Der Ring bleibt dran: Vermögen ist Tabu für die Pflege, auch wenn zu wenig Einkommen da ist.

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Der im Nationalrat im letzten Juli gefasste Beschluss zum Pflegeregress war überraschend und traf viele unvorbereitet. Daher ist gewiss Kritik berechtigt, dass eine solche Systemänderung klare Vorgaben erfordern würde und gut vorbereitet werden müsste. Klarheit fehlt vor allem im Übergangsrecht, nach dem für ab 1. 1. 2018 in Anspruch genommene Heimpflege kein Vermögenszugriff mehr zulässig ist. Ab diesem Tag dürfen aber auch Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden und sind laufende Verfahren einzustellen. Eine Präzisierung dieser selbst für Fachleute unklaren Regelung hat die alte Regierung nicht mehr geschafft und die neue Regierung offenbar nicht vor, stellt ihr Programm doch nur die "Klärung der Gegenfinanzierung von entgangenen Einnahmen" in Aussicht.

Damit soll das zweite Problem entschärft werden, das Länder und Gemeinden betrifft, die für Heime Vorsorge treffen und für die durch Eigenleistungen der Betroffenen/Angehörigen nicht gedeckten Kosten aufkommen müssen. Wie hoch die durch den Wegfall des Vermögenszugriffs ausfallenden Einnahmen sind, wird intensiv diskutiert. Letztlich wird hier ein angemessener (wohl weit über die vorgesehenen 100 Mio. Euro hinausgehender) Ausgleich mit dem Bund gefunden werden.

Die Kritik geht freilich viel weiter. Von "verkehrter Umverteilung nach oben" und "Erbversicherung" ist die Rede, das Abschieben von Angehörigen ins Heim werde attraktiver und ein Run auf Heime habe eingesetzt, weil die Kosten bei Betreuung zu Hause viel höher wären. Diese Einwände sind wenig stichhältig.

Zugriff auf Vermögen

Das Umverteilungsargument unterstellt, dass nun Wohlhabende in großer Zahl Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen könnten. Dabei kann es sich aber nur um Personen handeln, die zwar über nennenswertes (und damit bisher zu verwertendes) Vermögen, aber gleichzeitig nur über ein geringes Einkommen verfügen, das zusammen mit dem Pflegegeld nicht ausreicht, um die Heimkosten (zumindest 3000 Euro/Monat) selbst zu tragen. Der Zugriff auf Vermögen erfolgte nämlich nicht bei Heimunterbringung schlechthin, sondern nur bei Inanspruchnahme dieser Leistung im Rahmen der Sozialhilfe, also nicht bei "Selbstzahlern". Auf Heimplätze sind jene angewiesen, für die eine andere Option nicht zur Verfügung steht, insbesondere auch weil sie sich eine "Seniorenresidenz" oder professionelle Betreuung zu Hause bzw. 24-Stunden-Betreuung nicht leisten können. Diese derzeit 80.000 Menschen nun mit anderen Besitzern von (oft größeren) Vermögen gleichzustellen und sie vor dem Zugriff auf das unter Entbehrungen angeschaffte Eigenheim oder kleine Ersparnisse zu bewahren, die oft gerade die Begräbniskosten decken, ist kaum als "Umverteilung nach oben" zu qualifizieren.

Auch der Vorwurf einer "100-prozentigen Erbversicherung" ist hier fehl am Platz, weil es diese bekanntlich generell gibt. Nur waren bisher einzig jene davon ausgeschlossen, die von Schicksalsschlägen betroffen und auf die Betreuung im Heim angewiesen waren. Die Abschaffung des Vermögenszugriffs in solchen Fällen durch eine wirklich solidarische Finanzierung, etwa in Form einer zweckgebundenen Erbschaftssteuer, zu kompensieren, wäre immer noch möglich.

Neben dem Einnahmenausfall werden auch höhere Ausgaben befürchtet. Dafür dass wirklich ein Run auf Heime einsetzt, fehlt noch die Evidenz. Der Anstieg bei den Anmeldungen ist aber wieder auch auf das Fehlen von besseren Optionen zurückzuführen. Diese zu schaffen müsste für die öffentlichen Kostenträger umso näher liegen, als die Heimunterbringung als teurer gilt und viele Betroffene lieber daheimbleiben wollen.

Leistbare Angebote

Mehr und besser leistbare ambulante Angebote würden auch die behauptete Ungerechtigkeit verringern, dass für Betreuung zu Hause höhere Eigenleistungen aufzuwenden seien. Das hat v. a. damit zu tun, dass ins Heim gegangen wird, weil andere Betreuungsformen nicht leistbar oder verfügbar sind. Wer eine Betreuung zu Hause organisieren kann, blieb schon bisher vom Vermögenszugriff verschont. Dies gilt besonders auch für jene, die sich für eine 24-Stunden-Betreuung entschieden haben. Auch dort sind wirtschaftlich Stärkere begünstigt, setzt doch dieses Modell und dessen öffentliche Förderung nicht nur voraus, dass Betreuerinnen bezahlt werden, sondern dass auch die Wohnung groß genug ist, um diese dort aufzunehmen.

Insgesamt ist daher die Attraktivität einer Heimunterbringung durch die Abschaffung des Vermögenszugriffs zwar objektiv erhöht worden. Bei gesamthafter Betrachtung hat die Maßnahme aber nicht weniger, sondern mehr Gerechtigkeit gebracht, vor allem weil sie eine Überwindung der "Sozialhilfe-Logik" bewirkt hat: Pflegebedürftigkeit ist kein Risiko, dem mit einer moderneren Armenversorgung im Einzelfall begegnet werden kann, sondern das gesamtgesellschaftlich erfasst werden muss.

Wirklich zu kritisieren ist daher die fehlende Einbettung in ein Gesamtkonzept, das Geld- wie Sachleistungen und die Unterstützung der Angehörigen einschließt. Dafür bedürfte es einer gemeinsamen Finanzierungsbasis, für die sich der bestehende Pflegefonds anbieten würde, der freilich massiv ausgeweitet und durch zusätzliche Einnahmen (Erbschaftssteuer) gespeist werden müsste. Damit wäre sichergestellt, dass die Finanzierung von der gesamten Gesellschaft getragen und nicht auf die Erwerbstätigen und ihre Arbeitgeber abgewälzt wird. Das ist im Übrigen das entscheidende Argument gegen die Einführung einer Pflegeversicherung. (Walter J. Pfeil, 20.3.2018)