St. Pölten – Weil er laut Staatsanwaltschaft seine Amtsgewalt missbraucht haben soll, um Wählerstimmen zu erhalten, stand am Montag ein 57-Jähriger vor einem Schöffensenat in St. Pölten. Ihm wurde vorgeworfen, als Bürgermeister zwölf unrichtige Eintragungen und in drei Fällen keine Streichung im Melderegister seiner Gemeinde im Bezirk Lilienfeld veranlasst zu haben. Er bekannte sich nicht schuldig.

Die Vorwürfe stehen in Zusammenhang mit angeblichen "Scheinmeldungen". Der Angeklagte soll dem Staatsanwalt zufolge von September 2014 bis April 2016 als Bürgermeister wissentlich seine Befugnis missbraucht und entgegen seiner Pflicht, für die Richtigkeit des Melderegisters zu sorgen, Personen eingetragen haben, die die Begründung für einen Wohnsitz nicht erfüllten, "um dadurch Wählerstimmen zu lukrieren".

Laut Anklage soll der 57-Jährige – zeitnah zum Stichtag für die Gemeinderatswahl 2015 – am 20. Oktober 2014 Anmeldungen von Personen als Zweitwohnsitzer veranlasst haben. Der Selbstständige war als Spitzenkandidat der Volkspartei angetreten. 2016 hatte er sich als Bürgermeister zurückgezogen, der Gemeinderat war im September nach Rücktritten aller VP-Mandatare neu gewählt worden.

Der Verteidiger erklärte, in diesem Verfahren gehe es nur um Nebenwohnsitze, dafür reiche ein Anknüpfungspunkt, es werde keine besondere Intensität oder Qualität verlangt. Sein Mandant habe seine beiden Kinder aus erster Ehe und seine Mutter bei ihm zuhause als Nebenwohnsitzer angemeldet. "Andere Anmeldungen hat er nicht vorgenommen – weder als Privatperson noch als Bürgermeister", hielt der Rechtsanwalt fest.

"Zufall"

Die Anmeldung von drei Familienmitgliedern kurz vor dem Stichtag sei "Zufall" gewesen, erklärte der Angeklagte, der VP-Gemeindeparteiobmann ist. Seine Kinder aus erster Ehe seien oft bei ihm gewesen, seine Mutter sei mehrmals im Jahr zwei bis drei Wochen bei ihm im Haus gepflegt worden. Mit den anderen Meldungen habe er nichts zu tun gehabt und den Betroffenen auch nicht nahegelegt, einen Nebenwohnsitz anzumelden.

Zum Anklagevorwurf, der 57-Jährige habe es unterlassen, Meldungen zu berichtigen und eine Abmeldung zu veranlassen, führte der Richter aus, es brauche für einen Wohnsitz laut Gesetz eine Unterkunft und die Absicht, sich dort niederzulassen. Der Beschuldigte berichtete, er habe die drei betroffenen Personen – ein Ehepaar und eine ältere Frau – mehrmals in der Gemeinde gesehen, aber nicht geprüft, ob sie tatsächlich auch in der Gemeinde schlafen.

Eine wahlwerbende Liste hatte 2014 die Streichung von mehreren Personen aus dem Wählerverzeichnis beantragt. Nach der Festlegung des Termins für den Urnengang habe es innerhalb kurzer Zeit vor dem Stichtag "auffallend viele Neumeldungen" gegeben, sagte jener Gemeinderat einer Bürgerliste, der Anzeigen erstattet hatte. Der Zeuge berichtete etwa, dass in einem Haus, in dem sieben rumänische Arbeiter gemeldet waren, kurz vor dem Stichtag weitere Personen – u.a. deren Arbeitgeber – angemeldet worden seien. Das sei ihm nicht plausibel erschienen.

In einer Sitzung der Gemeindewahlbehörde am 25. November 2014 wurden die beiden Kinder aus erster Ehe und die Mutter des Angeklagten aus dem Verzeichnis gestrichen – "um guten Willen zu zeigen und eine schiefe Optik zu vermeiden", meinte der ehemalige Ortschef. Die Bürgerliste hatte außerdem Beschwerden beim Landesverwaltungsgericht eingebracht – dieses entschied, dass mehrere andere Personen zu streichen seien.

Das Gericht begründete beispielsweise die Streichung eines Unternehmers aus dem Verzeichnis damit, dass der Mann nicht in der Gemeinde nächtige. Die bloße berufsbedingte Anwesenheit begründe keinen Wohnsitz, hieß es in der Entscheidung vom Dezember 2014. "Ich habe nicht gewusst, dass ich da handeln muss", meinte der Angeklagte.

Zeugenaussagen

Der Amtsleiter und eine Mitarbeiterin der Gemeinde sagten als Zeugen, der damalige Bürgermeister habe in Zusammenhang mit Meldungen wenige Wochen vor dem Wahlstichtag keine Anweisungen gegeben. Die Tochter des Angeklagten berichtete, sie habe damals etwa alle ein bis zwei Monate im Haus ihres Vaters geschlafen, sein 35-jähriger Sohn gab an, einmal pro Monat im landwirtschaftlichen Betrieb mitgeholfen und dort genächtigt zu haben. Sein Vater hatte den Meldezettel für ihn unterschrieben.

Die Schöffenverhandlung wurde am Nachmittag vertagt. Beim nächsten Termin am 14. Mai sollen weitere Zeugen einvernommen werden.

Fragwürdige Zweitwohnsitze und "Scheinmeldungen" hatten vor den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen am 25. Jänner 2015 für Aufregung gesorgt. Das Landesverwaltungsgericht war damals mit 431 Beschwerden gegen Entscheidungen von 19 Gemeindewahlbehörden beschäftigt gewesen. 2017 wurde das Nebenwohnsitzer-Wahlrecht per Landtagsbeschluss geändert. Gemeinden waren vor der Landtagswahl am 28. Jänner 2018 aufgerufen, Eintragungen anhand eines Wählerevidenzblattes zu überprüfen und wenn nötig zu berichtigen. Die Neuregelung sorgte ebenfalls für Kritik, die Grünen sprachen von "willkürlichen Streichungen". (APA, 19.3.2018)