Am 10. März 1925 erschoss der arbeitslose Zahntechniker Otto Rothstock den Schriftsteller Hugo Bettauer. Der Schwerverletzte unterschrieb noch mit zittriger Hand die Zeugeneinvernahme.

Foto: Severin Dostal

Wien – Am Ende der Ausstellung muss man eine mitten im Raum schwebende Leinwand umgehen. Es ist ein letzter Blick in die jüngste Vergangenheit des Jahres 2000 und auf Christoph Schlingensiefs Kunstprojekt "Ausländer raus!". Und da sind sie wieder, die Bilder von Aufgebrachten und Erbosten, die es für unverantwortlich halten, dass Asylwerber aus dem Container und damit aus dem Österreich hinausgewählt werden; dass fremdenfeindliche Wahlplakate der FPÖ die Containerwände schmücken und die Rausgewählten ihr Gesicht hinter einem Krawallblatt verstecken müssen. Und man kann hören, wie der schelmisch grinsende Schlingensief als "Künstler" beschimpft wird.

Sie hätten lange überlegt, wie sie die Besucher aus der Ausstellung zum Republikjubiläum – "Die Stadt ohne. Juden Muslime Flüchtlinge Ausländer" – entlassen sollten, so die Kuratoren Andreas Brunner, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher. Sie hätten sich schließlich für Schlingensiefs Provokation entschieden, weil sie trotz der Perfidie ihres Big-Brother-Szenarios auch befreiend wirke.

Aber auch deshalb, weil diese Bilder einer Utopie folgen, die es so ähnlich schon einmal gab: Hugo Bettauers satirischer Roman "Die Stadt ohne Juden" (1922) und seine zwei Jahre später erschienene, dokumentarisch anmutende Verfilmung durch Hans Karl Breslauer.

Politik bei Fuß

Bettauer entwarf in seinem "Roman von übermorgen", so der Untertitel, das Bild einer Stadt namens Utopia – Schauplatz und Drehort ist das Wien der frühen 1920er-Jahre –, deren Bevölkerung die Verantwortlichen für Armut und Arbeitslosigkeit rasch findet: die Juden. Die Politik gehorcht bei Fuß, und die jüdischen Mitbürger werden ausgewiesen, wiewohl das erhoffte Ergebnis ausbleibt.

Im Gegenteil: Das geistige und kulturelle Leben der Stadt zieht ihren wirtschaftlichen Verfall nach sich. Doch wie wenige Jahre später bei Jura Soyfer wird der Untergang doch noch abgesagt: Bettauers beißender Spottroman schließt mit der Begrüßung der ersten zurückgekehrten Juden. Auf dass der sarkastische Nachgeschmack länger anhalte als das Happy End.

Die nahezu vollständig restaurierte Fassung von Hans Karl Breslauers Verfilmung wird im Filmarchiv präsentiert.
Foto: Filmarchiv Austria (Filmkader)

Die sich über zwei Ebenen erstreckende Ausstellung im Wiener Metro-Kinokulturhaus setzt vorrangig auf Reduktion: Fotografie und Text, Bewegtbild und Exponate bilden die Stationen eines Weges, den man sich durch die beiden schwarzen Säle zwar selbst wählen kann, bei dem man sich allerdings an der vorgegebenen Ordnung orientieren sollte.

Mehrere bis zum Boden reichende Leinwände, auf denen Ausschnitte aus Breslauers Verfilmung (die nach einem Pariser Flohmarktfund nahezu vollständig restaurierte Fassung wird am Mittwoch präsentiert) zu sehen sind, wirken wie eine Mauer und bilden einen Raum im Raum.

In scheinbar endlos langen Vitrinen in der Mitte sind Fotografien von leerstehenden, jüdischen Wohnungen zu sehen, die der 1938 selbst vertriebene Fotojournalist Robert Haas anfertigte – vermutlich Auftragsarbeiten von Juden, die die Bilder ins Exil mitnehmen wollten.

Mildes Urteil

Ein Schaukasten widmet sich der Ermordung Bettauers 1925 durch den Nationalsozialisten Otto Rothstock, der den Autor und Sexualaufklärer in seiner Wiener Redaktion in der Langen Gasse erschoss, für unzurechnungsfähig erklärt wurde und mit einem lächerlich milden Urteil davonkam. Amtsvermerke, eine penible Tatortskizze und von Rothstock zerrissene Schriftstücke sind die Zeugnisse des Attentats.

Hugo Bettauers satirischer Roman "Die Stadt ohne Juden" (1922) diente als Vorlage der Verfilmung.
Foto: Filmarchiv Austria (Filmkader)

Offensichtlich ist der kuratorische Versuch, Bettauers Zukunftsentwurf mit der Gegenwart kurzzuschließen, Formen und Methoden von Ausgrenzung und Marginalisierung im Alltag festzumachen: in TV-Sendungen, auf Wahlplakaten, in Hasspostings in sozialen und in der Hetze in öffentlichen Medien – mithin in der Tagespolitik und keineswegs beschränkt auf religiöse Minderheiten. Im Hier und Heute. (Michael Pekler, 20.3.2018)