Die Bundesjugendvertretung prüft das Regierungsprogramm aus jugendpolitischer Sicht. Im Bereich Integration warnt man vor einer Verschlechterung der Situation von Flüchtlingen und schlägt eine Inklusion in die Ausbildungspflicht vor. Gefordert werden eine Kindergrundsicherung und mehr Jugendbeauftragte in den Ressorts.

Foto: Daniel Karmann

Wien – In Österreich regiert mit Sebastian Kurz (ÖVP) der jüngste Staatschef – hierzulande und EU-weit. Doch was tut die Regierung des Bundeskanzlers für die junge Generation? Die Bundesjugendvertretung (BJV) hat eine Analyse des türkis-blauen Regierungsprogramms aus jugendpolitischer Sicht veröffentlicht. Das Papier kommentiert die politischen Pläne und listet auf, welche wichtigen Punkte aus Sicht der BJV noch fehlen. DER STANDARD hat mit der BJV-Vorsitzenden Martina Tiwald (Schülerunion) dazu ebenso wie zu aktuellen Entwicklungen gesprochen.

Nicht unumstritten sind die bisher bekannten Budgetpläne im Bereich Bildung. Das BJV-Papier bemängelt etwa das Fehlen von Maßnahmen für flächendeckende Deutschkurse. Vom Bildungsministerium sind separate Deutschklassen geplant, für die es 40 Millionen Euro geben wird, was statt aktuell rund 850 Förderlehrern nur mehr 440 bedeutet (gerechnet in Vollzeitäquivalenten). "Lehrer dürfen mit dieser Aufgabe aber nicht alleingelassen werden", sagt Tiwald und plädiert für Unterstützungspersonal. Die Analyse empfiehlt außerdem, den Unterricht in separaten Klassen auf Verhältnismäßigkeit zu prüfen, etwa anhand der Schülerzahl pro Klasse. Die soziale Durchmischung von Schulen und Klassen diene schließlich auch der Integration.

Integration von Flüchtlingen

Der Integrationstopf, der wegen des gestiegenen Betreuungsaufwands für geflüchtete Kinder eingerichtet wurde, soll ab 2019 nicht mehr befüllt werden. Für die Jugendvertreterin dürfe es aber bei der Behandlung von Kindern keinen Unterschied machen, woher man komme: "Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die zu Integration führen und nicht die Lebenssituation verschlechtern."

So spricht die Analyse von "zahlreichen Vorschlägen", die die Lebensumstände von Asylwerbern erschweren könnten. Als Beispiele nennt die BJV die Reduktion von Geldleistungen und warnt vor einer damit einhergehenden vermehrten Kindesarmut. Auch bei dem Vorhaben, Handydaten auslesen, Bargeld einziehen und die ärztliche Schweigepflicht außer Kraft setzen zu können, dürfe es zu keinen unverhältnismäßigen Eingriffen in die Grundrechte kommen. Zur Verbesserung der Situation junger Flüchtlinge schlägt die BJV die Inklusion junger Menschen, die sich im Asylprozess befinden, in die Ausbildungspflicht vor.

Bedenken wegen Reform des Arbeitslosengelds

Zu keiner doppelten Benachteiligung junger Menschen dürfe es bei der Reform des Arbeitslosengelds kommen, wie es in der Analyse heißt. Durch eine Vielzahl befristeter Jobs sieht die BJV die Koppelung an die Erwerbsdauer als besondere Herausforderung für diese Gruppe. Zur Erinnerung: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) haben angedacht, dass Personen, die erst kurz ins System einzahlen und sich "durchschummeln" wollen, zuerst ihr Vermögen aufbrauchen sollen, bevor Sozialhilfe fließt.

Ähnliche Bedenken werden bezüglich der Integration der Notstandshilfe ins Arbeitslosengeld geäußert. So soll bei der Umsetzung darauf geachtet werden, dass erwerbstätige Kinder nicht zwangsweise für ihre im selben Haushalt wohnhaften Eltern aufkommen müssen.

Forderung nach Kindergrundsicherung

Bekräftigt wird im Papier das Anliegen einer bundesweit einheitlichen Kindergrundsicherung, die bisher von keiner der beiden Regierungsparteien unterstützt wird. "Jedes fünfte Kind ist in Österreich von Armut bedroht oder betroffen", erklärt Tiwald im STANDARD-Gespräch. Die Grundsicherung soll "ähnlich wie eine Pension im Alter" Kinderarmut bekämpft.

Zur finanziellen Absicherung von Kindern wird in der Analyse auch eine "bundesweit einheitlich geregelte, bedarfsorientierte Mindestsicherung im Sinne einer grundrechtsorientierten Sozialleistung, die zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt motiviert" gefordert. Die Höhe soll dabei mindestens über der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Diese liegt bei einem einzelnen Erwachsenen mit Kind bei 1540 Euro, bei zwei Erwachsenen mit zwei Kindern sind es 2488 Euro.

Kritisch gesehen wird die im Regierungsprogramm festgeschriebene "Überprüfung einer allfälligen Angleichung der Strafdrohung für junge Erwachsene an jene der Erwachsenen". Derzeit dürfen für Personen zwischen 18 und 21 Jahren unter anderem keine längeren Freiheitsstrafen als 15 Jahre verhängt werden. Eine Analyse dieser Regelung sollte unter Einbeziehungen möglichst vieler Experten und im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen geschehen.

Einheitlicher Jugendschutz

Im Sinne eines einheitlichen Jugendschutzes einigten sich die Landesjugendreferenten 2017 darauf, ein Rauchverbot für unter 18-Jährige in den Landtagen bis Mitte 2018 zu beschließen. Bei der Umsetzung wird es nun aber durch das Kippen des Rauchverbots zu Verzögerungen kommen. Vorsitzende Tiwald kritisiert, dass besondere Regelungen für Jugendliche – ihnen beispielsweise den Zugang zu Raucherlokalen zu verbieten – zwar sinnvoll, aber nur aufgrund der Aufhebung des Rauchverbots nötig seien.

Die anfangs zugesagte Bestimmung findet sich mit Verweis auf Zuständigkeit der Bundesländer jedoch nicht im Aufhebungsantrag der Bundesregierung. Für Tiwald müsse der Bund hier aber trotzdem "eine stark koordinierende Rolle einnehmen, damit es am Ende eine einheitliche Regelung gibt".

Jugendbeauftragte für alle Ressorts

Angesichts der großen Überschneidung von Jugendpolitik mit anderen Bereichen wünscht sich Tiwald einen Jugendbeauftragten für jedes Ressort. Dieser würde jeweils die oft fehlende Expertise einbringen und könne auch die Folgen von Gesetzesvorhaben für Jugendliche abschätzen.

Auch eine neue Kinderkostenstudie sei nach Auffassung der BJV dringend notwendig. "Die letzte wurden in den Sechzigern gemacht und kann allein aufgrund der Digitalisierung nicht mehr aktuell sein", wie Tiwald erklärt. Anhand einer neuen Studie könne man viel besser sagen, was Kinder brauchen und wie hoch Hilfsleistungen sein müssen. (Verena Richter, 20.3.2017)