit ihrem Leben zufrieden als ihre Kolleginnen und Kollegen. In Österreich berichten die befragten Jugendlichen zudem von großen schulbedingten Ängsten. OECD-weit auffallend: Jugendliche mit Migrationshintergrund sind in der Schule deutlich motivierter als ihre Altersgenossen ohne ausländische Wurzeln – mit Ausnahme von Israel und Mexiko. In Österreich und Deutschland lagen Schüler mit Migrationshintergrund hier um 14 Prozentpunkte vorne, ein Abstand, der deutlich über dem OECD-Schnitt von sechs Prozentpunkten liegt.

Die Studie benennt zwei wesentliche Faktoren, die der Integration abträglich sind: die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, in denen die Schüler aufwachsen, sowie Schwierigkeiten mit der Sprache. Ein niedriger sozioökonomischer Status erhöht die Wahrscheinlichkeit, das Basisniveau in den abgefragten Kompetenzfeldern nicht zu erreichen, um mehr als ein Fünftel, heißt es. In Österreich und Deutschland sind diese Bildungsnachteile erheblicher ausgeprägt als in anderen Vergleichsländern. Die Studie spricht von einem statistisch signifikanten Unterschied von elf Prozentpunkten zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund, wenn das Haushaltseinkommen ihrer Familien im obersten oder mittleren Einkommensdrittel liegt.

Einfluss der Sprache

Auch das sprachliche Umfeld hat großen Einfluss: Wer zu Hause eine andere Sprache als die Unterrichtssprache spricht, dessen Chancen auf akademischen Erfolg sinken gleich um acht Prozentpunkte.

Auch auf eine unfaire Behandlung in der Schule geht die Studie ein. Demnach berichten Schüler mit Migrationshintergrund um 14 Prozent häufiger von dem Gefühl, vom Lehrer ungerecht behandelt zu werden – was die Wahrscheinlichkeit, die Basisanforderungen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften zu erfüllen, um rund fünf Prozent verringern würde. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Schüler der Schulgemeinschaft zugehörig fühlen, sinke – in Österreich um 13 Prozentpunkte. Hingegen könne häufiges Feedback eines Lehrers dieses Gefühl bestärken. Die Studienautoren raten zu speziellen Schulungen der Lehrkräfte im Umgang mit Schülern mit Migrationshintergrund.

Unfaire Behandlung

Zuletzt werden auch die Erwartungen der Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln an sich selbst thematisiert. Öfter als im OECD-Schnitt würden sie hierzulande davon ausgehen, mit höherer Bildung abzuschließen. Tatsächlich haben sie jedoch schlechtere Chancen als "Natives", dieses Ziel auch zu erreichen – und zwar um neun Prozentpunkte weniger als in den Vergleichsländern der OECD.

Folgende Empfehlungen leiten die Studienautoren, insbesondere für Österreich und Deutschland, aus den vorliegenden Ergebnissen ab: Lehrern komme eine Schlüsselfunktion bei der Integration von Schülern mit Migrationshintergrund zu. Gleichzeitig werde ihnen aber hierzulande bescheinigt, diese Schülergruppe – womöglich aus Unvermögen – unfair zu behandeln. Also sollte neben Sprachprogrammen und Bemühungen zur Verringerung der sozialen Ungleichheit vor allem in Programme investiert werden, die Lehrern den Unterricht mit einer diversen Schülerschaft erleichtern. Konkret ist davon die Rede, die bestehenden Weiterbildungsangebote zu verbessern. Zudem wird betont, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern und der Zivilgesellschaft ist – neben ausreichender finanzieller Unterstützung. (Karin Riss, 19.3.2018)