Weltweit gehen Frauen seit Jahrzehnten gegen rigide Abtreibungsregelungen auf die Straße, wie hier Irinnen im Jänner 2018. In Irland wird im Mai über eine mögliche Liberalisierung der restriktiven Abtreibungsgesetze abgestimmt.

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Die Debatte um die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs wird in Deutschland so heftig geführt wie schon lange nicht mehr. "Weg mit § 219a" fordern feministische AktivistInnen –und scheiterten vorerst an den Regierungsparteien. Paragraf 219a, ein Relikt aus den 1930er-Jahren, verbietet in Deutschland "Werbung" für den Schwangerschaftsabbruch. Ins Rollen brachte die Debatte Kristina Hänel, die als Allgemeinmedizinerin im hessischen Gießen praktiziert und auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Aufgrund eines entsprechenden Hinweises auf ihrer Webseite wurde sie von AbtreibungsgegnerInnen angezeigt. Hänel startete kurzerhand eine Petition für das Informationsrecht zum Schwangerschaftsabbruch und erhielt breiten Zuspruch, im November vergangenen Jahres wurde sie vom Amtsgericht Gießen schließlich zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Aufgeben wollen Hänel und ihre UnterstützerInnen nicht.

Jahrzehntelanges Schweigen Der Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland – so wie in Österreich auch – zwar unter bestimmten Bedingungen straffrei, jedoch keineswegs legal. "Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft", lautet der erste Satz des § 218 im Strafgesetzbuch, der Abtreibung für rechtswidrig erklärt. Im Zusatz 218a sind jene Bedingungen geregelt, die eine Straffreiheit ermöglichen – dazu gehören eine verpflichtende Beratung und eine Wartefrist. Ungewollt Schwangere müssen erst eine Beratungsstelle wie etwa Pro Familia aufsuchen, mit dem ausgestellten Beratungsschein können sie nach einer gesetzlich verordneten Wartezeit von drei Tagen den Eingriff bei einer Ärztin oder einem Arzt vornehmen lassen – wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

"Lebensschützer" im Aufwind

"In den 1990er-Jahren kam es bei der gesetzlichen Regelung zu diesem Kompromiss, mit dem alle dachten gut leben zu können. Das war wohl ein Fehler – die Problematik der einzelnen Paragrafen wurde in den vergangenen zwanzig Jahren einfach nicht diskutiert", sagt Stefan Nachtwey, der als Geschäftsführer im Familienplanungszentrum Berlin tätig ist und sich im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung engagiert. Im Familienplanungszentrum werden unter anderem Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt – sowohl operativ als auch medikamentös. Nachtwey wurde selbst 2016 angezeigt, in seinem Fall kam es jedoch zu keiner Anklage. "Natürlich ist es nicht schön, wenn man eine Anzeige im Briefkasten hat, aber dasselbe haben auch schon meine VorgängerInnen erlebt, insofern war es nicht überraschend", erzählt er im Gespräch mit dem Standard.

ÄrztInnen, die Abbrüche durchführen, geraten in Deutschland häufig ins Visier radikaler AbtreibungsgegnerInnen, die sich selbst als "Lebensschützer" begreifen. Sie halten Mahnwachen vor Abtreibungskliniken ab und bedrängen Patientinnen, sie betreiben Websites mit verstörenden Bildern, auf denen ÄrztInnen als "Tötungsspezialisten" an den Pranger gestellt werden – und bringen Anzeigen gegen MedizinerInnen ein. "Der Paragraf 219a gibt so genannten LebensschützerInnen ein Instrumentarium in die Hand, um ÄrztInnen zu kriminalisieren. Allein die Angst davor, eine Anzeige zu erhalten, macht schon viel mit jemandem", sagt Stefan Nachtwey. Viele engagierte ÄrztInnen wie Kristina Hänel stünden zudem kurz vor dem Ruhestand, am Nachwuchs fehle es vielerorts. Für angehende GynäkologInnen ist der Schwangerschaftsabbruch kein verpflichtender Teil ihrer Ausbildung. Schon jetzt müssen ungewollt Schwangere in manchen Regionen Deutschlands weite Wege zurücklegen, diese Situation könnte sich verschärfen.

Ende der Beratungspflicht

So genannte LebensschützerInnen sind nicht nur in katholisch geprägten Ländern wie Polen und Italien oder in den USA sehr einflussreich, auch im deutschsprachigen Raum erleben "Pro Life"-Märsche regen Zulauf. Sie profitieren mitunter von neuen rechten Parteien und Gruppierungen, die den "Lebensschutz" auf ihre Agenda setzen – und international bestens vernetzt sind. Ihre Forderungen nach einem Zuwanderungsstopp gehen stets mit der Betonung einer "famillienfreundlichen" Politik einher. "Der Erhalt des eigenen Staatsvolks ist vorrangige Aufgabe der Politik und jeder Regierung", heißt es im Grundsatzprogramm der AfD.

"Anti-Abtreibungs-Positionen sind aber nicht nur in einer kleinen, vermeintlich fanatischen Ecke zu finden, sondern auch im politischen Mainstream", sagt Charlott Schönwetter, feministische Aktivistin und Bloggerin bei der "Mädchenmannschaft". "Mich wundern die Maßstäbe: Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos", sagte etwa Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) kürzlich der "Bild am Sonntag".

Den rechten und konservativen Kräften stellen sich vor allem feministische Gruppierungen entgegen, in Deutschland bildeten sich zuletzt rund um die Gegendemonstrationen zu den "1000-Kreuze-Märschen" verschiedene Bündnisse. Die Streichung von § 219a geht Aktivistin Schönwetter indes nicht weit genug, sie fordert eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und ein Ende der Beratungspflicht. "Schwangeren wird nicht zugestanden, selbst Entscheidungen über ihren Körper treffen zu können. Selbst jene, die sich zu 100 Prozent sicher sind, dass sie einen Abbruch vornehmen lassen wollen, müssen sich in einer Beratung die Optionen aufzählen lassen", sagt Schönwetter.

Österreichische Fristenlösung

In Österreich herrscht keine Beratungspflicht, lediglich eine "vorhergehende ärztliche Beratung" ist gesetzlich festgeschrieben. 1975 trat die Fristenlösung in Kraft, die den Abbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft straffrei stellt und die von ÖVP und FPÖ abgelehnt wurde. "Über die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs wurde 1973/74 im Detail nicht diskutiert, es ging vielmehr darum, ob ein Abbruch ganz grundsätzlich erlaubt sein darf oder nicht", sagt Maria Mesner, stellvertretende Institutsvorständin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien. Ähnlich wie in Deutschland wurde der Schwangerschaftsabbruch auch hierzulande anschließend politisch ad acta gelegt. "Wir haben in Österreich aufgrund der fehlenden Debatte ein Meinungsbildungsdefizit", sagt Mesner. Ob sich die aktuelle Regierung auf den Schwangerschaftsabbruch einschießen wird, hänge wesentlich von der Lage in der ÖVP ab. "Auch die Volkspartei wollte diese Diskussion in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr führen", so die Historikerin.

Kein Thema? Diese Position vertrat Sebastian Kurz zuletzt auch in einem Interview im deutschen Fernsehen: Abtreibung sei "kein brennendes Thema der österreichischen Innenpolitik", sagte der Kanzler im Gespräch mit Sandra Maischberger. Im Regierungsprogramm klingt das freilich anders: "Schwangere Frauen bedürfen – insbesondere in schwierigen Lebenssituationen – besonderer Unterstützung. Dazu zählt auch die medizinische und soziale Beratung vor geplanten Schwangerschaftsabbrüchen", ist im Kapitel "Frauen" zu lesen. Entsprechende Forderungen waren zuletzt aus der FPÖ zu hören. So sprach Norbert Hofer im Bundespräsidentenwahlkampf von einer Bedenkzeit vor dem Abbruch, in der ÖVP wiederum ist die Nationalratsabgeordnete und Sprecherin für Menschenrechte, Gudrun Kugler, als Abtreibungsgegnerin bekannt. "Wir müssen endlich das Ja zum Leben erleichtern und ideologische Scheuklappen ablegen", schrieb sie Mitte Februar in einem Leserbrief an "Die Presse".

Losgetretene Debatte

Feministinnen fordern indes auch hierzulande seit Jahrzehnten eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, das Frauenvolksbegehren 2.0 beschränkt sich aktuell auf eine Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen und eine Durchführung in allen öffentlichen Krankenanstalten. Ob ein offensives Vorpreschen angesichts des europäischen Rechtsrucks strategisch sinnvoll ist, sorgt in feministischen Organisationen regelmäßig für Diskussionen.

Charlott Schönwetter sieht die breite Debatte, die in Deutschland losgetreten wurde, durchaus positiv. "Ich finde es gefährlich, wenn immer schon antizipiert wird, worauf sich die Gegenseite einschießen wird. Dann bleibt sehr wenig Raum, um klare Ansagen zu machen und Konzepte für die Zukunft zu entwickeln", sagt die feministische Aktivistin. (Brigitte Theißl, 25.3.2017)