Eine unheimliche Arbeit über den Drang, das innere des Körpers mit dubiosen Methoden zu erobern, ist Jefta van Dinthers Choreografie "Dark Field Analysis".

Foto: Ben Mergelsberg

Wien – In diesem Stück ist der Anfang eine Frage und das Schlussbild die Antwort. Mit "Was denkst du?" wendet sich der Tänzer Roger Sala Reyner zu Beginn von Jefta van Dinthers Choreografie Dark Field Analysis, die bis Freitag im Tanzquartier Wien zu sehen ist, an sein Gegenüber Juan Pablo Cámara. Am Ende klettert Cámara auf Reyners Schultern, und sein Kopf verschwindet in undurchdringlicher Finsternis.

Van Dinther, 1980 im holländischen Utrecht geborener Schwede, ist ein Meister im Ausstellen und Bewahren dunkler Geheimnisse. Davon konnte sich das Wiener Publikum bereits 2012 ein Bild machen, als der Choreograf im Tanzquartier sein fabelhaft düster-aggressives Solo Grind präsentierte. Wie auch für Dark Field Analysis (uraufgeführt 2017) steuerte Minna Tiikkainen das ausgekügelte Lichtkonzept bei, und in beiden Arbeiten stammt die Musik von David Kiers.

Der Sturz, das tropfende Blut

Zwischen Reyners Eingangsfrage und Cámaras stummer Antwort spannt sich eine unheimliche wechselseitige Analyse der beiden nackten Männer. Sie setzt bei der unmittelbar auf "Was denkst du?" folgenden Replik an. Er denke, lenkt sein Gesprächspartner ab, dass er versucht habe, sich zu erinnern. Reyner: "Was ist deine erste Erinnerung?" Es folgt eine Unterhaltung darüber, wie Cámara sich einmal so lange um die eigene Achse gedreht hat, bis er das Gleichgewicht verlor und sich beim Sturz verletzte. Er spricht von den Blicken der anderen und tropfendem Blut.

Indes mischt sich Musik in die trägen, via Headsets verstärkten Stimmen des Paars, das auf dem Boden sitzt und zwischen gegenseitiger Zu- und Abwendung wechselt. Das ist keine bloße Konversation, sondern ein dialogischer Psychothriller. Jeder der beiden versucht, in den Kopf des anderen einzudringen. Äußerlich wie innerlich tasten sie einander ab. Cámara: "Manchmal scheint mir, als nähmen bestimmte Dinge eine rote Farbe an, wenn ich sie anschaue." Seine Hand vibriert in kaum zu beherrschender Anspannung. "Bist du jemals in den Körper eines anderen eingetreten?" Reyner: "Ja." Cámara: "Buchstäblich unter die Haut?" – "Ja."

Drogen-Song von PJ Harvey

Gefährliche Gier wird in van Dinthers Stücken immer wieder spürbar. In einer sexuellen Form etwa bei dem Duett This Is Concrete, als Gruppendynamik beispielsweise in Plateau Effect und Protagonist. Es ist ein abgründiges Begehren, das die Atmosphäre im Theater bis an den Rand des Unerträglichen auflädt. In keiner dieser Arbeiten erlebt das Publikum die erlösende Banalität eines Tathergangs. In allen aber erfährt es die Choreografie von inneren Spannungen, die sich mit den Tänzern auch als Personifikationen zeigen.

Bei Dark Field Analysis wird der Dialog der beiden einander belauernden und berührenden Protagonisten von lauter Musik verschluckt. Reyner beginnt einen Drogen-Song von PJ Harvey zu singen, in dem es "See this winged boy falling" heißt, während intensives grünes Licht den Körpern jeden Rest von Natürlichkeit entzieht. Für einige Zeit stürzen sie in absolute Finsternis. Wieder sind ihre Stimmen zu vernehmen.

Einer der beiden sagt: "Ist das nun etwas, das man eine Blutlinie nennt?" An diesem Punkt bricht Jefta van Dinther den Titel dieses Stücks auf. Dunkelfeldanalysen sind in Fachkreisen umstrittene alternativmedizinische Blutuntersuchungen mit einem Mikroskop, die angeblich Einblicke in das "innere Milieu" des Körpers erlauben. Und wer nach "Blutlinien" fragt, dringt in biologistische Denkmilieus ein.

Das Unheimliche und seine Metaphern

Schwach rosa beleuchtet schälen sich die Körper der Tänzer wieder aus der Finsternis heraus: als Tableau vivant, das an einen aufragenden Baumstamm erinnert. Das Bild löst sich auf, die beiden irren auf allen Vieren wie Tiere im Halbdunkel umher. Wieder wird ein PJ Harvey-Lied nachgesungen, Horses In My Dreams mit der Behauptung, dass eine innere Befreiung gelungen sei. Doch diese künstlerische Dunkelfeldanalyse widerspricht der Möglichkeit einer Diagnose. Die klärende "Befreiung" – wie sie als Antwort auf die Frage "Was denkst du?" erwartet wird – endet mit dem Verschwinden von Cámaras Kopf in einer finsteren Box.

Dark Field Analysis ist eine unheimliche und bedrohliche wirkende Arbeit über den Drang, das Innere des Körpers mit dubiosen Methoden und unheilvollen Metaphern zu erobern, zu besetzen, zu manipulieren. Auch dieses Stück ist Jefta van Dinther gelungen. Sein Geheimnis scheint zum Greifen nah. Fassbar ist es glücklicherweise nicht. (Helmut Ploebst, 23.3.2018)