Wien – "Das wird auch nach diesem Gespräch nicht anders sein", sagt Rainer Husty und relativiert damit alle Fantasmen des laienhaften Besuchers, einen zügigen Abbau seiner Unwissenheit hinsichtlich eines recht fremdartigen Phänomens betreffend, deutlich. Worum es sich handelt? Baseball natürlich. Husty ist Präsident des heimischen Verbandes, der Austrian Baseball Federation, die in ihrem Hauptquartier im Wiener Prater geballte Kompetenz einsetzt im Versuch, den STANDARD zu erleuchten. Neben dem Präsidenten bemühen sich Generalsekretär Johannes Godler und Pressemann Walter Reiterer.

Der erfolgversprechendste Weg der Annäherung an das Schlagballspiel, von manchen als die amerikanischste aller amerikanischen Sportarten bezeichnet, darin sind sich die Herren einig, ist nämlich dieser: ein Match anschauen. Quereinsteiger Reiterer plaudert aus dem Nähkästchen: "Ich habe meine Vorurteile mitgebracht: Es wird nur gegessen, alles steht herum, es geht nur darum, den Ball zu treffen. Alles Käse."

Damals, vor fünf Jahren, sagt Reiterer, sei es sein Glück gewesen, einen Insider als Sitznachbarn zu haben. "Er hat mir durch seine Anmerkungen eine neue Welt eröffnet." Baseball erweise sich dann nicht nur als sportliche Herausforderung – "Das bewegt sich auch in Österreich schon Richtung Spitzensport" –, sondern auch als intellektuelle. Die Sportler müssen das Spiel lesen können: "Sie denken also auch nach, was gerade auf dem Feld passiert – und das ist ja nicht unbedingt bei jeder Ballsportart so."

Das Kräftemessen zwischen Werfer und Schläger zieht die Zuschauer in besonderem Maße in seinen Bann. Es ist ein Duell von Individuen innerhalb einer Teamsportart.
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Doch damit noch nicht genug der Attraktivität: "Im Baseball ist für jeden etwas dabei", sagt Godler. "Kräftige, Schmächtige, Schnelle und nicht ganz so Schnelle – für alle gibt es eine Position, die sie erfolgreich ausfüllen können." Durch eine gut ausgebildete Kernkompetenz können Schwächen in anderen Bereichen kompensiert werden. Für den Zuschauer angenehm: Es ist nicht notwendig, sich dem Spiel andauernd mit voller Aufmerksamkeit zu widmen. Der geeichte Fan weiß genau, wann es hinzuschauen gilt. "Baseball", sagt Husty, "ist die einzige Sportart, wo man darauf aufmerksam gemacht wird, wann es ernst wird. Sobald der Schläger den Ball trifft, macht es Tock. Und sobald es Tock macht, lässt du den Hotdog links liegen und schaust, was jetzt passiert."

Einfach, aber komplex

Grundsätzlich folgt Baseball einem recht simplen Ablauf, geht man etwas in die Tiefe, wird es aber rasch ziemlich kompliziert. Spielprinzip: Es geht darum, dass die angreifende Mannschaft alle vier Bases berührt, sobald der Runner wieder bei der letzten angekommen ist, gibt es einen Punkt. Die verteidigende Mannschaft versucht dies zu verhindern, indem sie den geschlagenen Ball schneller zur Base zurücktransportiert, als der Läufer diese erreichen kann.

Zu Beginn jedes als Inning bezeichneten Spielabschnitts sind nur die Spieler des verteidigenden Teams auf dem Feld positioniert, von den Angreifern ist zunächst allein der Schlagmann (Batter) in Aktion. Er liefert sich ein Duell mit dem Werfer (Pitcher). Zwischen Teamkollegen gibt es zwar durchaus taktisches Zusammenwirken, viele Spielzüge werden aber vorher durch den Coach fix festgelegt. Körperkontakt zwischen Angreifern und Verteidigern kommt sehr selten vor. In laufende Aktionen eines Teams kann der Gegner nicht eingreifen.

Im Unterschied zu anderen Ballsportarten stellt das Spielgerät beim Baseball nicht unbedingt den Mittelpunkt des Geschehens dar. Entschwindet es nach einem gelungenen Schlag etwa in die Weiten des Feldes, spielen sich die entscheidenden Szenen – etwa ein Run – ganz woanders ab. Für Neulinge kann es eine Herausforderung sein, nicht nur ballorientiert zu denken.

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2017 triumphierten die Houston Astros erstmals in der MLB. Sie setzten sich im World Series genannten Finale gegen die Los Angeles Dodgers durch.
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Erdnüsse und Madonna

In den USA ist Baseball der typische Familiensport für Menschen jedes Alters. Es gibt alte Traditionen und Gewohnheiten, viele Fans sitzen seit Jahrzehnten bei jedem Spiel auf ihrem Platz. Wenn die Leute zu Hause im Hintergrund den Fernseher laufen haben, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Baseball-Match auf dem Schirm. Die Atmosphäre im Stadion ist eine äußerst entspannte, das gemeinschaftliche Erlebnis beschränkt sich auf das Absingen der Nationalhymne vor dem Anpfiff. Danach gibt es ein unaufhörliches Kommen und Gehen, man unterhält sich mit den Nachbarn. Es herrscht Picknickstimmung, am Ende eines Matches bedecken Erdnussschalen den Boden der Tribünen zentimeterhoch.

Man sollte aber, wirft Husty ein, nicht den Fehler machen, sich zu sehr auf die USA und die MLB zu fixieren. Denn Baseball ist mehr in dieser Welt. "Man denke nur an Japan, die Karibik oder Südamerika, wo das Spiel vielleicht sogar einen höheren Stellenwert als in den USA hat. Dort sind die Stadien zwar immer noch voll, im Nachwuchsbereich aber wird dem Baseball vom Soccer der Rang abgelaufen."

In Österreich wurde die Geschichte des Baseball in mehreren Kapiteln geschrieben. Nachdem US-Soldaten das Spiel in der Nachkriegszeit ins Land gebracht hatten, brach die Entwicklung mit deren Abzug im Jahr 1955 für lange Zeit ab. Anfang der 1980er – ein über Satellit empfangbarer Sender übertrug damals in Deutschland Spiele – wurden in Wien und Linz die ersten Vereine gegründet. Junge Menschen urlaubten in den Vereinigten Staaten, kamen dort mit Baseball in Berührung und brachten es mit nach Hause. Filme wie A League of Their Own mit Madonna (1992) oder Die Indianer von Cleveland mit Charlie Sheen (1989) dienten als Inspirationsquelle und lösten eine zweite Gründerzeit aus. Die Stagnation dazwischen hatte eine ganz pragmatische Ursache: den großen Flächenbedarf, um Baseball ordentlich spielen zu können. Daran scheiterte es lange.

Im Baseball gibt es kein Unentschieden. Da verlängert wird, bis ein Sieger feststeht, kann es vorkommen, dass ein Match erst am Folgetag einer Entscheidung zugeführt wird.
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Seither verläuft die Entwicklung vielversprechend. Besonders im Nachwuchs wird ein starkes Wachstum registriert, Jugendförderungsprogramme sind den Bundesligisten vorgeschrieben. Die Baseball League Austria expandiert, wurde zuletzt auf zehn Vereine aufgestockt und in zwei Divisionen (Ost und West) unterteilt. Titelverteidiger sind die Attnang-Puchheim Athletics, die neue Saison beginnt am 14 April und dauert für die Finalisten bis Ende Oktober. Zu den Spielen kommen schon einmal zwischen 150 und 200 Zuschauer, Reiterer: "Das ist in Ordnung, darauf wollen wir aufbauen." Auch Infrastrukturell tut sich etwas, Dornbirn und Kufstein haben neue Plätze bekommen, in Wiener Neustadt wird eine Flutlichtanlage installiert.

Die Aktiven sind selbstredend Amateure, die ihren Sport aus Spaß an der Freud' ausüben. Ist das Nationalteam bei einem Turnier engagiert, tragen sie die Reisekosten in der Regel selbst. Trainiert wird auf Vereinsebene dreimal pro Woche, die vom Verband eingerichtete Austrian Baseball Academy bietet seit 2011 bis zu vier zusätzliche Einheiten an.

Aufstieg und ein Traumziel

Das österreichische Nationalteam zählt in Europa zur erweiterten Spitze, in der Weltrangliste steht es auf dem 24. Platz. Von 29. Juni bis 1. Juli geht es in Wiener Neustadt im Finale der B-EM gegen Litauen im den Aufstieg. Werden die Balten in der Best-of-three-Serie bezwungen, winkt als Belohnung die Teilnahme an der Europameisterschaft 2019 in Deutschland. Diese wäre an sich schon eine große Sache, gewinnt aber noch zusätzliche Relevanz, da das Turnier auch als Vorqualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zählt. Zuletzt wurde Baseball 2008 in Peking auf olympischem Niveau gespielt, doch für die Japaner, sagt Husty, ist "Tokio ohne Baseball nicht vorstellbar". (Michael Robausch, 26.3.2018)