Wien – Richter Andreas Böhm darf sich mit dem Nachtleben im Süden Wiens beschäftigen. Genauer damit, welche Auswirkungen Alkoholkonsum auf dieses hat. Der Fall spielt in Wien-Simmering, angeklagt sind Herbert G. und Barbara C. – G. soll der Frau einen Faustschlag verpasst haben, die Zweitangeklagte davor Jaqueline J. mit einem Kopfstoß an der Nase verletzt haben. "Den angeblichen Mike-Tyson-Faustschlag behauptet nur die Zweitangeklagte, kein Zeuge hat den gesehen", wundert sich G.s Verteidiger, warum sein Mandant überhaupt hier sitzt. "Er hat mittlerweile fünf Kilo abgenommen und ist völlig fertig!"

Lokalbesuch nach Seniorenmatch

Der unbescholtene 51-jährige Angestellte bekennt sich daher logischerweise nicht schuldig und beginnt, von der Nacht vom 13. auf den 14. September im Café Zipp zu erzählen. "Ich war nach einem Seniorenmatch zum ersten Mal seit vier Jahren wieder dort, um mit dem Chef zu plaudern. Der Großteil der Gäste war schon ziemlich betrunken."

Unter anderen ein Herr mit einer tätowierten Träne unter dem Auge, der ihn anpöbelte und behauptete, einer bekannten Mörderbande anzugehören und gerade aus der Haft entlassen worden zu sein. G. ignorierte das, bald darauf sprang aber eine Begleiterin des Herrn auf, rannte durch das Lokal zu einer jüngeren Frau, zerrte sie an den Haaren und gab ihr einen Kopfstoß.

"Zwei Männer haben sie zurückgerissen, dabei sind sie teilweise auch gestolpert und haben die komplette Einrichtung abgeräumt." Der Wirt habe die Frau – es war Barbara C. – und ihren Begleiter hinausgeworfen. Draußen habe der Mann mit Sesseln aus dem Schanigarten um sich geworfen.

Streit auf dem Gehsteig

Als Jaqueline J .und ihr Begleiter das Lokal verließen, sei der Streit mit C. und dem Tränenmann Steven D. auf dem Gehsteig weitergegangen. Auch der Wirt und der Erstangeklagte G. gingen hinaus. "Ich wollte sie trennen, die Dame hat mich dann attackiert, und ich habe sie weggestoßen. Kann sein, dass ich ihr bei den Abwehrbewegungen eine Ohrfeige gegeben habe, aber es war sicher kein Faustschlag." Danach sei er zu seinem Auto gegangen und heimgefahren.

Das Vorleben der Zweitangeklagten C., 48 Jahre alt, ist etwas getrübter. Seit 2009 hat sie drei Vorstrafen gesammelt: eine wegen Körperverletzung, eine wegen unterlassener Hilfeleistung, zuletzt hat sie als Kassiererin des Elternvereins 10.000 Euro unterschlagen.

"Sie haben ja offensichtlich ein Alkoholproblem", stellt Richter Böhm zunächst fest. "Die Polizei bezeichnet Sie als amtsbekannt." – "Das ist, weil ich einmal eine Beziehung zu einem Polizisten hatte, da war ich bei Festen dabei", vermutet C. einen anderen Hintergrund.

"Nur an den Haaren gezogen"

"Waren Sie an dem Abend betrunken?", will Böhm wissen – "Ich habe schon was getrunken gehabt." – "Waren es erhebliche Mengen?" – "Ich war schon betrunken, aber ich bin sicher nicht im Lokal gefallen", sagt die Zweitangeklagte und bestreitet auch den Kopfstoß gegen Frau J. energisch. "Ich habe sie nur an den Haaren gezogen."

"Mit der J. streite ich prinzipiell!", verrät sie dem Richter auch. "Warum?" – "Sie ist die Tochter von einer Freundin, hat ein schweres Rauschgiftproblem und Hepatitis C und war vor fünf Jahren mit einem Schulkollegen von mir zusammen", behauptet sie, was Böhm als Grund für eine Attacke ein wenig dünn zu sein scheint.

"Jetzt gibt es aber ein Foto von Ihnen, auf dem man erkennt, dass Sie eine Schwellung auf der Stirn haben, die recht gut zu einem Kopfstoß passen würde", hält der Richter C. vor. Sie bestreitet das weiter.

Richter vermutet alkoholbedingte Erinnerungslücken

Sie sagt auch, sie habe vor dem Lokal auf Steven D. gewartet, als plötzlich Erstangeklagter G. aufgetaucht sei. "Ich kann mich nur mehr an sein Gesicht erinnern, dann einen Schlag, und dann bin ich angeblich am Boden gelegen." – "Kann es sein, dass Sie ihn zuvor attackiert haben?" – "Ich glaube nicht." – "Hören Sie, wenn mich ein Richter fragt, ob ich jemanden attackiert habe, und ich es nicht gemacht habe, dann sage ich Nein und nicht 'Ich glaube nicht'. Sie können sich nicht mehr erinnern, weil Sie so besoffen waren!", mutmaßt Böhm.

C. kam später jedenfalls mit einer Schädelprellung, einem Nasenbeinbruch und einem blauen Auge ins Spital. Der medizinische Sachverständige Wolfgang Denk schließt allerdings aus, dass alle Verletzungen mit einem einzigen Faustschlag zugefügt wurden. Dass sie beim Tumult im Lokal, an dem Herr G. nicht beteiligt war, entstanden sein könnten, hält Denk dagegen für möglich. Verwirrend ist auch, dass Frau C. nach Eintreffen der Polizei zu den Beamten noch gesagt hat, G. habe ihr den Faustschlag in und nicht vor dem Lokal verpasst.

Zeugen aufseiten des Erstangeklagten

Die Zeugen J., ihr Begleiter sowie der Wirt stützen die Darstellung des Erstangeklagten. Steven D., der von Böhm eingehend auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen wird, will dagegen keine Attacke von Frau C. bemerkt haben. "Ich bin mit dem Rücken zu ihr gesessen", behauptet er. Als er auf die Straße gekommen sei, sei C. schon auf dem Boden gelegen, der Erstangeklagte habe auf ihren Kopf wie auf einen Fußball eingetreten. "Das sagt aber sonst niemand", hält ihm Böhm vor. "Ich weiß, was ich gesehen habe", beharrt der Mann mit der Träne.

"Herr G. wird nach diesem Erlebnis wahrscheinlich nie mehr alleine in ein Lokal in Simmering gehen", kündigt sein Verteidiger an, ehe G. nicht rechtskräftig freigesprochen wird. Frau C. erhält dagegen für den Kopfstoß, ebenfalls nicht rechtskräftig, fünf Monate unbedingt. "Der Schuldspruch ist sonnenklar – es gibt die Zeugenaussagen und die Beule auf Ihrem Kopf. Angesichts Ihrer Vorstrafen ist da auch kein Raum mehr für eine bedingte Strafnachsicht", begründet der Richter. (Michael Möseneder, 21.4.2018)