Wien – Ein 60 Jahre altes paläontologisches Rätsel wurde gelöst und ein Fossilien-begeisterter Amateurforscher, der zeitlebens in der Fachwelt keine Beachtung fand, kommt posthum doch noch zu Ehren: Das alles wurde nun durch eine Querverbindung von Südafrika nach Wien ermöglicht.

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Ant Lab

Das Rätsel nahm seinen Anfang in den 1950er-Jahren, als in Südafrika Fußabdrücke gefunden wurden, die nicht zum Stand der Forschung passten. Der Form nach sahen sie aus, als wären sie von Dicynodontia hinterlassen worden, urzeitlichen Verwandten der Säugetiere. Allerdings stammten sie aus der späten Trias, also jener Zeit, in der sich die Dinosaurier bereits zur dominierenden Entwicklungslinie der Landwirbeltiere gemausert hatten – und Dino-Spuren wurden auch tatsächlich in unmittelbarer Nähe der anderen Abdrücke gefunden. Hatten die beiden Tiergruppen so spät noch nebeneinander gelebt?

Unterschiedliche Dynastien von Landwirbeltieren

Die Blütezeit der Dicynodontia und ihrer Verwandten war um einiges früher. Sie hatten sich schon vor dem großen Massenaussterben vor 251 Millionen Jahren entwickelt, überstanden es und prägten danach für längere Zeit das Leben an Land. An Säugetiere hätte ihr Anblick nicht unbedingt erinnert, sie sahen eher wie plump gebaute Reptilien mit kurzen Stoßzähnen und Schildkrötenschnäbeln aus.

In Australien überlebte diese Tiergruppe bis in die Kreidezeit, in anderen Regionen der Welt verschwand sie jedoch viel früher – auch in Afrika, hatte man gedacht. Die nur 210 Millionen Jahre alten Fußspuren aus Südafrika wurden daher abgetan. Sie waren "so fehl am Platz, dass ihnen als Beweis für das Überleben von Dicynodontia keine Beachtung geschenkt wurde", sagt der Paläontologe Christian Kammerer vom North Carolina Museum of Natural Sciences in Raleigh (USA). Das Tier wurde als "Phantom-Dicynodont" abgehakt.

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Szene aus der Trias: Im Vordergrund ein mit den Dinosauriern verwandter Teleocrater rhadinus, im Hintergrund Vertreter der uns Säugetieren nahestehenden Dicynodontia.
Illustration: AP/Mark Witton/Natural History Museum, London

Doch Kammerer hat nun Spuren des "Phantoms" entdeckt – und zwar in Wien. Die entscheidenden Hinweise fand er in einer Sammlung von Fossilien aus Südafrika, die seit rund 150 Jahren weitgehend unerforscht im Naturhistorischen Museum (NHM) lagerte. Nahezu alle großen Museen der Welt sitzen auf solchen Beständen, die teilweise aus Zeiten stammen, in denen sie noch nicht mit der heute üblichen methodischen Sorgfalt untersucht werden konnten.

Kammerer betont die Bedeutung solcher Sammlungen: "Wir neigen dazu zu glauben, dass paläontologische Entdeckungen auf Feldarbeit zurückgehen, aber viele unserer wichtigsten Schlussfolgerungen gehen auf Exemplare zurück, die sich bereits in Museen befinden", sagt der Forscher. Mathias Harzhauser, Leiter der Geologisch-Paläontologischen Abteilung am NHM, betont ebenfalls die Bedeutung historischer Sammlungen.

Skelett der Dicynodontia-Art Placerias neben den Fußspuren ihres "Phantom-Verwandten".
Foto: Christian Kammerer

Kammerer untersuchte die Sammlung in Wien, die als weitgehend unerforscht galt, näher. Rasch stellte er fest, dass sich trotz der allgemeinen Übereinstimmung, es handle sich nur um Dinosaurierfossilien, unter den Knochen auch zahlreiche Überreste von Dicynodontia befanden. Unter anderem identifizierte er Schädelteile und Reste von Gliedmaßen und Wirbelsäule. Und diese Fossilien stammen genau aus der Zeit, in der das vermeintliche Phantom, das in Südafrika Fußspuren hinterließ, gelebt haben müsste.

Für den Forscher ist damit klar erwiesen, dass es tatsächlich existierte und dass Dicynodontia auch in Afrika länger als gedacht neben den Dinos überleben konnten. Das Auf und Ab der verschiedenen Entwicklungslinien von Landwirbeltieren sei also nicht unbedingt einem globalen Trend gefolgt. Es hätten wohl eher regionale Umweltbedingungen den Ausschlag gegeben, wie lange sich eine "veraltete" Tiergruppe halten konnte. Seine Ergebnisse stellte Kammerer im Fachmagazin "Palaeontologia Africana" vor.

Späte Anerkennung

Aber der Fall hat auch eine persönliche Note: Die Sammlung im NHM ist nämlich das Erbe eines Amateur-Paläontologen aus dem 19. Jahrhundert, der zu Lebzeiten kaum Anerkennung fand. Alfred "Gogga" Brown, den Kammerer als "Einsiedler" beschreibt, versuchte jahrelang, die Fachwelt für seine Funde zu interessieren. Er schickte Material nach London und Paris, das dort aber auf kein besonderes Interesse stieß, wie Harzhauser berichtet.

Erfolgreich war Brown erst in Wien. 1876 und 1886 kam Fundmaterial ans NHM, als Gegenleistung wurde Brown Mitglied der k.u.k. Geographischen Gesellschaft. Dabei blieb es jedoch – die Fossilien selbst, die Brown so am Herzen lagen, stießen auf kein sonderliches Interesse und gerieten bald in Vergessenheit. Das mag daran gelegen haben, dass das Material "sehr unattraktiv ist", so Harzhauser. "Das Präparieren dieser roten, wahnsinnig harten Klumpen aus Sandstein ist ein Alptraum, weil die Knochen wesentlich weicher als das Material rundherum sind; es vergehen Hunderte Stunden, bis man das vernünftig präpariert hat."

Zwei evolutionär betrachtet gar nicht so weit voneinander entfernte Verwandte im Vergleich: der Dicynodont Placerias hesperus und das Säugetier Homo sapiens.
Illustration: Dr. Jeff Martz/NPS [cc;2.0;by]

Nun, da Kammerer die Verbindung zwischen den mysteriösen Fußspuren und den Fossilien aus Wien herstellen konnte, kommt Brown endlich doch noch zu Ehren. Der ehemalige "Phantom-Dicynodont" wurde nach ihm benannt und firmiert fortan unter der Bezeichnung Pentasaurus goggai. (jdo, APA, 21. 3. 2018)